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Die Scham ist nicht vorbei

Von verdrängten Gefühlen, Schamlosigkeit und stiller Scham. Von Bärbel Danneberg

Das Buch Die Scham ist vorbei avancierte zum Bestseller und hat Frauen aus dem konservativen Winterschlaf geweckt. Wie ein Brandbeschleuniger befeuerte die Autorin Anja Meulenbelt in den 1970er Jahren damit bei einer ganzen Frauengeneration die Einsicht, dass sie die konservativen Geschlechterrollen, die »einverleibten Normen, mit denen die Frauen sich selbst klein halten«, verinnerlicht hatten. Das Aufbegehren der 1968er-Kinder adressierte vor allem die verzopften Moralvorstellungen ihrer Eltern und empörte sich über die Amnesie eines Großteils der Bevölkerung gegenüber den Verbrechen des Nationalsozialismus und der Politik der kollektiven Zurichtung und Verdrängung. Aber schämen tun wir uns bis heute.

Geschlechterzeichen der Zeit

Selbstbestimmter Sex und das offene Reden darüber schockieren heute niemanden mehr, sondern sind mittlerweile Selbstverständlichkeit und Voraussetzung für mediale Auflagensteigerungen geworden. Dieses Korsett ist bis zur Schamlosigkeit aufgeschnürt. Ein Blick in soziale Medien entblößt den Konsum- und Verwertungscharakter weiblicher wie auch männlicher Körperbefindlichkeiten. Weitgehend geblieben sind Männernormen, Machtfragen und die Vergesslichkeit gegenüber vorangegangenen Emanzipationskämpfen. Und nicht selten reproduzieren Frauen wieder »einverleibte Normen« oder werden »selbst klein gehalten« – auch von ihren Geschlechtsgenossinnen.

Frauenministerin Susanne Raab hat zum Beispiel den Käthe Leichter-Staatspreis für Frauenforschung, Geschlechterforschung und Gleichstellung in der Arbeitswelt ersatz- wie schamlos gestrichen. Gleichzeitig wurden auch vier weitere, den einzelnen Bundesministerien zugeordnete Käthe Leichter-Preise in allgemeine Frauenpreise umgewandelt und die gesellschaftspolitische Intention damit unkenntlich gemacht. Die soziale Dimension der Frauenanliegen und die antifaschistische Erinnerungskultur sollen zum Schweigen gebracht werden. Alle Proteste des Dokumentationsarchivs des österreichischen Widerstands, von Arbeiterkammer und Gewerkschaft sowie von Fraueninitiativen und -organisationen blieben bislang von der ÖVP-Ministerin unbeachtet. Sie sprach vielmehr von »künstlicher Aufregung«.

Die international anerkannte Sozialwissenschaftlerin Käthe Leichter wurde aufgrund ihres Widerstands gegen die nationalsozialistischen Herrscher und als Jüdin am 17. März 1942 in der NS-Tötungsanstalt Bernburg ermordet. Frauenministerin Johanna Dohnal hatte 1991 in Erinnerung an diese Frau diesen Staatspreis eingeführt. Es war damals der »Beginn der neoliberalen Ära, die den Sozialstaat zum Auslaufmodell erklärte«, schreibt die Historikerin Brigitte Pellar. Mit dem Schwerpunkt Geschichte der Arbeitnehmer*innen-Interessenvertretungen war sie bis 2007 Leiterin des Instituts für Gewerkschafts- und AK-Geschichte in der AK Wien. Der Käthe Leichter-Staatspreis »kann als eines der Projekte gesehen werden, sich dem Mainstream-Trend der Gleichsetzung von ›freiem Markt‹ und Demokratie entgegenzustellen.« (awblog.at 19.12.2022)

Beschämend steigende Armut

Die Benennung von Staatspreisen nach Käthe Leichter signalisiert, dass hier Forschung ins Zentrum gerückt werden soll, die den gesellschaftlichen Zusammenhang im Auge behält. Irmgard Schmidleithner, als Gewerkschafterin wegen ihres besonderen Eintretens für Chancengleichheit, Gleichberechtigung und die Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen von Frauen vergangenes Jahr vor dessen Einstellung mit dem Käthe Leichter-Lebenswerkpreis ausgezeichnet, warnte bereits in den 1980er Jahren vor den negativen neoliberalen Erscheinungen der Thatcher-Ära und meinte, dass vor allem Alleinerzieherinnen die künftigen Armutsbetroffenen sein werden.

In feministischen Diskursen fand damals weniger die Ausbeutung weiblicher Arbeitskräfte in der Produktion Beachtung als vielmehr Diskussionen über Körperpolitiken, Differenztheorien oder berufliche Aufstiegsmöglichkeiten und die Frage, wie die Gläserne Decke ins Management oder zu Top-Jobs mit Gender Mainstreaming durchbrochen werden kann. Die weibliche Betroffenheitsskala changierte zwischen Hausfrauen, Müttern, Alleinerzieherinnen, weiblichen Werktätigen, insbesondere Teilzeitkräften, dem geringen Frauenanteil im Wissenschaftsbetrieb und der Teilhabe von Frauen in den Institutionen. Eine übereinstimmend gemeinsame Betroffenheit kam in der Frage Gewalt gegen Frauen sowie der viel kritisierten patriarchalen Werteskale des Sexismus zum Ausdruck und Frauen sagten dem männlichen Vorherrschafts-Prinzip und der Spaltung weiblicher Betroffenheiten in Haupt- und Nebenwidersprüche den Kampf an.

Käthe Leichter war von 1925 bis 1934 erste Leiterin der Frauenabteilung der Arbeiterkammer in Wien. Die Erkenntnis, dass zwischen der Emanzipation von Frauen und der Zunahme sozialer Gerechtigkeit und gesellschaftlicher Teilhabe eine untrennbare Verbindung besteht, war Richtschnur ihres wissenschaftlichen und politischen Engagements. Heute registrieren wir, wie brüchig diese Verbindung ist. Laut Armutskonferenz sind 568.000 Frauen in Österreich von Einkommensarmut betroffen. Die Armuts-Beschämung ist im Sozialsystem besonders groß. So groß, dass manche auf die ihnen zustehenden Unterstützungen verzichten. Der demütigende Bittgang auf Ämter oder zum Arbeitsmarktservice lässt das Selbstbewusstsein von Armutsbetroffenen gegen Null sinken. Schamlos hingegen beanspruchen manche Gutsituierte trotz gutem Auskommen mit ihrem Einkommen oder Steuervermeidungsstrategien staatliche Förderungen, wie die Corona-Hilfen gezeigt haben und sich in der Energiekrise fortsetzt: Die Energiekonzerne sind Gewinner*innen, während die armutsgefährdeten Haushalte nicht wissen, wie sie die steigenden Energiekosten stemmen sollen.

Betroffenheitsscham und Sorgearbeit

Einkommen und Armut zwischen Frauen und Männern sind in höherem Maße ungleich verteilt als in anderen, vergleichsweise ärmeren Ländern Europas. Die Abwärtsspirale dreht sich für Frauen schneller. Befeuert durch multiple Dauerkrisen verschärft sich auch die Gewaltspirale. Die Erkenntnis, dass diese Welt berechenbar endlich ist, bringt viele junge Menschen in Widerstand zur politischen Untätigkeit. Das eröffnet nach beschämenden Flüchtlingsdramen, Aufnahmeverweigerung von Erdbebenopfern, Coronakrise und Krieg ein weiteres Feld für Auseinandersetzungen. Bisher vertraute Solidaritätsmuster brechen auseinander, was die politisch Rechte bis tief hinein in den Mittelstand schamlos zu instrumentalisieren weiß. Strukturelle Gewalt produziert rasant tiefgreifende soziale Ungleichheiten, führt vor allem Frauen* in Armut und versperrt Auswege aus Gewaltbeziehungen. In Österreich steht jedes Jahr eine hohe Anzahl an Femiziden chronisch unter finanzierten Gewaltschutzeinrichtungen gegenüber. Eine nachhaltige Strategie gegen Gewalt an Frauen bedarf struktureller Veränderungen.

Die Frage, wo die Abwärtsspirale beginnt, ist wie jene nach Henne und Ei. Viele Frauen arbeiten prekär, beziehen trotz Erwerbsarbeit ein Einkommen unter der Armutsgefährdungsschwelle, was sich mit Altersarmut rächt. Die Hälfte der Frauen arbeitet in Teilzeit. Grund dafür sind zu wenig gute Betreuungsplätze, lebensferne Familienideologien, wirtschaftliche Interessen. Sorgearbeit für Kinder oder Familienangehörige ist Frauensache. Zynismus gegenüber der Lebensrealität von Frauen zeigte ÖVP-Arbeitsmister Kocher mit seinem unverschämten Vorschlag, Familienleistungen für Menschen in Teilzeit zu kürzen. Die Begründung: Sie würden ja freiwillig Teilzeit arbeiten, und das müsste sanktioniert werden, weil es schlecht für die Wirtschaft sei. Eine solche Meinung spottet jeglicher schlecht entlohnter oder unbezahlter Care-Arbeit.

Die Scham ist nicht vorbei. Eine Freundin schämt sich, dass sie der Dauerbelastung durch die Pflege ihres todkranken Mannes nicht anders als mit Tränen standhält; eine andere Freundin schämt sich, dass sie nach der langen Betreuung ihres sterbenden Vaters seinen Tod nicht mit Tränen beantworten kann; eine alleinerziehende Mutter schämt sich, weil ihre Tränen der Wut sie vor der AMS-Angestellten hilflos machen; die Bekannte im Waldviertel schämt sich, weil sie wegen des knappen Haushaltbudgets putzen gehen muss und ihr Kind nicht zu Hause betreut; die Nachbarin weint und schämt sich für das blaue Auge. Und ich schäme mich als alte Frau, weil ich nach langer Berufstätigkeit finanziell recht und schlecht über die Teuerungsrunden komme im Gegensatz zu meinen prekär lebenden Kindern, denen ich finanziell etwas unter die Arme greife, was wiederum sie beschämt.

»Pantarhei«, alles fließt, wird dem griechischen Philosophen Heraklit zugeschrieben. Doch was nützen all die Tränen, wenn zweimal in denselben Fluss gestiegen wird, statt daraus einen Strom der Bewegung zu machen?

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Sie weiß, dass alles auch ganz anders sein könnte – starsky ist eine Pionierin in der Kunst der Projektion. Seit über 30 Jahren ist sie Visualistin, Aktivistin und fem:art:ivistin. Ihre vielfältigen Arbeiten umfassen unter anderem feministische Text-Interventionen auf den Traunstein, an die Orte der Macht, deren Phraseologie sie dekonstruiert, wie Bundeskanzleramt, Präsidentschaftskanzlei, Parlament u.v.m. Mit der Volksstimme spricht die polymediale Künstlerin starsky über patriarchale Strukturen und feministischen Widerstand, stur und goschert sein und die solidarische Dynamik von Geben und Nehmen.

Aufgezeichnet von Heide Hammer

Deine Arbeiten atmen Widerstand – woher kommt Dein Sich-Nicht-Anpassen-Wollen?

STARSKY: Meine Kunst ist auch Emanzipation. Ich habe es vorgezogen die ersten 15 Jahre meines Berufslebens nicht in der Kunstszene, sondern in der subkulturellen Szene zu verbringen. Viele Jahre war ich auf jedem Set die einzige Frau. Dort habe ich mir Strategien erarbeitet, dem allgegenwärtigen Sexismus, der permanenten sexistischen Erniedrigung etwas Starkes entgegenzusetzen. Das Maß an rassistischer, sexistischer Scheiße, die ich dort zu hören bekam, hat es erforderlich gemacht. Eine Strategie war, extra goschert zu sein und mich durchzusetzen. Ich habe mir eine Stärke erarbeitet und denke: Ich bin eine Frau mit Nerven aus Stahl und ich bin stolz auf das, was ich geschafft habe.

Der Herzinfarkt, den ich im letzten Jahr erlitten habe, macht aber wieder ganz andere, neue Strategien erforderlich. Davor habe ich 30 Jahre lang allen Widerständen standgehalten. Eine drohende Delogierung in Kombination mit Corona-bedingt zwei Jahre lang keine Einnahmen, kein Geld und keine Auftritte zu haben, plus Alleinerzieherin eines pubertierenden Kindes zu sein, plus vor der Entscheidung entweder Essen oder Wohnen zu stehen, war einfach zu viel. Gut unterfüttert von einem jahrzehntelangen Grenzgang und einer jahrelangen Überlastung. Jetzt lerne ich neue Wege aus meiner Sturheit, auf die ich auch stolz bin, denn ich gehe nie den einfachsten Weg und ich gebe mich nicht geschlagen. Aber das hat einen Preis, vielleicht auch einen zu hohen Preis. Der einfachste Weg im Patriarchat wäre reich heiraten oder zumindest als Paar aufzutreten. Am Rande des Mannes kann eine Frau bestehen, allein bleibt sie in gewisser Weise immer Außenseiterin. Du bleibst draußen, selbst wenn du die Spielregeln kennst und lernst, dich darin zu bewegen.

Diese Sturheit oder Konsequenz ist nicht nur eine persönliche, es ist eine politische Entscheidung. Ich will und muss mich als Künstlerin, Erfinderin und Pionierin in einer patriarchalen, kapitalistischen Welt positionieren. Meine berufliche Biographie ist zwar besonders und außergewöhnlich, zugleich bin ich aber nur ein Beispiel, nur eine von vielen tollen Frauen, die sich mit all diesen destruktiven Dynamiken herumschlagen müssen. Solche wie ich finden nicht leicht einen Platz in dieser Gesellschaft, daher werde ich auch nicht müde, diese Strukturen anzugreifen.

Das Kunstfeld ist zudem hoch kompetitiv. Gibt es für dich Kooperationen, Arbeitszusammenhänge, die halten?

STARSKY: Ich verweigere die Konkurrenz. Ich bin eine gute Netzwerkerin, eine die geben und teilen kann. Mit manchen Menschen arbeite ich seit Jahrzehnten zusammen. Eine meiner Strategien ist es auch, Frauen reinzuholen: Frauen stehen in meinen Produktionen immer in der ersten Reihe. Es gilt konsequent gegen dieses patriarchale Prinzip zu arbeiten, dass es nur EINE geben darf. Vielmehr gilt: Sei die Revolution, die du sehen willst. Das bedeutet auch, andere Arbeitsverhältnisse zu schaffen. Ich bin immer auf der Suche nach Verbündeten. Manche Dinge lerne ich mühsam, schmerzhaft und spät. Zum Beispiel, dass das Teilen nicht mit allen möglich ist, dass ich bisweilen mehr aufpassen muss, denn bei Kooperationen mit Sauger:innen, mit Leuten, die nur nehmen können, ist es schade um die Projekte und Ideen, die dann zugrunde gehen. Hingegen mit FIFTITU%, eine meiner wichtigsten Verbündeten, mit Feminismus und Krawall, OBRA, eop, IMA, IntAkt und vielen eigensinnigen Einzelpersonen pflege ich jahrelange, fruchtbare Bündnisse und Zusammenarbeiten.

Viele deiner Arbeiten sind gleichsam immateriell, es gibt bei deinen Lichtinstallationen eine Aufführungspraxis, wo das Publikum zugleich Teil der Inszenierung ist. Die Dokumentation ist somit wirklich eine Momentaufnahme, die auch niemand kaufen und besitzen kann?

STARSKY: So ist es! Aus Prinzip! Dieses Prinzip habe ich nun aufgeweicht: Meine Hauptwerke sind flüchtig. Dennoch gibt es Dokumentationen und es wird Prints von den schönsten Momenten zu kaufen geben. Es wird eine »Alles für Alle«-Edition günstig zu erstehen geben: von 21 bis 44 cm, immer unter 500 Euro. Für größere Arbeiten muss erst der Anti-Arschloch-Test bestanden werden. Meine Arbeiten sind stark und mitunter einfach schön, dennoch sind sie nicht für jedermann zu haben.

Ich habe strukturell bedingt mein Leben darauf aufgebaut, arbeitsfähig zu sein. Krank sein konnte ich mir nicht leisten. Der Herzinfarkt hat mich eines anderen belehrt. Jetzt will ich auch Unterstützung von einer Community, von der Gesellschaft; ich fordere und brauche Solidarität aus einer geteilten politischen Überzeugung. Denn Kunst ist für die Welt gemacht, ist ein Geschenk an die Welt. Kunst ist Experimentieren, Vordenken – was sein könnte. Ich fühle mich dann am wohlsten, wenn meine Kunst im öffentlichen Raum passiert, für alle gleichermaßen zugänglich ist und niemand dafür zahlen muss.

Was hältst du vom Bedingungslosen Grundeinkommen? Oder würdest du z. B. kommunale Anstellungen von Künstler:innen bevorzugen?

STARSKY: Es gibt vieles an der Kunst, das keinen Warencharakter hat. Es ist Missbrauch der Kunst, sie zur Ware zu machen. Es ist ein Missbrauch von Frauen, von Künstlerinnen, die klug sind und ihre Kunst machen wollen, dass sie schön und sexy sein müssen, unterwürfig, lieb und nett, und auf ihren Körper reduziert werden. Ich arbeite gerne und viel mit dem Körper, lehne aber diese patriarchale Sexualisierung des weiblichen Körpers grundlegend ab! Zugleich habe ich meinem Körper viel zugemutet. Ein Grundeinkommen halte ich für eine Notwendigkeit, es würde extrem viel Angst aus der Gesellschaft nehmen. Es würde Allen ermöglichen, Erfahrungen zu machen, die ich aus Sturheit und Blauäugigkeit gemacht habe. Ich habe Lohnarbeit immer verweigert, ich funktioniere nicht in Hierarchien. Das Einpassen und Anpassen an eine Institution habe ich einerseits elegant verweigert, meine äußere Erscheinung provoziert viele und steht wohl auch für diese Verweigerung. Eine Professur an einer Kunstuni wäre adäquat. Vor gut zehn Jahren hatte ich für ein Jahr eine Gastprofessur an der Kunstuniversität Linz, das würde ich jederzeit wiederholen, auch um etwas von meinem Zugang, und meiner Tätigkeit als Pionierin weiterzugeben. Ich stelle mein Leben auch gerne in den Dienst der Revolution. Der Sturz des Patriarchats – die Goldene Revolution – kann kommen, ich bin bereit. Dann hätte ich das Gefühl, ein sinnvolles Leben gehabt zu haben! In diesem Sinne scheint mir das Bedingungslose Grundeinkommen unabdingbar und ich präferiere noch dazu die radikalste Form: eine weltweite Variante davon.

Was ist nun der Preis der Kunst und was bringt uns der Goldenen Revolution näher?

STARSKY: Der Preis für die Kunst, der in dieser Gesellschaft zu zahlen ist, ist hoch – zu hoch! Kunst, Soziales, Kümmerndes, Sinnstiftendes, Visionäres, Utopisches, Forschendes, Entwickelndes, Erfindendes wird zu wenig wertgeschätzt! Zu wenig bezahlt! Zu wenig gewürdigt! Ich halte das Grundeinkommen für eine Notwendigkeit, um Gleichberechtigung zu erzielen. Auch Quoten halte ich für unabdingbar – Preise, z. B. Staatspreise oder Kunstpreise sollten bis auf weiteres nur an Frauen verliehen werden – bis wir eine 50:50 Verteilung erreicht haben!

Was in unserer kapitalistischen Welt oft fehlt, ist Selbstbestimmung und Entscheidungsfreude. Wir werden nicht dazu animiert, selbst zu denken, selbst nachzufragen, gut wahrzunehmen und aus der eigenen Wahrnehmung heraus gute Entscheidungen zu fällen. Eigensinnig zu sein, nichts zu machen, nur weil es jemand von dir verlangt, habe ich sehr viel geübt und gelernt. Auch musste ich mir angewöhnen, meinen künstlerischen Wert nicht von der Bezahlung abhängig zu machen. Ich bin noch heute auf der Suche nach dem Nadelöhr, das es ermöglicht, ohne die verlangte Anpassungs- und Unterwerfungsleistung üppigste Bezahlung zu lukrieren.

Hast du keine Angst?

STARSKY: Angst ist eine bedeutende Emotion, es geht jedoch um den Umgang damit. Ich mache immer gerne Sachen, die mich ein bisschen ängstigen. Ich bin auch früh viel allein gereist. Die technische Versiertheit habe ich mir selber angeeignet, obwohl ich mich am Anfang ein wenig vor der Technik gefürchtet habe. Dann habe ich schnell bemerkt, dass die Technik viel einfacher ist als die Kunst, sehr viel durchschaubarer. Typen haben immer die Technik in die Hand bekommen. Technik ist immer ein Spiegel der Zeit, du erkennst das Jahrzehnt, in dem eine bestimmte technische Lösung entwickelt wurde. Ich stoße recht schnell an die Grenzen der Technik und sinne danach, sie zu erweitern, zu verändern. Daher habe ich auch einige technische Erfindungen gemacht, wovon es teilweise, weil das Geld fehlte, nur Konzepte gibt, teils gibt es Prototypen. Manches habe ich auch erst 20 Jahre später mit Freund:in nen und einer kleinen Förderung umgesetzt. Die technische Entwicklung hat rasant Fahrt aufgenommen, das Patriarchat hat sich in dieser Zeit ungefähr drei Millimeter bewegt.

Jeder Schritt, der diese Verhältnisse zu Fall bringt, ist wichtig. Wir müssen die Dinge beim Namen nennen. Das Patriarchat muss als Verbrechen definiert werden. Alles hat mit Macht, aber nichts mit Lust zu tun. Krieg, Patriarchat und Kapitalismus müssen als Verbrechen benannt und definiert werden. Es muss Gerichtshöfe geben, wo die Verbrechen des Krieges (nicht Kriegsverbrechen), des Patriarchats und des Kapitalismus als solche eingeklagt werden können. Der Oberste Gerichtshof muss jener für Menschenrechte sein. Die Menschenrechte müssen als oberstes Gesetz fungieren und es gibt nichts, was diese große Errungenschaft overrulen kann. Europa, die Erfinderin der Menschenrechte scheitert ja leider an ihren Grenzen. Ich denke auch darüber nach, was wir gegen den Krieg in der Ukraine tun könnten. Vielleicht könnten wir in Kiev einen riesigen Menschenteppich aus lauter westlichen Wohlstands körpern bilden. Mal sehen, ob dieser auch so leicht zu bombardieren ist.

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Elisabeth Holzinger über Frauen im Widerstand im Februar 1934

Am Widerstand der österreichischen Arbeiterschaft im Februar 1934 waren auch viele Frauen beteiligt. Woher kommt es, dass von ihnen selten die Rede ist? Die Gründe dafür sind in einer männlich geprägten Gesellschaft und Geschichtsschreibung nicht lange zu suchen. Schon 1926 wurden Frauen von der Mitgliedschaft im Republikanischen Schutzbund ausgeschlossen. Dazu kommt, dass lange Zeit vor allem der organisierte Widerstand erfasst und erforscht wurde. Erst mit der Ausweitung des Begriffs Widerstand auch auf die vielen Aktivitäten außerhalb von Organisationen, auf Aktionen aus eigener Initiative, wurde das Ausmaß weiblicher Widerstandshandlungen langsam sichtbar. Einen Zuwachs an Wissen brachte neben dem Studium von Quellen auch der Einsatz von oral history.

Frauen haben während der Februarkämpfe – und danach im antifaschistischen Widerstand – schwankende GenossInnen aktiviert, aus Bänken und Koloniakübeln Barrikaden gebaut; in ihren Schlafzimmern wurden Maschinengewehre aufgestellt, sie hielten die Kommunikation zwischen isolierten Gruppen aufrecht, versorgten Verwundete, verfassten und verteilten Propagandamaterial, sorgten für Verpflegung und Munitionsnachschub, haben Verfolgten Unterschlupf geboten, für Angehörige von Gefallenen und Gefangenen Geld gesammelt, in den grenznahen Gebieten Flüchtigen sichere Übergänge ins Ausland gewiesen und nahmen auch Waffen in die Hand.

»Hab ich gesagt, ja, ich mach’s!«

Eine Frau, die nahezu in allen Formen des Widerstands gewirkt hat, ist Anni Haider. 1902 geboren, war sie während der Februarkämpfe 32 Jahre alt und unerschrocken. Aufgewachsen in einem politischen Milieu – ihr Vater war Mitbegründer der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei (SDAP) Kaisermühlen – war sie selbst schon früh politisch aktiv. Mit 14 trat sie den Kinderfreunden bei, war später Mitglied der Wehrturner und wurde mit 18 an ihrer Arbeitsstelle in der Schwarz- und Seidenfärberei Silberstein zur Betriebsrätin gewählt. In den frühen 1930er Jahren wurde sie entlassen, worauf sie sich durch Heimarbeit über Wasser hielt.

Am Montag, dem 12. Februar, begann in Linz der bewaffnete Widerstand. Die Nachricht vom Beginn der Kämpfe erreichte Wien kurz darauf. Anni erfuhr davon in ihrer Wohnung im Goethehof, einem der großen Gemeindebauten des Roten Wien in Kaisermühlen. Der Stromausfall war das Zeichen für den Generalstreik – für Anni das Signal, die Schutzbündler aus den Betrieben und Wohnungen zu holen, um die weitere Vorgangsweise zu beraten.

Der Generalstreik wurde nur lückenhaft befolgt, zur Organisation geschah praktisch nichts. Hunderte Schutzbündler kamen zu den Sammelplätzen und warteten auf Befehle. In vielen Bezirken wurde gekämpft, in anderen Barrikaden gegen die anrückenden Soldaten errichtet. Der Widerstand der Arbeiterschaft blieb ohne zentrale Leitung.

Im Goethehof warteten die versammelten Schutzbündler auf Einsatzbefehle. Einige hatten schon versucht, über die Donau zu kommen, um Informationen von der Schutzbundführung im Lassalle-Hof zu bekommen, konnten aber nicht über die von Heimwehr und Soldaten besetzte Reichsbrücke gelangen. Es wurde beschlossen, dass Anni versuchen soll, über die Reichsbrücke zu gelangen, um Direktiven aus dem Lassalle-Hof einzuholen. Anni: »Hab ich gesagt, ja, ich mach’s!«

Sie packte ihre Heimarbeit zusammen und wies sie den Posten vor. Tränenreich versicherte sie, dass sie unbedingt liefern müsse. Man ließ sie passieren, auf dem Rückweg wurde sie sogar freundlich von den Kontrolleuren der Heimwehr eskortiert. In ihren Haaren versteckt war der Zettel mit den Direktiven für die im Goethehof versammelten Schutzbündler. Ein direkter Befehl zur Bewaffnung erfolgte nicht.

»Ich hab geschossen«

Im Goethehof sprengten die kampfbereiten Genossen ein Waffenversteck auf und fanden vier Revolver, zwei Maschinengewehre und etwas Munition. Von einem Lastwagen, den sie aufhielten, erbeuteten sie weitere vier Maschinengewehre und Schutzkleidung – uralte Gewehre mit Wasserfüllung zur Kühlung. Anni verteilte Munition und Waffen. Der Goethehof wurde vom anderen Donauufer aus beschossen. Durch den Beschuss wurde eine Stiege im Goethehof total zerstört; im ganzen Bau wurden große Schäden angerichtet. Nur mehr ein Maschinengewehr war funktionstüchtig. Als die Angriffe immer heftiger wurden und die Lage schließlich aussichtlos war, beschlossen die Kämpfer zu fliehen.

»Da kommt einer zu mir und sagt: Anni, du musst mit dem Maschinengewehr den Rückzug der Leute decken. Gut, ich mach’s, habe ich gesagt. Mein Sohn Karli, er war damals acht Jahre, hat mir das Wasser gebracht und hat es reingegossen. Und ich hab‘ geschossen. Dann sind aber Flugzeuge gekommen und haben von oben in den Bau reingeschossen. Jetzt haben wir müssen das Maschinengewehr in den nächsten Hof tragen. Von einem Hof zum anderen. Dort hab’ ich weiter geschossen. Ich hab’s ja gelernt bei den Wehrturnern. Als alle weg waren bin ich hergegangen und hab die Verschlüsse aus dem Gewehr genommen, es zerstört und die Teile in die Donau geworfen. Mit dem Gewehr soll kein Arbeiter mehr erschossen werden. Dann bin ich auf meiner Stiege gesessen und hab geweint. Das war bitter. Das war für uns so bitter. Das kannst du dir nicht vorstellen.«

Nach drei Tagen war die Exekutive in den meisten Kampfgebieten Herr der Lage.

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Das Wahlrecht für alle einzuführen war der erste und bisher einzige Versuch, Mitbestimmung Bewohner*innen unabhängig von Staatsangehörigkeiten zu ermöglichen. Den Prozess und sein Scheitern beschreibt Maria Kohen

Am 13. 12. 2002 fiel im Wiener Landtag ein historischer Beschluss, nämlich die Novellen der Wiener Stadtverfassung und der Wiener Gemeindewahlordnung, womit allen Menschen, die seit mindestens fünf Jahren ununterbrochen in Wien ihren Hauptwohnsitz hatten, das aktive und passive Wahlrecht auf Bezirksebene gegeben wurde.1

Umgesetzt werden konnte das Wahlrecht für alle leider nie, denn der Verfassungsgerichtshof hob eineinhalb Jahre später den Beschluss wieder auf.

Die Vorgeschichte

Nach der Bildung der schwarz-blauen Bundesregierung Anfang 2000 versuchte die SPÖ die Stadt Wien als linken Gegenpol hervorzuheben. Eine der Strategien gegen die ausländer:innenfeindliche Regierung war die Aufwertung der nichtösterreichischen Mitbürger:innen in Wien mit mehr Mitbestimmungsrechten.

Bei der Wienwahl am 25. 3. 2001 erreichte die SPÖ mit 52 von 100 Mandaten (mit nur 46,9 % der Stimmen) wieder die absolute Mehrheit. Im Regierungsprogramm vereinbarte die SPÖ mit den Grünen eine Reihe von gemeinsamen Projekten, u. a. eine Wahlrechts- und Demokratiereform. Bürgermeister Michael Häupl in seiner Regierungserklärung in der Gemeinderatssitzung vom 27. 4. 2001: »[...] und wir wollen das Wiener Wahlrecht reformieren: Wählen mit 16, ein stärkeres Persönlichkeitswahlrecht und ein Wahlrecht für nichtösterreichische Mitbürgerinnen und Mitbürger auf Bezirksebene sollen hier die Schwerpunkte sein. Ich möchte aber auch die Briefwahl einführen. Außerdem bin ich der Meinung, dass all jene, die einen Zweitwohnsitz in Wien haben, in Zukunft nicht vom Wahlrecht ausgeschlossen werden sollen.«2

Der Ausschuss

Am 20. 6. 2001 nahm der Unterausschuss »Wahlrecht«, bestehend aus neun Personen von allen vier im Gemeinderat vertretenen Parteien, seine Arbeit auf. Ziel war die Erarbeitung von Maßnahmen zur Erhöhung der Wahlbeteiligung. Bei der Herabsenkung des Wahlalters auf 16 Jahre, der Einführung der Briefwahl und des Vorzugsstimmenwahlrechts wurde man sich einig, nicht aber bei der Abschaffung des mehrheitsfördernden Systems (relative Mehrheit der Stimmen, aber absolute Mehrheit an Mandaten), was sich alle Oppositionsparteien gewünscht hatten, sowie beim Wahlrecht für Menschen mit Zweitwohnsitz.

Das Wahlrecht für alle wurde, wie nicht anders zu erwarten war, zum heißen Thema. In den folgenden eineinhalb Jahren wurden Verfassungsgutachten eingeholt, Expert:innen angehört, es gab heftige Debatten, auch in den Medien. Es war klar, dass SPÖ und Grüne das Wahlrecht für alle durchsetzen würden. Als Mini-Zugeständnis an ÖVP und FPÖ fand man den Kompromiss, dass die sog. Drittstaatsangehörigen nicht Bezirksvorsteher:in, -stellvertreter:in und Mitglieder im Bauausschuss und in der Kleingartenkommission (!) werden durften.

Der Beschluss

Schließlich kam das »Wiener Demokratiepaket« am 13. 12. 2002 in einer Landtagssitzung zur Abstimmung. Die Debatte war gekennzeichnet von vielen emotionalen Zwischenrufen während der Reden, auch aus dem Publikum, und einige Gäste wurden des Saales verwiesen.

Eines der Hauptargumente von ÖVP und FPÖ gegen das Wahlrecht für alle war die Furcht vor »ethnischen Kämpfen« bei der Wahl. Die FPÖ beantragte in der Sitzung eine Wiener Volksabstimmung über das Ausländer:innenwahlrecht. Dieser Antrag wurde zurecht abgelehnt – über Minderheitenenrechte lässt sich nicht abstimmen!

Wie erwartet wurde der Hauptantrag mit den Stimmen von SPÖ und Grünen angenommen.

Was danach folgte

Am 10. 2. 2003 erhob der Ministerrat der Bundesregierung Einspruch, weil der Beschluss für das Ausländer:innenwahlrecht ihrer Ansicht nach nicht verfassungskonform war. Am 24. 4. erfolgte der Beharrungsbeschluss im Wiener Landtag und am 21. 5. die Kundmachung im Landesgesetzblatt für Wien. ÖVP und FPÖ beantragten am 5. 9. beim VfGH die Aufhebung des Ausländer:innenwahlrechts.

Der VfGH schloss sich der Argumentation von ÖVP und FPÖ an und gab der Anfechtung schließlich am 30. 6. 2004 statt3. Laut Karl Korinek, dem damaligen Präsidenten des VfGH, habe es sich bei der Entscheidung um eine »relativ einfache Rechtsfrage« gehandelt4. Konkret: Die Bezirke sind in Wien die unterste Stufe der politischen und administrativen Organisation, die Bezirksvertretungen sind ihre Repräsentationsorgane. Die Bezirksrät:innen haben ein öffentliches Amt inne und üben somit hoheitliche Rechte aus. Von daher können diese Funktion nur österreichische Staatsbürger:innen (bzw. ihnen gleichgestellte, nämlich die EU- Bürger:innen, Anm. MK) ausüben. Zum Artikel 1 B-VG – »Österreich ist eine demokratische Republik. Ihr Recht geht vom Volk aus« – meinte der VfGH, der Begriff »Volk« beinhalte die österreichische Staatsbürgerschaft.

Fazit

Heute sind wir vom Wahlrecht für alle weiter entfernt denn je, obwohl mittlerweile ein Drittel der Wiener Bevölkerung von Wahlen ausgeschlossen ist (im Jahr 2002 war es ein Sechstel), in ganz Österreich sind es 18 Prozent.

In den letzten Jahren mehrten sich die Stimmen von Jurist:innen und Politikwissenschafter:innen, die meinten, es bräuchte eine modernere Interpretation des Begriffs »Volk«, da das Erkenntnis des VfGH auf der Interpretation aus jener Zeit basiert, als die Verfassung geschrieben wurde – vor 100 Jahren! Eine Festlegung, wer wahlberechtigt ist, ist wohl trotzdem nur mit einer Änderung der Bundesverfassung machbar; leider setzt sich keine Parlamentspartei dafür ein. Die öffentliche Diskussion dreht sich nur mehr um die Staatsbürger:innenschaft – wer wählen will, soll sie annehmen. Dieses Argument geht allerdings an der Sache vorbei, denn es wird immer viele Menschen geben, die die Staatsbürger:innenschaft nicht annehmen können oder wollen. Die Forderung nach dem erleichterten Zugang zur Staatsbürger:innenschaft ist wichtig, aber viel wichtiger ist es, das Wahlrecht für ALLE zu fordern! Auch linke Parteien und Organisationen sollten mehr in diesem Sinn argumentieren und nicht – salopp gesagt – Äpfel mit Birnen vermischen, indem sie beides gleichzeitig fordern, obwohl das eine nichts mit dem anderen zu tun hat. Die Welt ist klein, und die Menschen sind mobil geworden. Ein Stück Papier mit einer Staatsbezeichnung sagt weniger über einen Menschen aus als die Tatsache, wo sie oder er aufgewachsen ist oder lebt.

Der Wiener Beschluss von 2002 bleibt der einzige Versuch in Österreich, die Mitbestimmung bei Wahlen für alle einzuführen.

1 Protokoll der Landtagssitzung vom 13. 12. 2002: www.wien.gv.at/mdb/ltg/2002/ltg-011-w-2002-12-13-001.htm

2 www.wien.gv.at/mdb/gr/2001/ gr-001-w-2001-04-27-025.htm

3 VfGH-Urteil: www.vfgh.gv.at/downloads/VfGH_G_218-03.pdf

4 in: Wiener Zeitung vom 1. 7. 2004

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Von Gerlinde Grünn

In Linz beginnt’s, behauptet ein Tourismuswerbespruch der 1970er Jahre. Zumindest der Februaraufstand der organisierten Arbeiter:innen gegen den Austrofaschismus nahm in Linz seinen Anfang. Nächstes Jahr werden seither 90 Jahre ins Land gezogen sein und so manche Gedenkveranstaltung wird ins Haus stehen. Die letzten Zeitzeug:innen sind gestorben und die mündliche Tradierung der Ereignisse ist erloschen.

Geblieben sind historische und literarische Texte und Gedenkorte. Unweit des Linzer KPÖ-Haus in der Melicharstraße befindet sich der Bulgariplatz – wohl den wenigsten ist heute bewusst, an welches Ereignis dieser große, verkehrsdurchflutete Platz erinnert. Eine Schutzbundtruppe unter der Führung des Brauereiarbeiters Anton Bulgari sollte hier die vom Süden herziehenden Bundesheereinheiten am Eindringen in die aufständige Stadt hindern. Es kam zu einem Schusswechsel, dem zwei Bundesheerangehörige zum Opfer fielen. Als am nächsten Morgen die Niederlage des Aufstandes klar war, wurden fünf Schutzbündler vor das Standgericht gestellt. Einer davon – Anton Bulgari – am 22. Februar 1934 im Hof des Landesgerichts gehängt. Damit folgte das Gericht der Weisung pro Bundesland mindestens an zwei Aufständlern ein Exempel zu statuieren. In Steyr traf das Todesurteil Josef Ahrer.

Auch die KPÖ Linz pflegte in den letzten Jahren hier vor einer Gedenktafel für Bulgari ihr Februargedenken mit einer Kundgebung abzuhalten. Die SPÖ hatte das Denkmal für Anton Bulgari in den 1980er Jahren anbringen lassen und alljährlich anlässlich des Februargedenkens werden zwei Kränze aus roten Nelken samt Schleifen angeliefert. Unlängst kam Anton Bulgari sogar in einem Artikel des Landesblatts zu zweifelhaften Ehren. Der Historiker Sandgruber bemängelte in einem Rundumschlag gegen den frisch erschienenen Linzer Straßennamenbericht den Umstand, dass der ehemalige Polygonplatz nach einem Aufständler und Soldatenmörder benannt wurde. Dieses Madigmachen einer Platzbenennung nach Bulgari ist wohl vor allem dem Umstand geschuldet, dass in diesem Bericht so manch Unrühmliches des ÖVP-Säulenheiligen Heinrich Gleißner ans Licht kam. War er doch zur Zeit des Februaraufstands Landesführer der Vaterländischen Front und bester Mann des autoritären Kanzlers Dollfuß in Oberösterreich. Die Landes-ÖVP kam angesichts der zwar schon bekannten, aber nun erneut publizierten Tatsachen in gehörige Erklärungsnot, zumal auch eine mögliche Mitgliedschaft Gleißners in der NSDAP ruchbar wurde. Wer der Frage nachgeht, ob heute die Ereignisse des Februar 1934 noch eine Rolle spielen, braucht also nicht lange zu suchen.

»Die Gedenkkultur nicht in entleerten Ritualen erstarren zu lassen«
Der lange Schatten des kalten Februars wirkt bis heute nach, auch wenn das Wissen um die Ereignisse heute nur noch einer Minderheit geläufig ist. Erich Hackl verweist im Buch Im Kältefieber zurecht auf die bewusst verursachte Geschichtsvergessenheit, die den Aufstand der österreichischen Arbeiter:innen gegen den Faschismus kleinschreibt und damit den Traditionsstrang einer klassenkämpferischen und widerspenstigen österreichischen Arbeiter:innenbewegung aus der Erinnerung zu tilgen versucht. Umso wichtiger ist es, die Erinnerung hochzuhalten und die Gedenkkultur nicht in entleerten Ritualen erstarren zu lassen. Die KPÖ Oberösterreich leistet seit Jahren durch die Herausgabe von historischen Dokumentationen zu Themen des Widerstands ihren Beitrag zur Tradierung des Wissens. Die Basis dafür schuf Peter Kammerstätter, der mit seinem unermüdlichen jahrzehntelangen Wirken mündliche und schriftliche Quellen zu Geschichte der oberösterreichischen Arbeiter:innenbewegung zusammentrug. Besonderes Anliegen dabei ist es auch, den Anteil der Kommunist:innen am Februaraufstand zu dokumentieren. War es ja die KPÖ, die als eine der ersten Organisationen am 26. Mai 1933 von der autoritären Regierung Dollfuß verboten wurde. Bei den Februarkämpfern in Linz war unter den 14 Todesopfern auf Seiten des Schutzbundes auch der 19-jährige Franz Mayer, Mitglied des Kommunistischen Jugendverbandes. Er wurde bei den Kämpfen am Jägermayerhof tödlich verwundet. Seine Mutter Josefine Pangerl schilderte seine Grablegung dem Verscharren eines Hundes gleich, da weder Trauergäste noch Kerzen gestattet waren. Sein heute schon aufgelassenes Grab am Linzer Barbara-Friedhof war lange Jahre auch Stätte des Februar-Gedenkens der KPÖ. GLB-Arbeiterkammerrat Thomas Erlach gelang 2020 die Aufnahme von Franz Mayer in die Geschichtsgalerie des Bildungshaus Jäger-mayerhof der AK.

Da Linz auch eine Hochburg kommunistischer Schriftsteller:innen war, die politische Ereignisse auch in ihrem literarischen Werk verarbeiteten, findet man auch hier einiges zum Februaraufstand. So verfasste etwa Karl Wiesinger den Roman Standrecht und von Franz Kain gibt es Erzählungen über die Februarereignisse. Das wohl eindrücklichste Werk ist das Gedicht »Februarkämpfer« der Linzer Kommunistin und Schriftstellerin Henriette Haill, das 1934 verfasst, einen authentischen Ausdruck der Stimmung nach der Niederlage des Aufstands vermittelt. So heißt es in der letzten Strophe: »Und was auch alles kam und war, der blutige Februar hat uns ins Herz getroffen. Wir halten noch die Faust geballt, die Rechnung ist noch nicht bezahlt, die Wunde stehen noch offen.«

Februarkämpfer

Von Henriette Haill
(1904–1996)

Im unvergessenen Februar

als die Geduld zu Ende war

da griffen wir zu den Waffen

wir wollten keine Knechte sein

wir standen für das Letzte ein

und hatten’s nicht geschafft.

Wir ließen uns zu lange Zeit,

die Macht der Feinde war zu breit,

wir gingen ins Verderben.

Als uns die schwere Stunde rief

im Haß der Feinde Kugel pfiff,

da hieß es stehn und sterben.

Als man uns tief zu Boden schlug,

weil wir nicht einig, stark genug,

da mußten wir es büßen.

Die rote Fahne lag im Kot,

sie häuften auf uns Leid und Spott

und traten uns mit Füßen.

Nur keine Milde war ihr Sinn,

auf unserm Blut stand ihr Gewinn,

sie waren nicht bescheiden.

Sie labten sich an unserem Schmerz,

und zielten froh nach unserm Herz

und hängten uns mit Freuden.

Auf Leichen stiegen sie empor,

und öffneten gar weit das Tor

der Not im eigenen Lande.

Und Schlag auf Schlag und

Trug auf Trug,

das war ein böser Funkenflug

zum großen Weltenbrande.

Und was auch alles kam und war,

der blutig zwölfte Februar

hat uns ins Herz getroffen.

Wir halten noch die Faust geballt,

die Rechnung ist noch nicht bezahlt,

die Wunden stehn noch offen.

Text: Henriette Haill, 1934 Melodie: Christian Buchinger, 1984

Gerlinde Grünn ist Gemeinderätin in Linz, zuletzt erschien ihre Besprechung der Ausstellung über Friedl Dicker-Brandeis in der Volksstimme 05-2022.

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Walter Baier, der frühere Vorsitzende der KPÖ (1994–2006) und spätere politische Koordinator des Think-Tanks transform! europe (2006–2020), wurde letzten Dezember zum neuen Präsidenten der Europäischen Linken (EL) gewählt. Der Parteitag fand inmitten der größten kumulativen Krisen Europas seit 1945 statt: Ukraine-Krieg, Energiekrise und Klimakatastrophe. Umso erfreulicher ist die erzielte Einigkeit, die keineswegs gesichert schien. Im zentralen politischen Dokument des Parteitags unter dem Titel »Frieden, Brot und Rosen« (siehe Seite 55) beschlossen die Delegierten etwa die wichtige Forderung nach einer Vergesellschaftung großer Energiekonzerne.

Eva Brenner befragt Walter Baier zum Parteitag und zu seiner Wahl.

Was sind aus deiner Sicht die größten Herausforderungen der EL?
WALTER BAIER: Das Wichtigste ist die sozial-ökologische Wende. Der Ausstieg aus den CO2-Technologien erfordert aber die europaweite Mobilisierung großer Mittel und eine Ausweitung öffentlichen Eigentums. Insoweit geht es also um ein Problem, das im Rahmen der herrschenden neoliberalen Idee, dass alles dem Markt überlassen werden soll, nicht zu lösen ist.

Welche politischen Themen haben Priorität?
WALTER BAIER: Die Themen sind vernetzt und gleichrangig: Ende des Krieges, eine neue europäische Friedensordnung, Schutz der Menschen vor der Explosion der Lebenshaltungskosten und die Rettung der Umwelt. »Frieden, Brot und Rosen«, wie es im Slogan des Parteitags zusammengefasst ist.

Wie hat sich die EL in den letzten Jahren entwickelt?

WALTER BAIER: Sie ist gewachsen.

Und wo liegen die Schwierigkeiten?

WALTER BAIER: Auch die Probleme sind unübersehbar: In den letzten Jahren sind vor allem kleine Parteien der EL als Vollmitglieder oder Beobachter beigetreten. Die wichtigste positive Ausnahme bildet da La France Insoumise von Jean Luc Mélenchon, das eine sehr große Partei ist. Das zweite große Problem ist die Schwäche der EL in Zentral- und Osteuropa. Hier ist die wichtigste positive Ausnahme die Linke Sloweniens. Die Ausnahmen bestätigen in diesem Fall weniger die Regel, als dass sie die Möglichkeiten aufzeigen.

Wie steht es um die Einigkeit in der Partei? Im Vorfeld des Parteitags wurde ja diskutiert, dass es große Differenzen über das Verhältnis zur NATO geben würde.

WALTER BAIER: Es ging nicht um die Frage des Verhältnisses zur NATO, sondern um die Position der EL zum Ukraine-Krieg. Die Vertreter*innen der dänischen und finnischen Linksparteien bestanden zunächst auf einer deutlichen Unterstützung des militärischen Kampfs der Ukraine gegen die russische Aggression, während vor allem die italienischen Kommunist*innen die Vorgeschichte des Krieges und Verantwortung der NATO im politischen Dokument ausgedrückt sehen wollten. Es ist aber gelungen, eine Einigung über drei zentrale Forderungen zu erzielen: Waffenstillstand, Rückzug der russischen Truppen, Aufnahme von Verhandlungen! Nicht im Sinne einer Reihenfolge oder einer Rangordnung, sondern als gleichrangige Elemente einer Friedenslösung. Das ist meines Erachtens eine Errungenschaft und richtig, weil so der Akzent auf das gelegt wird, was getan und erreicht werden muss.

Reicht das aus?

WALTER BAIER: Nein, aber politische Entscheidungen beruhen stets auf Kompromissen. Wenn sich jedoch die politischen Verhältnisse rasch ändern, reichen einmalige Kompromisse nicht aus, um politisch handlungsfähig zu sein. Die Debatte wird also weitergehen. In der Frage, wie nach einer – hoffentlich baldigen – Beendigung des Krieges in der Ukraine eine stabile europäische Friedensordnung geschaffen werden kann, braucht es noch viel analytische Arbeit und politische Diskussionen.

Die Linke verfügt doch über ziemlich viel Know-how in der Theoriearbeit und in der Friedenspolitik.

WALTER BAIER: Das stimmt. Aber wir leben in einer besonderen Situation. In Europa geht es um eine Verringerung der militärischen Spannungen. Dazu wäre ein Abbau der atomaren Offensivwaffen der NATO und der Russischen Föderation dringend erforderlich. Wir müssen von der EU und den Mitgliedsstaaten verlangen, dass sie statt Unsummen für die militärische Aufrüstung aufzuwenden, politische Initiativen für eine Beseitigung der Atomwaffen in Europa setzen.

Wie schätzt du da die Chancen ein?

WALTER BAIER: Die Gefahr eines Weltkrieges entsteht aus dem Umbruch, in dem sich die Weltpolitik befindet. Die Gesellschaften im Norden können auf der bisherigen technologischen Basis, die die Lebensgrundlagen auf dem Planeten zerstört, nicht weiterwirtschaften, die Völker im Süden fordern einen gerechten Anteil am Wohlstand – und der bisherige durch die Vorherrschaft der USA und ihrer Verbündeten gesetzte Ordnungsrahmen funktioniert nicht mehr. Damit wächst auch die Versuchung, die Gegensätze mit kriegerischen Mitteln zu unterdrücken. Die EU muss sich in diesen Konflikten positionieren.

Derzeit sieht es trotz schöner Worte nicht nach realen Schritten zu einer baldigen Umsetzung der notwendigen Transformationen aus. Wie sollen diese vor sich gehen?

WALTER BAIER: Der sozial-ökologische Wandel, den wir fordern, muss von den reichen Staaten finanziert werden. Nicht nur, weil es gerecht ist, sondern weil es nicht anders geht. Doch auch dort verschärfen sich die Verteilungskonflikte. Damit sind die Klassen- und Geschlechterverhältnisse berührt. Der Aufstieg rechtsextremer, nationalistischer Parteien zeigt auf, dass wir uns auch mitten in einer politischen Krise befinden. In diesen verwickelten Prozessen braucht die Linke eine Strategie, die sie als eine wirkliche Systemalternative erkennbar macht. Sie muss in der Lage sein, Bündnisse einzugehen, aber auch über einen eigenen Kompass verfügen.

Wie stehen die Auspizien für die kommende EU-Wahl im Jahr 2024?

WALTER BAIER: Die EL ist mit ihren 44 Parteien aus 27 Ländern der größte parteipolitische Zusammenschluss linker Kräfte in Europa. Trotzdem vertritt sie nur einen Teil der Linken. Sie braucht Bündnispartner*innen in den Gewerkschaften, in den Umweltbewegungen, in den feministischen Bewegungen und unter den Intellektuellen und Kunstschaffenden. Mein Ziel ist, eine maximal mögliche Einheit der Linken in Europa zu erreichen.

Abschließend: welchen Einfluss hat deine Wahl zum Präsidenten der EL auf die Linke in Österreich?

WALTER BAIER: Die Linke in Österreich entwickelt sich. Die Wahlerfolge der KPÖ in Graz, Linz, Salzburg und anderswo beweisen das. Dazu kommen auch neue politische Zusammenschlüsse wie in Innsbruck und in Wien. Auf dem Wiener Parteitag ist die Partei LINKS, die gemeinsam mit der KPÖ bei den Wiener Gemeinderatswahlen angetreten ist, eine Partnerschaft mit der EL eingegangen. Soweit ich kann, werde ich mich bemühen, diese Entwicklungen zu unterstützen und die linken Kräfte vereinen zu helfen.

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Diana Leah Mosser über die Hufeisentheorie

Die meisten Menschen, die sich – wenn überhaupt – mit der Zwischenkriegszeit in Österreich auseinandersetzen, stoßen auf eine Erzählung von zwei verhärteten Fronten. Zwei Fronten, deren größter Fehler es angeblich war, der Gewalt nicht abgeschworen zu haben. In der Schule lernen wir von zwei Seiten eines Konflikts, die sich einfach nicht vertragen konnten. Wir lernen, dass wir beide Seiten verstehen müssten, als wären wir Außenstehende.

Wer gegen wen?

Ich war dreißig, als ich beim Streben nach einem besseren Schulabschluss eine Abendschule besucht hab und dort nach fast 15 Jahren zum ersten Mal wieder Geschichtsunterricht hatte. Ich saß dort gemeinsam mit 18-Jährigen, die das Thema kaum besser verstehen konnten als ich beim ersten Mal, als mir die Lehrerin (es war sogar die gleiche wie damals) vom sogenannten Bürgerkrieg erzählte. Beim ersten Mal hab’ ich einfach brav notiert, was die Lehrerin gesagt hat. Doch 15 Jahre später kamen mir Zweifel: Ist es denn ein Bürgerkrieg, wenn der Staat gegen Teile der Bevölkerung kämpft? Nein. Die Februarkämpfe waren vielmehr ein Aufstand gegen den staatlich unterstützten Faschismus.

Ich war dreißig und schon über zehn Jahre lang relativ linksradikal, als ich verstand, dass ich nicht außerhalb, sondern auf einer der beiden Seiten stehe. In eigener Sache, aber auch ohne wirklich eine Wahl zu haben. Ich stehe im Visier der Faschist*innen und bekomme das am Arbeitsplatz zu spüren.

Selbst wenn man meine Kollegen nicht als Faschisten bezeichnet (und es gäbe Gründe), so ist nicht zu leugnen, dass sie sich über jene lustig machen, die Opfer der Faschisten waren.

Ich stehe nicht dazwischen, sondern auf einer der beiden Seiten. Aus politischer Überzeugung, wegen meiner gesellschaftlichen Position als Kommunistin und als nichtbinäre trans Frau. Ich stehe auf dieser Seite wie mein Opa, sein Bruder, deren Vater und ihr Großvater, der in Mödling aktiv an der Entstehung von Gewerkschaften mitgewirkt hat.

Kampf gegen Paramilitärs

Wenn wir über die Zwischenkriegszeit lernen, lernen wir von einer Eskalation im Jahr 1927, als wir den Justizpalast abgefackelt haben. Wir lernen nichts von den politischen Vorstellungen der Hahnenschwanzler, nix von deren Gewaltbereitschaft, von deren wiederholten Putschversuchen wie z. B. durch Pfrimer. Wir hören nix von einem präfaschistischen Rechtssystem, das Arbeitermörder freisprach. Vom Arbeitermord in Schattendorf sollten wir als Schüler*innen etwas wissen, dass dies aber nicht der einzige Mord seiner Art war, musste ich mir selber aneignen.

Wir lernen in der Schule nicht, dass solche Morde regelmäßig passierten. Wie der Mord an Leopold Müller, der nach einer Gegenkundgebung gegen Deutschnationale 1925 in Mödling in der Nähe des Bahnhofs – zwei Gassen von meiner heutigen Wohnung (die Genossenschaftswohnung meiner Großeltern) entfernt – erschlagen worden ist.

Wir lernen nicht, dass bereits Anfang der 20er Jahre faschistische Freikorps und Vorläufer der Heimwehr im Kärntner Abwehrkampf quasi als Paramilitärs eingesetzt wurden. Dass es teilweise mehr Hahnenschwanzler als Bundesheersoldaten gab.

Grätsche in der Geschichtsschreibung

Wir lernen nicht, dass der Republikanische Schutzbund sich erst 1923 gegründet hat, als die reaktionären Paramilitärs bereits etabliert waren. Wir lernen nicht, dass ein Republikanischer Schutzbund die Antwort ist auf Faschisten, die sich hochrüsten, um die Republik zu zerschlagen. Wir lernen nicht, was es heißt, als Bevölkerung eines ehemaligen Kaiserreichs eine Republik auszurufen.

Wir lernen stattdessen die historische Version österreichischer Hufeisentheorie, die versucht uns zu veranschaulichen, dass Linksextreme und Rechtsextreme gleich schlimm sind. Dabei wird ignoriert, dass es unsererseits ein Bekenntnis zur Republik gab, während Faschos den Korneuburger Eid geschworen haben.

Ignoriert wird der Einsatz jener, die dieses Land in Jahren nach dem ersten Weltkrieg nicht dem Faschismus überlassen haben.

Der große Nutzen der Hufeisentheorie ist, dass, wer immer sie bemüht, als Garant für Mitte und Mäßigung erscheint. In einem System, in dem Rechts- und Linksextremismus gleichgesetzt und gleich dämonisiert werden, erscheint der Extremismus der Mitte – die Ausgrenzung von Minderheiten durch staatliche Gewalt – als notwendiger, stabilisierender Eingriff.

Simulierte Nähe zur Bevölkerung

Durch den Einsatz der Hufeisentheorie ist vollkommen gleich, welche Inhalte die Kämpfer*innen der vermeintlichen Mitte ins Treffen führen. Das Verurteilen von sichtbarer Gewalt (oder sichtbar gemachter Gewalt) auf den Straßen verleiht selbst den reaktionärsten ÖVP-Politiker*innen – ob Sachslehner, Kurz oder Kugler – einen gemäßigten Anstrich. Diesen Anstrich tragend, konnten und können die Faschos der ÖVP kontinuierlich ihre Gewalt in die Ämter tragen und dort verankern. Dank ihrer Schmids in Ministerien, der Wirtschaftskammer und KTM im Rücken, braucht die ÖVP keine Bewegung, die den Rückhalt in der Bevölkerung verkörpert.

Und da Sebastian Kurz 2016 die identitäre Erzählung von Schlepperbanden, die mit der Seenotrettung im Mittelmeer kooperieren, aufgegriffen hat, können selbst Rechtsradikale Gewaltfreiheit reklamieren, weil ihre Forderung, ihr Wunsch nach geschlossenen Grenzen, mit österreichischer Staatsgewalt durchgesetzt wird. Wer sich aber dagegen zur Wehr setzt, wird Opfer staatlicher Überwachung und Repression – wie die sieben Antifaschist*innen, die in Wien im Oktober des vergangenen Jahres vor Gericht standen. Während der Ermittlungen wurden sie von Beamt*innen teilweise auf offener Straße überfallen. Ein Vorgehen, das nicht einmal bei vielen Linken auf lauten Protest gestoßen ist. Die Übergriffe der Polizei auf die Antifaschist*innen ereigneten sich zu Beginn des Wiener Wahlkampfs (2020) ohne thematisiert zu werden und selbst am Tag der Verurteilung (2022) protestierten lediglich 400 Leute.

Schau ned weg

In der extremistischen Ideologie der Mitte wird den Menschen vermittelt, sie könnten sich aus allem heraushalten ohne sich einzumischen. Aber das stimmt nicht. Denn wir SIND eingemischt. Ich bin eingemischt. Meine trans Geschwister sind eingemischt. Meine Eltern sind eingemischt. Ohne unser Zutun.

Als Angehörige von Randgruppen – und wenn wir von faschistischer Gewalt reden, dann zählen auch Kommunist*innen und Antifaschist*innen zur Randgruppe – spüren wir die wachsende Gefahr. Wenn trans Personen auf der Straße beschimpft und angegriffen werden, die Fassaden von Schwulen- und Lesben-Häusern mit Morddrohungen beschmiert werden, wenn Kurd*innen über Tage hinweg von Faschisten attackiert und ihre Organisationen verboten werden, wenn Musliminnen im öffentlichen Verkehr angefeindet werden.

Wir sehen diese Attacken und möchten wegschauen, weil es so unangenehm ist. Wir distanzieren uns, verkriechen uns in alte und verbreitete Denkmuster, um wenigstens eine Erklärung dafür zu haben, warum die Betroffenen attackiert werden. Irgendein Grund, warum das Opfer selber schuld ist, wird immer gefunden.

Dass das nicht genügt, wisst ihr alle selber. Denn was danach bleibt, ist dieses leere Gefühl der Passivität, dem wir gleich die nächste Distanzierungs erklärung beilegen müssen

 

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Von Julia Brandstätter

In Kärnten verläuft der 12. Februar 1934 – ähnlich wie im Burgenland, Salzburg und Vorarlberg – ohne größere Kampfhandlungen. Außergewöhnlich ist einerseits die Kompromissbereitschaft der sozialdemokratischen Führung, die nirgends größer ist als in Kärnten. Andererseits gehen die führenden Köpfe der Revolutionären Sozialisten aus Kärnten hervor: Joseph Buttinger und Josef Podlipnig.

Die Nachricht vom Beginn der Kämpfe erreicht die Kärntner Sozialdemokratie bei einer Versammlung der Kinderfreunde am Vormittag des 12. Februar 1934 im Gebäude der Arbeiterkammer. Bruno Pittermann, damals Kassier des Vereins, unterbricht die Sitzung mit den Worten: »In Wien fallen die Genossen!« Partei und Schutzbund sind in kürzester Zeit alarmiert, Aktionen bleiben aber aus.

Am selben Tag erscheint die letzte Ausgabe des Arbeiterwille, der sozialdemokratischen Parteizeitung für die Steiermark und Kärnten, mit einem Aufruf zum Kampf: »In Oberösterreich ist spontan der Generalstreik ausgebrochen; daraufhin haben Partei und Gewerkschaften den Generalstreik in ganz Österreich proklamiert. Daher alles heraus zum Endkampf gegen den Faschismus!« Aber die Generalstreikparole zündet nicht mehr und die Landesparteivertretung der Sozialdemokratie erklärt sie für undurchführbar. Nur vereinzelte Betriebe – etwa in Ferndorf, Ferlach und St. Veit a. d. Glan – werden von den Beschäftigten aus eigener Initiative bestreikt. Auch die Eisenbahn steht nicht still. Die Züge transportieren Soldaten und Waffen zur Unter drückung des Widerstandes von Kärnten nach Leoben und Bruck.

Kein Plan, keine Waffen

In den Reihen der Arbeiterbewegung herrscht völlige Planlosigkeit, und die Gewissheit der Niederlage sorgt für passives Verhalten und Resignation. Noch im Laufe der Nacht und am Dienstagvormittag werden die ehemaligen Funktionäre des Republikanischen Schutzbundes und die führenden Funktionäre der Sozialdemokratie verhaftet. Sie sind nicht schwer zu fassen: keiner von ihnen hält sich versteckt.

Zudem sind nicht genügend funktionsfähige Waffen vorhanden. Alois Buttinger, der von 1928 bis 1934 den Kinderfreunde-Hort »Sonnenhof« in der Nähe von Villach leitet, versucht am 12. Februar von einem Stadel aus den Widerstand zu organisieren. Die zu nächtlicher Stunde ausgegrabenen Waffenbestände des Schutzbundes erweisen sich als unbrauchbar, weil sie nach zu langer Zeit im Erdboden völlig verrostet waren. Außerdem hat das Militär bereits Wachposten an allen zentralen Orten installiert, die für Sabotageaktionen in Frage kommen.

In den meisten Fällen bleiben die Schutzbündler mangels Anweisungen ruhig. Exemplarisch ist eine Episode aus St. Peter (heute ein Stadtteil von Klagenfurt): Hier verschanzen sich Schutzbündler in einem Kellerlokal und warten vergeblich auf den Einsatzbefehl. Schließlich verlassen sie frustriert das Haus und entsorgen ihre Waffen am Heimweg: »Meine Handgranaten habe ich in die Felder geworfen, meine Armeepistole [...] habe ich in ein Klo versenkt«, erzählt einer der beteiligten Schutzbündler.

Diese »kopflose« Situation wird in den Abendstunden noch durch die Siegesmeldungen der Regierung verschärft. Die Radioberichte vom Parteiaustritt führender Kärntner Sozialdemokraten lähmen den Widerstandsgeist der Schutzbündler vollends. Tatsächlich versucht der Kärntner Landeshauptmannstellvertreter Zeinitzer gemeinsam mit dem Klagenfurter Bürgermeister Pichler-Mandorf schon seit einiger Zeit den »Weg der Verständigung« mit der austrofaschistischen Regierung zu erreichen. Am ersten Tag des Bürgerkriegs treten beide aus der Sozialdemokratischen Partei aus und erklären ihre Loyalität gegenüber der Regierung. Mit der Zustimmung Otto Bauers reist Zeinitzer nach Wien. Engelbert Dollfuß empfängt ihn noch am Abend des 12. Februar im Bundeskanzleramt und bespricht mit ihm die Gründung des »Freien Arbeiterbundes Österreichs«. Diese Organisation soll die Arbeiterschaft in sich vereinigen, ist der Vaterländischen Front (VF) angeschlossen und dem Bundeskanzler direkt unterstellt. Nachdem Vizekanzler Starhemberg offen erklärt hatte, dass man die »österreichischen Bolschewiken nicht deshalb vernichtet habe, damit sie der Kanzler wieder zum Leben erwecke«, wird die Vereinigung im Juli 1934 wieder aufgelöst.

Enttäuschung

Die Vorgehensweise der führenden Sozialdemokraten sorgt in der Arbeiterschaft für Irritation und Empörung. Joseph Buttinger, der spätere Vorsitzende der Nachfolgeorganisation der Sozialdemokratie in der Illegalität, lässt wenig später ein Flugblatt drucken »gegen die Verräter Zeinitzer und Pichler«. Er bereitet seine Ortspartei in St. Veit an der Glan bereits lange vor dem Februar 1934 auf den Untergrund vor und erkennt, dass die Februarkämpfe von vornherein verloren sind. »Ich wusste, dass ein solcher Widerstand nur sporadisch sein konnte und gegen die militärische Überlegenheit der Regierung machtlos war. Das galt besonders für Kärnten, wo der Schutzbund nur über lächerlich wenig Waffen verfügte und seine Kommandanten nicht die Voraussetzungen und die Entschlossenheit zu wirksamen bewaffneten Aktionen besaßen«, berichtet Buttinger später. Deshalb versucht er, die Schutzbundtruppe in St. Veit nur auf eine begrenzte Aufgabe vorzubereiten: »im Falle von Kämpfen in Ostösterreich sollte sie in unserem Bezirk die Straßen- und Eisenbahnbrücken sprengen, um von Kärnten ausgehende Truppentransporte zu verhindern.« Zwei Wochen vor dem Beginn der Februarkämpfe fährt Buttinger nach Wien und ersucht die Parteiführung um Dynamit für diesen Zweck. »Der Sprengstoff wurde uns versprochen, aber nicht rechtzeitig geliefert. Daher blieb mir am 12. Februar nichts anderes übrig, als mich zu verstecken, um nicht als führender Vertreter unserer nun verbotenen Partei in St. Veit verhaftet zu werden.«

Die Kommunistische Partei in Kärnten verfolgt eine aktivere Politik und fordert vereinzelt zum Widerstand auf. Etwa in St. Ruprecht (heute ebenfalls nach Klagenfurt eingemeindet), wo eine kommunistische Delegation – angeführt von einer Frau – dem Obmann der dortigen Sozialdemokratie Josef Podlipnig den Vorschlag macht, gemeinsam mit den KommunistInnen in die Offensive zu gehen. Eine Demonstration solle vor das Gebäude der Gendarmerie ziehen. Podlipnig lehnt die Aktion als falsches Mittel politischer Aktivität ab. Auch der Versuch von Kommunisten, Streiks in der Tabakfabrik Klagenfurt und anderen Betrieben zu organisieren, scheitert. Die Betriebsräte der Tabakfabrik sind fest in den Händen der Sozialdemokratie, wurden aber ohnehin bereits im Dezember 1933 von der Bundesregierung durch Personalvertretungen ersetzt.

die Straßen- und Eisenbahnbrücken sprengen, um von Kärnten ausgehende Truppentransporte zu verhindern.« Zwei Wochen vor dem Beginn der Februarkämpfe fährt Buttinger nach Wien und ersucht die Parteiführung um Dynamit für diesen Zweck. »Der Sprengstoff wurde uns versprochen, aber nicht rechtzeitig geliefert. Daher blieb mir am 12. Februar nichts anderes übrig, als mich zu verstecken, um nicht als führender Vertreter unserer nun verbotenen Partei in St. Veit verhaftet zu werden.«

Viele derer, die vom Verhalten der sozialdemokratischen Landesparteiführung enttäuscht sind, treten in den darauffolgenden Monaten der KPÖ bei. So zum Beispiel der in Dellach im Drautal aufgewachsene Josef Nischelwitzer, der sich zu den Übertritten folgendermaßen äußert: »Das löste große Aufregung aus. Die Gendarmerie wurde aktiv. In Gasthäusern […] wurde der Umstand, dass nun die Kommunisten da seien, lebhaft besprochen.« Was der Bürgerkrieg im Februar 1934 bei vielen SozialdemokratInnen jedenfalls bewegte, schildert Erwin Scharf: »Das Ereignis zwang zum Überdenken gewohnter Argumente und Überzeugungen, und es drängte förmlich dazu, bei Lenin nachzuschlagen […]. Offenbar wird es ohne Diktatur des Proletariats nicht möglich sein, den Sozialismus durchzusetzen. […] War jetzt die Zeit gekommen, um die Konsequenzen aus dem Versagen der Sozialdemokratie zu ziehen und sich der Kommunistischen Partei anzuschließen?« Aber als ihm ein Flugblatt der Revolutionären Sozialisten in die Hände fällt, entscheidet er sich – vorerst – für diese Organisation. Die Politik der Konspiration und der Umbau der Massenpartei zu einer Kaderpartei, die Buttinger und Podlipnig vorantreiben, ermöglichen den Revolutionären Sozialisten in den Folgejahren eine Stabilisierung der Organisation und ein Ende des Aderlasses in Richtung Kommunistische Partei.

Literatur:

Gerlinde Buchhäusl: Die illegale sozialdemokratische-sozialistische Arbeiterbewegung in Kärnten zwischen 1934 und 1938. Dissertation Klagenfurt 1996.

Joseph Buttinger: Am Beispiel Österreichs. Ein geschichtlicher Beitrag zur Krise der sozialistischen Bewegung. Köln 1953.

Karl Dinklage: Geschichte der Kärntner Arbeiterschaft, Bd. 2. Klagenfurt 1982.

KPÖ Kärnten (Hg.): Josef Nischelwitzer 1912–1987. Skizzen aus seinem Leben und seiner Zeit. Klagenfurt 1988.

Gerd Schindler: Der 12. Februar 1934 in Kärnten, in: Zeitgeschichte, Nr. 11/1973, S. 27–35.

Maria Sporrer (Hg.): Erwin Scharf: Zeitzeuge. Wien 1984.

Hans-Peter Weingand: Die KPÖ und der Februar 1934. Graz 2020.

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