Keine Geschmackssache Foto: Diana Leah Mosser

Keine Geschmackssache

von

Diana Leah Mosser ist nicht nur koordinierende Redakteur*in der Volksstimme, sondern auch Mitglied der Anlaufstelle bei LINKS. Gemeinsam mit vier weiteren Mitgliedern nimmt sie Beschwerden über missbräuchliches Verhalten entgegen, bei dem LINKS Aktivist*innen als geschädigte oder schädigende Personen beteiligt sind. Sie schätzt den Erfahrungsaustausch mit Betroffenen und Täter*innen, ihr könnt euch unter Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein! melden.

Triggerwarnung: Der folgende Text enthält Ausführungen über wohl missbräuchliche Beziehungen von Rockstars (z.B. Jimmy Page) zu Jugendlichen.

Er

Anfang Februar begann der Prozess gegen einen nun namentlich bekannten Schauspieler, der – so sei der Stand der Ermittlungen – sich eine große Menge an Bildern besorgt hatte, die den sexuellen Missbrauch von Minderjährigen zeigen. An manchen Stellen wurden Verbindungen zur österreichischen #MeToo-Welle gezogen, die erst im vergangenen Juni für kurze Zeit die Medien füllte. Andere versuchten klar zu stellen, dass Kindesmissbrauch und die über #MeToo verbreiteten Anschuldigungen komplett unterschiedliche Themen seien. Beim einen ging es schließlich um Kinder und beim anderen um Erwachsene. Aber wo und was ist die Grenze?

Age of Consent

Die Frage, mit der wir uns hier befassen, ist die Konsensfähigkeit junger Menschen. Ab welchem Alter und unter welchen Umständen kann ein Mensch einer sexuellen Handlung zustimmen?

Die §§ 207 und 208 des österreichischen Strafgesetzbuches sollen Jugendliche unter 18 Jahren in Zwangslagen, sowie unter strengeren Bedingungen Jugendliche unter 16 Jahren vor Missbrauch schützen. Im österreichischen Strafrecht wird daher also Personen über 16 Jahren, die sich in keiner Zwangslage befinden, die Fähigkeit zur Zustimmung zu sexuellen Handlungen generell zugesprochen. Unabhängig vom Alter weiterer an den Handlungen teilnehmender Personen.

Die Legalität sexueller Handlungen ist jedoch nicht der einzige Maßstab. Geht es um Einzelfälle, werden in der öffentlichen Meinung Handlungen mit Personen, die das 18. Lebensjahr nicht erreicht haben, skeptisch betrachtet und skandalisiert. Andererseits gelten möglichst jugendlich auftretende Menschen als sexuell attraktiv. Viele Männer bevorzugen Frauen mit hohen Stimmen, schlankem Körper, glatter Haut und Gesichtern, die nicht viel älter als 26 wirken. Es sind vor allem heterosexuelle Phantasien, die mit dem Schutzalter spielen, sowohl »Teen« (18+) als auch »barely legal« (gerade noch legal) sind beliebte Porno-Kategorien. Und wenn wir von Sex, Drugs and Rock & Roll reden, reden wir teilweise auch vom Sex mit Minderjährigen. Lori Mattix und Sable Starr († 2009) scheinen sich ihrer Intimkontakte zu Rockstars in sehr jungen Jahren gerühmt zu haben. Starr war 16, als sie dem Star-Magazine ein Interview gab, in dem sie von Intimkontakt unter anderem mit Alice Cooper (der Sänger des Liedes Poison), Rod Stewart, Mick Jagger (hat Under my Thumb gesungen) und David Bowie berichtete. Im Song Look Away singt Iggy Pop, er hätte mit der 13-jährigen Sable geschlafen. Sowohl für sogenannte Baby-Groupies, als auch wenn wir über Beziehungen volljähriger, aber relativ junger Frauen reden, spielt die Frage nach Selbstbestimmung bzw. Selbstermächtigung eine wichtige Rolle. Die Skepsis gegenüber der männlichen bzw. patriarchalen Perspektive sollte das allerdings nicht schmälern.

You‘ll be a woman soon

Als Grooming (Anbahnung) bezeichnet man die systematische Vorbereitung jüngerer Menschen auf eine intime Beziehung mit vor allem älteren Personen. Systematisch heißt nicht unbedingt absichtlich, es kann sich auch um eine Angewohnheit handeln, die als Vorliebe erscheint. Und bei genauer Betrachtung muss man zugeben, dass Jugendliche bereits durch die Gesellschaft auf »Beziehungen« zu älteren Menschen vorbereitet werden, wenn sich eben z. B. niemand an den oben aufgezählten Fällen stört. Wenn auf moralischer Ebene zwar vermittelt wird, dass 16-Jährige z. B. zu jung sind, um zu wissen, was sie tun, und dass man sie schützen müsse. Dann aber werden in der Praxis die Vorbehalte schnell durch den Vorwurf des Paternalismus, die eigentliche rechtliche Situation oder den Wunsch nach Selbstbestimmung entkräftet. Was wir dabei übersehen ist, dass Selbstbestimmung nur funktioniert, wenn wir die Möglichkeit haben, »Nein« zu sagen.

Wenn man auf Paternalismus verzichten möchte, bleibt eben trotzdem die Gefahr einer Dynamik bestehen, die den Jüngeren deutlich mehr Schaden zufügen kann als den Älteren.

Denn schwierig ist in solchen Konstellationen auch das unterschiedliche Interesse an der Beziehung. Wenn junge Partner* innen Nähe, Fürsorge, Schutz und Anerkennung suchen – vielleicht sogar eine Bleibe fern von den Eltern – während ältere Partner*innen vor allem den einfachen Zugang zu einem intimen Verhältnis schätzen, der ihnen vielleicht bei Gleichaltrigen nicht möglich ist, entsteht ein einseitiges Abhängigkeitsverhältnis. Wenn der einfache Zugang zu jüngeren Partner*innen entscheidend für die Zuneigung der älteren Person war (und wir reflektieren sowas normalerweise selten), besteht die Gefahr, dass diese Zuneigung schwindet, während die Bedürfnisse der jüngeren Person aufrecht bleiben.

Leo’s Law

Häufig wird Leonardo DiCaprios Liebesleben als trauriges Beispiel für solche Dynamiken verwendet, manche sprechen sogar von Leo’s Law. Der heute 48-jährige Schauspieler hatte nie eine Beziehung mit einer Frau, die älter war als 25. Mehrere seiner Partnerinnen hat er kennen gelernt, als sie 20 Jahre alt waren, und mit erschreckender Häufigkeit endet die Beziehung kurz bevor die Partnerinnen 26 werden. Im Internet¬forum Reddit fragen sich die Leute scherzhaft, ob Leonardo das zu Beginn der Beziehung mit seinen Partnerinnen bespricht oder ob es einen Zeitpunkt gibt, an dem er häufiger nach Streit sucht. Die Realität wird gleichzeitig einfacher und komplexer sein. So absehbar das Ende einer Beziehung sein mag, es tritt dann ein, wenn Ansprüche nicht mehr ausreichend übereinstimmen und Alternativen greifbar genug sind.

Stockholm

2015 erzählte Lori Mattix dem Internet Magazin Thrillist vom Beginn ihrer »Beziehung« zu Jimmy Page in den 70ern. Eines Tages sei der Manager von Led Zeppelin (die Band von Jimmy Page) an sie herangetreten und habe sie aufgefordert, mitzukommen. Sie beschreibt, Angst gehabt zu haben und fühlte sich gekidnappt. Der Manager brachte sie mit einer Limousine in ein Hotelzimmer in dem Jimmy Page saß, sehr ikonisch, mit breitkrempigem Hut und Stock. Sie war beeindruckt, aber eben auch eingeschüchtert, vergleicht Page mit einem Gott.

An welchem Punkt hätte sie »Nein« sagen sollen?

Im weiteren Verlauf wurde viel unternommen, um die »Beziehung« zwischen Mattix und Page geheim zu halten. Sie reisten meist getrennt und während seiner Auftritte musste sie im Hotelzimmer bleiben2. Es gab keinen anderen Alltag als den Alltag mit der Band.

Die 16-jährige Lori hat Jimmy Page verlassen, als sie ihn mit Bebe Buell (die heutige Mutter von Liv Tyler) erwischt hat.

Dem Thrillist Interview zu Folge scheint Lori Mattix auch vierzig Jahre später die Beziehung zu Jimmy Page nicht zu bereuen. Ein Guardian Artikel von 2018 zeigt allerdings, dass sich Mattix im Zuge von #MeToo noch einmal mit der Situation auseinandergesetzt und nun stärkere Zweifel über die Erlebnisse hat.3 Nach österreichischem Recht wäre das Verhalten von Jimmy Page heute wohl – auf Grund der Zwangslage – selbst strafbar, wenn Mattix damals 17 gewesen wäre.

Es ist wichtig, dass wir alle Berichte von jüngeren Menschen über ihre Beziehungen mit älteren Menschen ernst nehmen. Und dazu gehören eben auch jene Berichte, die keinen Missbrauch beschreiben. Wir sollten aber auch nicht übersehen, was es braucht, um über solche Erfahrungen offen reden zu können. Nur weil diejenigen, die ihre Erfahrungen mit uns teilen können, an einem Punkt sagen, sie seien darüber weg gekommen, hätten aus ihren Fehlern gelernt, heißt das nicht, dass sich ihre Perspektive nicht ändern wird. Oder dass andere 16-Jährige ihre Beziehung mit 30-Jährigen ebenso verarbeiten können oder wollen. Frauen stehen hier oft im Mittelpunkt der Auseinandersetzung, aber unsere Solidarität muss den Berichten junger Männer genauso wie den Berichten junger Frauen und Queers gelten.

Seventeen would never cross my mind

Im Song 29 singt Demi Lovato über intime Erfahrungen einer 17-jährigen Person, darüber nicht über Konsens Bescheid zu wissen und über große Altersunterschiede. Es ist – wenn man den Klatsch kennt oder gerade zu Beziehungen Erwachsener mit Minderjährigen recherchiert hat – naheliegend, dass Demi in dem Lied die eigenen Erfahrungen mit Wilmer Valderama beschreibt.

Offiziell kolportiert wurde die Beziehung zwischen Demi und Wilmer – wie viele andere – als Wilmer 30 Jahre alt war. Gerüchte gab es wohl schon vorher – aber da war Demi 17.

Im Lied heißt es »Endlich 29, komisch. So alt warst du damals«, »Endlich 29! 17 würd mir im Traum nicht einfallen« und »Ich hielt es für einen Teenager-Traum, eine reine Phantasie. Aber war es deine, oder meine? (…) Es war deine, nicht meine.« Holy Fvck, das Album, auf dem sich »29« befindet, wurde kurz vor Demis dreißigstem Geburtstag veröffentlicht. Im Songtext wendet sich die Perspektive. Während am Anfang die Situation der 17-Jährigen beschrieben wird, wird zum Schluss endlich die Frage nach der Perspektive des 29-Jährigen gestellt, die Demi nun – explizit nicht – verstehen kann. Wenn wir über die Beziehung Erwachsener mit Minderjährigen reden, passiert etwas Komisches. Egal wie wir argumentieren, meistens ist die Rede von den Betroffenen, die zu jung sind. Und als wäre es ihre Schuld, finden wir eigentlich keine andere Lösung dafür, als dass die Betroffenen eben älter werden müssen. Sie werden ja (meistens) auch älter, lernen dazu, werden erwachsen und leben mit Erfahrungen, die öffentlich keine Rolle spielen (dürfen).

Für die Gesellschaft scheint es, als hätte sich das Problem erübrigt, sobald Sexpartner*innen von Menschen über 30 älter sind als 18. Aber warum sollten abgezählte Jahre den Unterschied machen? Ein Dreißigjähriger soll beim Anbahnen von Kontakten mit Sechzehnjährigen keine Kontrolle ausüben. Demi Lovato singt »du hattest mich im Griff, ich spielte schön da mit«.

Es ist – nicht nur aus Sicht der Gesetzgebung – wichtig, eine (einigermaßen) klare Grenze in jungem Alter zu definieren. Diese Grenze darf aber keines Falls die Erlaubnis sein, Menschen jenseits dieser Grenze in Zwangslagen zu bringen. Auch zehn Jahre später sollten Vierzigjährige beim Kontakt mit Jüngeren ein Bewusstsein dafür haben, was Zwang bedeuten kann. Ich wünsche uns allen Freundschaften und Bekanntschaften, in denen wir unsere Erfahrungen teilen können, ohne Ratschläge und Zurechtweisungen oder gar die Aufforderung, nicht mehr darüber zu reden, zu ernten. Wir müssen aber auch Wege finden, Auseinandersetzungen auf einer öffentlichen Ebene zu führen, ohne dass von Betroffenen erwartet wird, sich in dem Ausmaß einzubringen, in dem es z. B. Demi Lovato, Lori Mattix oder die »Pionier*in-nen« von #MeToo tun konnten.

Ich

Die Betroffenen sind nicht verantwortlich für das, was mit ihnen gemacht wurde. Sie müssen sich exponieren, weil wir als Täter*innen darauf verzichten. Ich war 30, als ich einer 22 Jahre alten Internetbekanntschaft gesagt habe, dass sie eigentlich zu jung für mich ist, nur um dann doch Avancen zu machen. Das Ergebnis waren fünf Jahre Co-Abhängigkeit und Trauma-Bindung. Ich bin jetzt 39. Viele Formen der von mir ausgeübten Gewalt konnte ich reflektieren. Aus gemeinsamen Gesprächen über Altersunterschiede weiß ich, dass das ein Problem sein kann und bin achtsamer. Wir haben uns aber nie wirklich gemeinsam mit dem Problem auseinandergesetzt, weil ich es nicht begriffen habe. Die Rolle, die mein Alter, meine Berufstätigkeit, die eigene Wohnung, die Erfahrung mit der Ex-Frau, mein Auto und mein Aktivismus gespielt hat, wurde mir erst beim Schreiben dieses Artikels bewusster.

Alter ist keine Geschmackssache. Statur, Haarfarbe, Kleidungsstil und Hobbies sind Geschmacksache. Alter ist auch nicht bloß eine Nummer. Wir messen unser Alter in der gleichen Einheit, in der wir Epochen beschreiben und die Entwicklung von ¬Planeten. Alter beschreibt unseren Platz in der Zeit und wieviel Erfahrung wir bisher sammeln konnten.

Wir sollten ihm die entsprechende Bedeutung zumessen.

Jetzt ist eine gute Zeit, vorsichtig Ge¬spräche zu beginnen darüber, wie unsere älteren Freund*innen mit Altersunterschieden in Beziehungen umgehen.

2 https://www.rocksoffmag.com/lori-maddox-the-complete-story-of-the-baby-groupie/

3 https://www.theguardian.com/music/2018/mar/15/i-wouldnt-want-this-for-anybodys-daughter-will-metoo-kill-off-the-rocknroll-groupie    

AA FB share

    

Gelesen 1357 mal Letzte Änderung am Freitag, 17 März 2023 07:49
Bitte anmelden, um einen Kommentar zu posten

Kontakt

Volksstimme

Drechslergasse 42, 1140 Wien

redaktion@volksstimme.at

Abo-Service: abo@volksstimme.at

Impressum

Medieninhaber und Herausgeber:

Verein zur Förderung der Gesellschaftskritik
ZVR-Zahl: 490852425
Drechslergasse 42
1140 Wien

ISSN Nummer: 2707-1367