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Michael Graber verfolgte den Wahlkampf in Salzburg In der letzten Ausgabe der Volksstimme berichteten wir über die bemerkenswerte Tatsache, dass die Liste KPÖplus mit dem Salzburger Gemeinderat Kay-Michael Dankl an der Spitze erstmals seit den 70er Jahren in allen sechs Wahlkreisen für die Landtagswahl in Salzburg antreten konnte und die Zahl der gesammelten Unterstützungserklärungen bei weitem die Stimmenzahl der KPÖ bei der letzten Landtagswahl übertraf. Seither hatte sich das Standing von KPÖplus in der öffentlichen Wahrnehmung im Wahlkampf weiter verbessert. Haslauer oder KPÖplus Klar, dass angesichts dieser, für die österreichische Innenpolitik kleinen, für die KPÖ aber möglicherweise große Sensation, die Nervosität bei den anderen Parteien spürbar zunahm. Fiel doch das übliche Argument gegen die KPÖ, eine Stimme für ihre Liste sei eine verlorene Stimme, einfach weg. Es mussten andere Argumente her. Die SPÖ etwa warnte vor einer Stimmabgabe für KPÖplus, dies sei eine Stimme für Schwarz-Blau. KPÖplus antwortete mit einem Plakat mit der Warnung vor hohen Wohnkosten. Die Neos, die in der Landesregierung saßen und in den Umfragen hinter KPÖplus zurückgefallen waren, beschwerten sich, die KPÖ rede nur viel, die Neos hätten in der Wohnungspolitik mehr umgesetzt als die KPÖ in Graz. Das Thema war ein Kernthema des Wahlkampfs in…
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(Dis)harmonische Reflexionen von Klemens Herzog und Leonore Beranek An einer verglasten Fassade eines Hochhauses in der Wiener Leopoldstadt prangt in großen gelben Lettern der Schriftzug »EVERYBODY SHOULD LIKE EVERYBODY«. Jeder soll jeden mögen. Tausende Menschen passieren jeden Tag diese Botschaft. Und dennoch leben wir in einer Gesellschaft voller Abneigung, Missgunst und Gewalt. Bemerkenswert, oder? Wo wir doch von klein auf zu hören bekommen: »seids lieb zueinander«. Die (groß-)elterliche Spielart eines Verses aus dem Johannes-Evangelium: »An eurer Liebe zueinander wird jeder erkennen, dass ihr meine Jünger seid.« Das erinnert mich an jene Zeit, als ich noch gebetet habe. Das war so Mitte der Neunziger und ich ein Kind. Jeden Sonntag war ich mit in der Kirche. Wie das mit dem Beten geht, war mir also bekannt: Den lieben Gott anrufen. Dabei die Hände zusammen. Und ihn um etwas bitten. Eine andere Routine in meiner Familie war die Zeit im Bild. Die lief jeden Abend, Josef Broukal hat moderiert. Damals wie heute waren die Nachrichten nicht immer schön anzusehen. Vor allem für ein Kind. Wenn es besonders schlimm war, dann habe ich im Dunkeln, beim Einschlafen, gebetet. Für den Frieden, dass es keinen Krieg gibt, dass niemand hungern muss. Dass alle alle…
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Danai Koltsida plädiert für einen Politikansatz der Menschlichkeit und der Gefühle »Ruf mich an, wenn du ankommst.« Dies sind die Worte einer Mutter, kurz bevor wir die Haustür hinter uns schließen. Es ist die Botschaft der besten Freundin, wenn wir uns nach einer Nacht trennen. Seit jener schrecklichen Nacht des 28. Februar, als sich das katastrophale Zugunglück im griechischen Tembi ereignete, sind sie zu einem wichtigen Slogan geworden. Sie sind auf Straßen und Mauern zu lesen, wurden auf selbstgebastelte Plakate geschrieben, wurden zu Aufklebern an Schultaschen und auf Schulhöfen angebracht. Ein so einfacher und vertrauter Satz wurde zum mächtigsten Slogan, zum Motto eines der Höhepunkte der sozialen Mobilisierung der letzten Jahre in Griechenland, die sich dadurch auszeichnet, dass überwiegend junge Menschen daran teilnehmen. Wie konnte ein Satz, der voller Sorge und Zärtlichkeit ist, aber keine Klage, keine Forderung, kein Versprechen, keine Analyse enthält, so prägnant und besser als jeder andere ausdrücken, was so viele Menschen, die die Straßen und Plätze füllen, fühlen? Und, was noch wichtiger ist, ist es eine Ausnahme? War es die Art des Ereignisses – der tragische Unfall in Tempi –, die dem öffentlichen Raum und dem politischen Diskurs so entscheidend Emotionen aufzwang? Das »Zeitalter des Geschlagenwerdens«…
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Von Dr. Franz Kerner »Lasst uns faul in allen Sachen, nur nicht faul zu Lieb‘ und Wein‘ und nicht faul zur Faulheit sein!« Gotthold Ephraim Lessing Das Klimaticket, das ich mir unlängst gekauft habe, hat mein Leben, das immer schon ein feines war, noch besser gemacht! Letzte Woche war ich bei Bekannten in Innsbruck, vor zwei Wochen bei Verwandten in Graz, davor in Kitzbühel, Eisenstadt und in Groß-Gerungs. Ich bin gerne dorthin gefahren, habe gerne meine Zeit mit den Besuchenden verbracht, gerne interessante Gespräche mit ihnen geführt und sie auch sehr gerne teilhaben und zuschauen lassen an meinen Faulheitshandlungen, der Zelebration meines Müßigganges und meiner Anstrengungsvermeidung. Wenn ich niemanden besucht habe, bin ich zu Hause geblieben und habe Leute zu mir eingeladen, sie bekocht und mich mit ihnen unterhalten; oder ich habe gelesen, aus dem Fenster geschaut, bin schwimmen, spazieren, wandern, in ein Museum, eine Sauna oder in eine der städtischen Bibliotheken gegangen, bin ohne viel Aufhebens bequem in einem Sessel gesessen, habe geschlafen oder ein Porträt gemalt. Dazwischen habe ich (genussvoll und aus Leidenschaft) nichts getan. Ab und zu habe ich mich auf das AMS bewegt. Ich habe mich dort blicken lassen (müssen), weil ich langzeitarbeitslos und ein…
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Armut trotz Arbeit ergibt sich aus den verbreiteten Niedriglöhnen – mehr als jede fünfte Frau und mehr als jede fünfte im Ausland geborene Person sind davon betroffen – und aus den häufig unterbrochenen Beschäftigungen. Von Jörg Flecker In einem Interview für ein soziologisches Forschungsprojekt brachte eine befragte Person ihre prekäre Lebenslage so auf den Punkt: »Armut macht unglaublich erpressbar«. Sie hat damit den Mangel an Wahlmöglichkeiten angesprochen und die Notwendigkeit, niedrig bezahlte und ungesunde Arbeit hinnehmen zu müssen. Karl Marx hat diesen »stummen Zwang der ökonomischen Verhältnisse« als Mittel der Unterwerfung der entstehenden Arbeiterklasse unter die menschenverachtenden Bedingungen der kapitalistischen Lohnarbeit im 19. Jahrhundert beschrieben. Im 21. Jahrhundert erleben viele auch in der Mitte Europas diesen stummen Zwang nach wie vor – oder wieder. Das hat mit der Ausbreitung von Niedriglohnbereichen und unsicherer Beschäftigung zu tun, die oft als Prekarisierung beschrieben worden ist. Erwerbsarbeit bedeutet auch in Vollzeit nämlich bei weitem nicht für alle, dass sie ihre Lebenskosten decken könnten und ihre Zukunft planbar wäre. Im Gegenteil: Armut trotz Arbeit und häufiger Jobverlust mit Perioden der Erwerbsarbeitslosigkeit sind für hundert-tausende Arbeitende in Österreich bittere Realität. Der Soziologe Pierre Bourdieu hat diese Prekarität in einer seiner gesellschaftspolitischen Interventionen als Herrschaftsform bezeichnet.…