Europas zweiter Griff nach Afrika

von

Eine Analyse von Jörg Goldberg

Die afrikapolitischen Initiativen der Europäischen Union und ihrer Mitgliedsländer sind Legion: Marshallplan mit Afrika, Comprehensive Strategy with Africa, Compact with Africa – selbst Fachleute verlieren den Überblick. »Alle zwei Jahre kommt aus Europa eine Initiative für Afrika. Wir werden damit überschüttet«, klagt Entwicklungs ökonom Carlos Lopes aus Guinea-Bissau.

Erdgas und grüne Energie für Europa

Auch der sechste EU/Afrika-Gipfel im Februar 2022 sollte wieder Ausgangspunkt für eine »neue, zukunftsorientierte und ehrgeizige Grundeinstellung« werden (Charles Michel, Präsident des Europäischen Rats). Präsident Macron will »eine grundlegende Neugestaltung der Beziehungen« zwischen Afrika und Europa, wie er vor Antritt der französischen EU-Ratspräsidentschaft im Dezember 2021 erklärte. Hintergrund ist das europäische Bestreben, Afrika zum Lieferanten von Erdgas, Solarenergie und grünem Wasserstoff zu machen. Dies stößt dort auf wenig Begeisterung: Die afrikanischen Länder befürchten vielmehr, dass ihnen durch die von der EU geplanten Abgaben auf Importe nach Maßgabe der CO2-Belastung Nachteile entstehen. Sie wenden ein, dass es in der Verantwortung der Haupt emittent:innen liege, im Klimaschutz aktiv zu werden.

Die propagierte »Energiepartnerschaft« wird mit Skepsis betrachtet. Für Afrika als Hauptopfer der Klimakrise kommt es darauf an, dass der Kontinent bei der Anpassung an die Folgen des vom globalen Norden verursachten Klimawandels unterstützt wird. Davon war aber kaum die Rede. EU und Afrikanische Union (AU) einigten sich schließlich auf eine »gemeinsame Vision für 2030« mit dem Kernstück »Global Gateway Africa« (GGA). Mittel der Europäischen Entwicklungsbank sollen private und öffentliche Investitionen in Infrastruktur, Klimaschutz, Gesundheit und Bildung bis zu 150 Milliarden US-Dollar (bis 2030) anregen. So soll der chinesischen Neuen Seidenstraße Konkurrenz gemacht werden. Ob daraus was wird, steht in den Sternen. Es ist zu befürchten, dass es sich dabei nicht um zusätzliche Mittel handelt, sondern dass lediglich umgeschichtet wird.

Das Problem der vielen Afrika-Initiativen ist, so der Präsident des German Institute of Global and Area Studies, Robert Kappel, dass dabei nicht von afrikanischen Entwicklungsinteressen ausgegangen wird. Hauptzweck sei es, Flüchtlinge abzuwehren und den Einfluss Chinas und Russlands zurückzudrängen. Hinzu kommt der europäische Rohstoffhunger, bei dem neuerdings die Energieversorgung durch erneuerbare Energien eine wachsende Rolle spielt. »Die EU und ihre Mitgliedsstaaten haben geopolitische Interessen in Afrika. Unser Wachstum, unsere Sicherheit – all das hängt davon ab, was in Afrika passiert, vielleicht mehr noch als in anderen Teilen der Welt«, argumentierte Joseph Borrell, Außenbeauftragter der EU, bei Verabschiedung der EU-Afrikastrategie im Jahre 2020. Angesichts des drohenden Zerfalls globaler Lieferketten möchte sich Europa einen privilegierten Zugang zu afrikanischen Ressourcen sichern.

Afrikanische Entwicklungsprobleme kamen auch beim Gipfeltreffen im Februar nicht zur Sprache. Damit zusammenhängende Fragen werden – wenn überhaupt – an anderer Stelle, so im Kontext der EU-Wirtschaftspartnerschaftsabkommen (WPA), verhandelt; Beratungen, an denen die AU nicht beteiligt ist. Weder die europäische Agrarpolitik, die Afrikas Nahrungsmittelversorgung in fatale Abhängigkeit von Importen gebracht hat, noch die Handelspolitik der EU mit Afrika sind Gegenstand von Vereinbarungen »auf Augenhöhe« zwischen EU und AU. Diese werden gesondert verhandelt, wobei die EU jeweils einzelnen afrikanischen Ländern bzw. Ländergruppen gegenübersteht, die sie gegeneinander ausspielen kann. Im Ergebnis der WPA-Verhandlungen sollen niedrigere Zollschranken zwischen EU und Afrika stehen, mit Differenzen zwischen den afrikanischen Ländern. Das behindert den innerafrikanischen Handel und die Integration des Kontinents.

Eines der großen Entwicklungshemmnisse Afrikas aber ist die geringe Verflechtung der afrikanischen Volkswirtschaften. Ohne eine vertiefte afrikanische Arbeitsteilung wird es nicht gelingen, die für die Schaffung von Arbeitsplätzen unabdingbare verarbeitende Wirtschaft aufzubauen. Afrika bleibt Rohstofflieferant. Wenn jetzt der Fokus auf den Ausbau erneuerbarer und anderer Energien gelegt wird, geht es wiederum um europäische Interessen. Sicher benötigt der afrikanische Kontinent Elektrizität. Es ist aber zu befürchten, dass wie bei traditionellen Rohstoffen die Lieferverbindungen zu Europa im Vordergrund stehen. Der GGA atmet die koloniale Vergangenheit des »scramble for Africa«, wie schon die Aufteilung des Kontinents durch die Kolonialmächte nach 1870 bezeichnet wurde.

Das Entwicklungsdilemma Afrikas

Derzeit beträgt der Handel innerhalb des Kontinents nur 15 Prozent des afrikanischen Außenhandels (in Europa sind es fast 70 Prozent). Gleichzeitig liegt der Anteil der verarbeitenden Industrie an der afrikanischen Wertschöpfung unter zehn Prozent. In den Jahren des starken, durch hohe Rohstoffpreise getriebenen Wirtschaftswachstums zwischen 2000 und 2015 ist dieser Anteil sogar noch gesunken. »Afrika war gut was das Wachstum betrifft, schwach aber war der notwendige Strukturwandel«, bilanziert der Ökonom Helmut Asche in seinem 2021 erschienenen Buch Regional Integration, Trade and Industry in Africa. Fehlende Industrie und niedrige wirtschaftliche Integration aber bedingen sich gegenseitig. Zwischenstaatliche Arbeitsteilung funktioniert nur im Kontext einer differenzierten Industrie. Diese kann sich nur bei gut integrierten Märkten ent wickeln. Denn die Inlandsmärkte der afrikanischen Länder (Ausnahmen Nigeria und Südafrika) sind zu klein, um eine Verarbeitungswirtschaft aufzubauen. Nur durch Wirtschaftsintegration können ausreichend große Absatzmärkte entstehen.

»Afrika steckt in einem Teufelskreis: Industrien benötigen gut integrierte Wirtschaftsregionen, diese aber können nur entstehen im Kontext einer sinnvollen industriellen Arbeitsteilung«, beschreibt Asche das afrikanische Dilemma. Ohne Integration keine Industrie, ohne Industrie keine Integration. EU-Handelsabkommen mit afrikanischen Ländern, die einseitig den Handel mit der EU fördern, behindern die afrikanische Integration, weil sie das relative Gewicht innerafrikanischer Handelshemmnisse erhöhen und die Spielräume für Industriepolitik verringern. Agrarexperte Francisco Mari von Brot für die Welt meint, dass die WPA »mehr Schaden angerichtet (haben) als Nutzen gestiftet«. Afrikanische Kritiker:innen der WPA, darunter Benjamin Mkapa, ehemaliger Präsident Tansanias, werfen der EU eine »divide-et-impera« (teile und herrsche) Strategie vor. Bei den WPAs handle es sich um eine »zweite Berlin-Konferenz«, bei der die Kolonialmächte Ende des 19. Jahrhunderts Afrika unter sich aufteilten.

Die afrikanische Freihandelszone und die Handelspolitik der EU

Als im Mai 2019 das Abkommen über die Afrikanische Kontinentale Freihandelszone (AfCFTA) mit 54 beteiligten Ländern in Kraft trat, war das ein historischer Moment. Dennoch ist klar, dass die Realisierung Zeit braucht, zumal es nicht einfach ist, die von der AU als »Bausteine« anerkannten acht Regionalen Integra tionszonen einzubinden. Trotzdem könnte die AfCFTA zum »game changer« der Entwicklung Afrikas werden. Die EU begrüßte offiziell die Initiative, sieht aber keinen Grund, ihre Handelspolitik zu überprüfen: »Überlegungen, die Handelspolitik der Europäischen Union (EU) gegenüber Afrika anzupassen sind allerdings verfrüht«, meint die Stiftung Wissenschaft und Politik, außenpolitischer ThinkTank der deutschen Bundesregierung. Tatsächlich hat Afrika bei der Umsetzung schon jetzt beachtliche Fortschritte gemacht. »An gesichts der kurzen Zeitspanne, der ehr geizigen Liberalisierungsziele sowie der Heterogenität und großen Zahl von 54 Mitgliedstaaten, die über die Freihandelszone verhandeln, ist dies ein enormer diploma tischer und politischer Erfolg«, lobt die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit.

Die Haltung der EU ist dagegen geeignet, die afrikanischen Integrationsbemühungen zu behindern. Dies wurde bei einer Debatte im Europaparlament am 5. Juli 2022 deutlich, bei der es um die »Zukunft der Handelsbeziehungen zwischen der EU und Afrika« ging. Helmut Scholz von der Fraktion Die Linke kritisierte als Berichterstatter die EU-Politik hinsichtlich der AfCFTA: »Der Handel in und mit Afrika ist heute viel zu fragmentiert. Aus meiner Sicht trägt die Europäische Union zu diesem Problem durchaus mit bei.« Er forderte die EU- Kommission auf, »die bestehenden Wirtschaftspartnerschaftsabkommen einer tiefen Analyse zu unterziehen, ob sie dem afrikanischen Integrationsprozess helfen oder im Wege stehen.« Man solle »nicht krampfhaft an dem 20 Jahre alten EPA- Konzept« festhalten, »sondern besser diese neue Dynamik der afrikanischen Frei handelszone aufgreifen«.

Dazu ist die EU aber nicht bereit. Ex-Kommissionspräsident Juncker hatte in Hinblick auf die AfCFTA 2018 bekräftigt, dass die Umsetzung der WPA mit einzelnen afrikanischen Staatengruppen nach wie vor zentral sei. Bislang ist nicht absehbar, dass sich die EU von den in Afrika ungeliebten WPAs verabschiedet zugunsten einer rückhaltlosen Unterstützung des afrikanischen Integrationsprozesses. --

Jörg Goldberg, Ökonom, entwicklungs politischer Gutachter, Politikberater in Benin und Sambia, Redaktionsmitglied von Z. Zeitschrift Marxistischer Erneuerung.

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Gelesen 1319 mal Letzte Änderung am Freitag, 02 September 2022 13:05
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