v. l.n.r.: Luan Pertl, Tinou Ponzer, Paul Haller v. l.n.r.: Luan Pertl, Tinou Ponzer, Paul Haller
12 Juni

Hoch die Inter*... Pride

von

Der Verein Intergeschlechtlicher Menschen Österreich hat – gemeinsam mit der Hosi Salzburg und der Plattform Intersex Österreich ein Buch zusammengestellt. Einen Tag vor der ersten Präsentation von Inter* Pride hat sich Diana Leah Mosser mit Tinou Ponzer getroffen. Tinou hat das Buch gemeinsam mit Luan Pertl und Paul Haller herausgegeben. Auf über 400 Seiten bietet es ausgesprochen wertvolle Einblicke in die Realität von inter* Personen weltweit.

Hallo Tinou, danke für das Treffen, ich starte gleich los: Kannst du den Leser*innen erzählen, was der Verein Intergeschlechtlicher Menschen Österreich ist?

TINOU PONZER: Vimö ist ein Verein zur Selbstvertretung und Selbstbestim-mung intergeschlechtlicher Menschen. Wir arbeiten zu Menschenrechten, bieten Aufklärung zum Thema Intergeschlechtlichkeit an, aber auch Unterstützung für inter* Menschen und deren Familien über Community-Angebote oder unsere Peer-Beratungsstelle VarGes. VarGes ist ein Kurzwort für Variationen der Geschlechtsmerkmale – Menschen mit Variationen der Geschlechtsmerkmale ist auch ein Begriff, den wir verwenden. In unserer Peerberatung sind diejenigen die Berater*innen, die selbst oder z. B. ein Kind mit Variationen der Ge schlechtsmerkmale haben und dadurch ähnliche Erfahrungen teilen können wie diejenigen, die Beratung suchen. Peer-Bera-tung schöpft auch aus einem wichtigen Wir-Wissen und hat bestärkenden Charakter. Wir arbeiten Diagnosen-übergreifend und Medizin-unabhängig.

Kannst du den Begriff der Intergeschlechtlichkeit kurz erklären?

TINOU PONZER: Ja. Die Medizin und die Gesellschaft allgemein ordnen die Ge schlechtsmerkmale und die geschlechtliche Entwicklung generell weiblichen und männlichen Eigenschaften zu und grenzen diese Eigenschaften stark voneinander ab. Körper, Geschlechtsmerkmale entwickeln sich aber eben nicht immer ganz typisch männlich oder ganz typisch weiblich. Das betrifft mindestens 1,7 Prozent der Bevölkerung. Der Begriff »intergeschlechtlich« kann das benennbar machen oder zusammenfassen und ist einfach die deutsche Übersetzung von »intersex«. Verbreitet ist er aber nicht so, denn geschlechtliche Vielfalt wird in der Regel immer noch sozial, medizinisch, rechtlich, aber auch sprachlich stark unsichtbar gemacht.

 

Sehr gut, danke. Nun zu eurem Buch. Inter* Pride. Was steht drin?

TINOU PONZER: Wir haben für das Buch sehr viele Interviews gemacht, insgesamt sind es über 30 Beiträge aus verschiedenen Teilen der Welt. Wir haben versucht, den Lebensrealitäten, den Erfahrungen mit Inter*-Aktvismus und der Menschenrechtssituation intergeschlechtlicher Menschen in dem Buch viel Platz zu geben, in dem wir viele Leute dazu sprechen oder schreiben haben lassen. Der Fokus des Buches fällt stark auf den geografi-schen Bereich, wo wir aktiv sind, aber wir haben auch Beiträge aus Argentinien, Nigeria, Australien, aus den USA, Taiwan und noch einigen anderen Ländern. Das Buch ist aufgeteilt in drei Teile. Im ersten Teil behandeln wir die Situation in Österreich, gehen zur Situation in Europa über. Dann kommt der Interviewteil. Beim Wort Inter:view spielen wir bewusst mit der Doppeleutigkeit (inter* + view – für Blick) und schließen mit künstlerischen Beiträgen.

Du hast die menschenrechtliche Situation angesprochen, wie schaut es da aus – z. B. in den Ländern, die du erwähnt hast?

TINOU PONZER: Da würd ich vorschlagen, dass man zu einer der Buchpräsentationen kommt …

… oder das Buch kauft :)?

TINOU PONZER: ... ja, weil die Situationen im Buch ja durch Personen beschrieben werden, die selbst dort leben oder spezifisches Fachwissen oder aktivistische Entwicklungen mit uns teilen.

Nach zwei online Präsentationen haben wir im Juni intensiv Termine angesetzt, bei denen wir das Buch genauer vorstellen und teilweise daraus vorlesen. Und zwar in Wien, Salzburg und Linz. Auch Autor*innen und Interviewpartner*innen nehmen manchmal aktiv an den Veranstaltungen teil. Nach den Sommermonaten wird das dann sicher weiter gehen.

Mit diesem Buch nehmen wir quasi Kontakt auf zu den vielen verschiedenen inter* Bewegungen weltweit, selbst wenn es nur kleine Gruppen sind. Die Zahl der Organisationen ist in den letzten zwei Jahrzehnten stark gestiegen. Es haben sich Communities gebildet, die sich bestärken, einander fördern und für ihre Rechte eintreten.

Inter* Pride, was ja auch der Titel des Buchs ist, entsteht durch diese gemeinsame Organisierung. Dadurch, dass wir uns finden und feststellen, dass wir nicht alleine sind. Dass die Erfahrungen, die wir machen, strukturelle Probleme und nicht individuelle Probleme sind. Wir wachsen immer noch isoliert auf. Wir bekommen Diagnosen, die sagen, unsere Körper hätten Erkrankungen, weil sie intergeschlechtlich sind, anstatt dass die Vielfalt darin erkannt wird.

Das ist eine Erfahrung, die wir weltweit teilen, auch wenn die Geschichten dann in jedem Land nochmal anders ausgestaltet sein können. Normen bestimmen in Gesellschaft und Medizin sehr viele Dinge. Unsere Körper werden fast überall durch hormonelle oder operative Behandlungen an diese Normen angepasst. Beziehungsweise wird vermittelt, dass dies der not-wendige oder richtige Weg wäre, um als »normal« gelten zu können. Und dadurch, dass halt nirgends wirklich ganz offen über Geschlechtervielfalt geredet wird, entstehen für uns dann ähnliche soziale Herausforderungen und Erfahrungen.

Die Diagnoseschlüssel für Intergeschlechtlichkeit befinden sich auch nicht in einem eingegrenzten Teil des Internationalen Krankheitsindex. Sie sind breit und abhängig davon, welche körperliche Ebene betroffen ist. Wenn es um Stoffwechsel-»erkrankungen« geht, sind da halt ein paar Diagnosen drin, wenn es um sogenannte »Fehlbildungen« von Genitalien geht, steht das wieder ganz woanders.

 

Und es klingt eigentlich nicht so, als würde man sich da gern reinlesen. :( Gibt es ein Thema, über das besonders viele Autor*innen geredet haben?

TINOU PONZER: Uns ist in den Beiträgen aufgefallen, dass das Thema Sprache in vielen Beiträgen Thema ist. Dadurch, dass man durch die Umwelt nichts Positives vermittelt bekommt, entsteht für viele das Gefühl, allein zu sein. Das Gefühl falsch zu sein, ein Monster zu sein – schirch zu sein. Die eigene Intergeschlechtlichkeit wird auch oft in einem pathologisierenden Setting besprochen. Das ist dann die Sprache, mit der man dann sehr lange auch alleine beschäftigt ist. Eine positive, bestärkende, nicht diskriminierende Sprache müssen die meisten intergeschlechtlichen Menschen erst finden. Und dabei hilft es, andere Menschen zu kennen, die solche Themen quasi auf einer menschenrechtsbasierten Ebene – auf Ebene der Menschenwürde eigentlich sogar – behandeln. So gesehen ist es schon etwas Aktivistisches, überhaupt über Intergeschlechtlichkeit zu sprechen.

Die weltweite Vernetzung hat extrem viel voran gebracht und auch individuell Menschen geholfen, wenn sie in Situationen leben, wo auf staatlicher Ebene – oder auch auf anderen Ebenen – viel Gewalt gegen inter* Menschen passiert. Es gibt auch Menschen, die auf Grund ihrer Intergeschlechtlichkeit flüchten, oder auf Grund ihrer aktivistischen Betätigung für das Thema. Und für sie ist diese Vernetzung eine große Hilfe.

Okay Tinou, danke. Das war leider gefühlt sehr kurz. Naja, für ein richtiges Interview müssen die Leser*innen wohl wirklich euer Buch lesen :) Ich bin jedenfalls super neugierig jetzt. Ich wünsch euch eine erfolgreiche Tour mit dem Buch!

TINOU PONZER: Danke, Diana.

Tinou Ponzer ist Inter-Aktivistin, Vize-Obmensch von VIMÖ – Verein Intergeschlechtlicher Menschen Österreich und tätig bei VIMÖ Wien. Tinou Ponzer macht Peer-Beratung und Bildungsarbeit bei der Beratungsstelle für Variationen der Geschlechtsmerkmale VAR.GES und ist Mitglied der Plattform Intersex Österreich.

Termine:

24/06/2022 Lesung & Gespräch in der Stadtwerkstatt Saal in Linz

08/06/2022 Lesung & Kunstausstellung im Shakespeare in Salzburg

07/06/2022 Gespräch & Lesung in der Buchhandlung Löwenherz in Wien

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