ALLTAGSGESCHICHTEN

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In den Wahlkampfspots und auf den Werbeplakaten der Wiener Regierungs ­parteien tummeln sich ausschließlich glückliche Mieter und Mieterinnen. Doch die Realität schreibt auch andere Geschichten. Die Volksstimme hat drei von ihnen ge ­sammelt.

VON KLEMENS HERZOG

Wiener Wohngeschichten

Stell dir vor, es gibt ein Gesetz, das die Höhe deiner Miete deckelt. Deinem Vermieter, deiner Vermieterin ist das egal. Jeden Monat musst du ihnen mehr Geld überweisen, als ihnen zusteht, sonst fliegst du raus. Die Geschichte erzählt Klemens Herzog.

Vor einigen Jahren bin ich mit meiner Partnerin in eine Altbauwohnung im 15. Bezirk gezogen. Es ist ein schönes Jugendstilhaus, das wegen besonderer Fliesen im Stiegenhaus sogar in irgendeinem Reiseführer drinnen steht. Immer wieder mal stehen Schaulustige vor dem Haustor und freuen sich, wenn sie einen kurzen Blick hineinwerfen dürfen. Die Vermieter wohnen auch im selben Haus. Das hat den Vorteil, dass die Betriebskosten, die anteilsmäßig auf alle Hausparteien aufgeteilt werden, sehr gering sind. Dennoch war die Miete recht üppig. Wir wussten, dass da etwas nicht passen kann und ließen den Mietzins von der Mietervereinigung überprüfen. Und siehe da: wir mussten den Besitzern jeden Monat viel mehr überweisen, als gesetzlich erlaubt wäre. Weil wir einen befristeten Vertrag hatten und auf das Wohn-Wohlwollen unserer Vermieter angewiesen waren, verzichteten wir vorerst auf unser Recht.

Letztes Jahr sind wir aber aus der Wohnung ausgezogen, weil wir ein Kinderzimmer brauchten. Dabei hatten wir ein weinendes und ein lachendes Auge. Weinend, weil uns das Grätzl sehr gut gefallen hat. Lachend, weil wir nun endlich unser Recht einfordern konn­ten. Wir strengten mit Hilfe der Mietervereini­gung ein Verfahren bei der Schlichtungsstelle an. Ein Vermessungsgutachten ergab zudem, dass die Wohnung sechs Quadratmeter weni­ger hatte, als im Mietvertrag angegeben. Ende August war schließlich die Verhandlung, die mit einem Vergleich endete. Wenn die Ver­mieter in den nächsten Tagen keinen Ein­spruch mehr einlegen, bekommen wir über zehn Tausend Euro zurück.

Unsere Vermieter waren menschlich immer sehr korrekt und höflich. Dennoch will ich festhalten: Wenn ich in die nächste Bank gehe und mir einen fünfstelligen Betrag mitnehme, der nicht mir gehört, gehe ich für zehn Jahre oder mehr ins Gefängnis. Wenn ein Vermieter so etwas macht, gibt es keine einzige Konse­quenz für ihn. Ich finde, dass zumindest kon­trolliert gehört, ob er unsere NachmieterIn­nen auch wieder über den Tisch zieht.

Stell dir vor, du liest in der Zeitung, dass das Haus, in dem du wohnst, abgerissen wer­den soll. Die Geschichte erzählt Stefan Ohrhal­linger.

Zufällig erfuhr ich, dass das Haus, in dem ich wohnte, abgerissen werden sollte. Ich alar­mierte einen Pressekontakt und lancierte einen Protestartikel, den ich im Haus bei den bis dahin kaum bekannten Nachbar*innen ver­teilte. Per Zettel am Schwarzen Brett und spä­ter im Postkasten rief ich zu Mieter*innenver­sammlungen auf. Wir tauschten Informatio­nen und ich organisierte eine Mietrechtsbera­tung mit Josef Iraschko von der Mieter*innen-Initiative. Wir wählten eine Delegation und verlangten einen Termin mit dem Eigentü­mervertreter. Dieser wollte zuerst nicht im Beisein eines Rechtsanwaltes mit uns reden und diffamierte mich als Kommunist, um die Hausbewohner*innen zu spalten.

Nachdem ihm klar geworden war, dass er uns nicht überzeugen konnte, auf unser Miet­recht gratis zu verzichten, bedrohte er uns mit »der vollen Liste der Kündigungsgründe im Mietrechtsgesetz«. Es wurden dann auch bald mehrere, vor allem finanzschwache Mietpar­teien unter fadenscheinigen Gründen gekündigt oder zogen aus, ohne eine Abfindung oder adäquates Wohnungsan­gebote zu erhalten.

Daraufhin gründeten wir eine BürgerIn­neninitiative, die – unterstützt von der Initiative Denkmalschutz – die Erhaltung des 170 Jahre alten Gebäudes, des ehema­ligen Grand Hotel National, forderte. Wir schafften es, dass über unser Anliegen und die Interessen der Mieter*innen meh­rere Tageszeitungen und der ORF berich­teten. Gemeinsam sammelten wir über 600 Unterschriften für eine Petition an den Gemeinderat, und in der Folge wurde die Fassade unter Denkmalschutz gestellt, sodass es nicht mehr abgerissen werden darf.

Die verbleibenden Mietparteien – ich zog vor einem Jahr in ein selbstverwalte­tes Wohnprojekt – kennen nun ihre Rechte, wurden politisiert und werden keine Verschlechterung ihrer Wohnsitua­tion akzeptieren.

Stell dir vor, der Makler will ein Trink­geld von dir. Aber du willst ihm keines geben. Die Geschichte erzählt Julia Fuchs.

Die Geschichte ist schnell erzählt. Wir haben für unsere Dreier-WG eine pas­sende Wohnung gesucht. Wir hätten sehr gerne eine ohne Makler gefunden, aber das war echt unmöglich. Mit Makler ging es dann recht schnell, eine gut geschnit­tene Wohnung im 17. Bezirk mit netter Küche zum Zusammensitzen. Der Makler bekam von uns über 2.000 Euro dafür, dass er uns einmal in der Wohnung herumgeführt hat und den Mietvertrag aufsetzte. Als wir uns den verrechneten und bereits bezahlten Betrag genauer angesehen haben, kamen wir drauf, dass sich ein kleiner »Rechenfehler« einge­schlichen hat. Die Umsatzsteuer wurde bei der Bruttomiete miteinbezogen und schlug damit gleich doppelt zu Buche. Zum Glück für uns hatten wir einem Miet­rechtsanwalt in unserem Bekanntenkreis. Er kannte diesen »Rechenfehler« bereits und setzte einen Musterbrief mit Klags­drohung auf. Zwei Wochen später hatten wir die 200 Euro, die wir zu viel an Provi­sion bezahlt hatten, wieder am Konto.

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Gelesen 4375 mal Letzte Änderung am Mittwoch, 04 November 2020 08:57
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