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07 Februar

KOALITIONSPAKT: Das Kleingedruckte

von

MICHAEL GRABER sucht und findet Verborgenes im Koalitionspakt von Türkis-Grün.

»Besser Mitte-Rechts mit den Grünen als mit einer rechtsextremen Par­tei.« Mit dieser politischen Philosophie begann der neue grüne Vizekanzler sein öffentliches Wirken. Sie ergänzt den Satz des Kanzlers, der davon sprach, die neue Regierung vereine das Beste aus den zwei Welten, die der türkisen Mitte-Rechts-Poli­tik und die der Öko-Agenden der Grünen. Allerdings ist auch Blau dabei, ohne dabei sein zu müssen. Wir brauchen hier nicht über die tatsächlichen Kräfteverhältnisse, was hier nebeneinandersteht, zu resümie­ren. Sie sind offensichtlich, bekannt und wurden ausführlich kommentiert.

Überrascht hat aber dann doch, dass als eine der ersten Maßnahmen, die die Regie­rung ankündigte, die im September von allen Parteien mit Ausnahme der Neos beschlossene und ab 1.1.2020 geltende Hacklerregelung (abschlagsfreie Pension nach 45 Arbeitsjahren mit 62 Jahren) wie­der gekillt werden soll. Das erinnert an den Antritt der schwarz-blauen Regierung, deren erste Maßnahme Anfang 2018 war, die Aktion 20.000 zugunsten älterer Arbeitsloser abzuschaffen. Grüner Kommentar: Es sei ungerecht gegenüber Frauen, Männer mit 62 Jahren ungestraft in Pension gehen zu lassen, solange das Pensionsalter der Frauen 60 Jahre beträgt. Eine Angleichung des gesetzlichen Pensi­onsantrittsalters nach unten ist also unvor­stellbar?

In diesem Beitrag soll eher das »Kleinge­druckte« in einigen wenigen ausgewählten Kapiteln sichtbar gemacht werden, auf die sich die Regierungsparteien im Koalitions­pakt geeinigt haben und auf das in den gän­gigen Medien kaum oder gar nicht einge­gangen wurde.

Wie eh und je

Umverteilung von unten nach oben: Neh­men wir das Kapitel Wirtschaft und Finan­zen. Dass dabei Grün nichts mitzureden hatte (vielleicht mit Ausnahme der erst zu konzipierenden CO2-Steuer oder deren Derivate) ist klar. Die schrittweise Senkung der unteren Grenzsteuersätze ist zwar posi­tiv für kleine und mittlere Einkommen (mit Ausnahme der kleinsten Einkommensbe­zieherInnen, die keine Einkommensteuer zahlen), gilt aber zum Teil nur ab, was die kalte Progression seit der letzten Steuerre­form weggefressen hat. Der nach oben umverteilende Nebeneffekt besteht aber darin, dass davon auch die Höchsteinkom­men profitieren, was noch durch das Aus­laufenlassen des Höchststeuersatzes von 55 Prozent für Einkommen über eine Million Euro ab 1.1.2020 verstärkt wird. Hier scheint die Regierung den Symboleffekt erkannt zu haben, denn nun plädieren der Finanzminister und der Kanzler für die Bei­behaltung, offen bleibt allerdings, ab wann und wie lange. Geplant wird weiters die Senkung der Profitsteuer der großen Kon­zerne von 25 auf 21 Prozent, was einen Steuerausfall von 1,5 Milliarden Euro bedeutet.

Damit werden die großen Kapitalgesell­schaften prozentmäßig nur die Hälfte des­sen zahlen, was einem mittleren Jahresar­beitseinkommen (ab 31.000 Euro) abgezo­gen wird. Das symbolhafte Kleingedruckte: ausgerechnet die Sektsteuer wird abge­schafft. Tabu ist eine Mehrwertsteuersen­kung oder gar deren Abschaffung auf Grundnahrungsmittel, Mieten oder Heiz- und Betriebskosten. Das Kleingedruckte: sie wird nur auf Frauenhygieneprodukte gesenkt.

Für WertpapierbesitzerInnen (maximal 10 % der Bevölkerung) gibt’s einige Zuckerln: Die Kapitalertragsteuer auf Kurs­gewinne soll abgeschafft werden, ebenfalls für »ethische und ökologische« Investitio­nen (auch Finanzinvestitionen).

Die Wirtschaftlobbies sollen Zugang ins Bildungssystem erhalten. So steht es im Kapitel Standort- und Industriepolitik »Unternehmerisches Denken« soll im Bil­dungssystem verankert werden, z. B. durch eine »freiwillige Unternehmerwoche« ab der Oberstufe, um »Zugang zu unternehme­rischem Denken zu ermöglichen«.

Zynisches

»Beraten vor strafen« gilt nur für Unter­nehmen, aber nicht für den kleinen Mann oder die kleine Frau, die sich nicht »regel­konform« verhalten.

Zynisch wirken die paar Zeilen zur finan­ziellen Förderung von »Social Entrepre­neurs«, d. h. gewinnorientierte Unterneh­mer, da angesichts der Auseinandersetzung im Sozialbereich, wo die Beschäftigten der­zeit unter Hintanstellung einer Gehaltsfor­derung für die Durchsetzung der 35-Stun­denwoche gegenüber den von öffentlichen Subventionen abhängigen gemeinwohlori­entierten Sozialverbänden kämpfen.

Im Kapitel Wahlrechtsreform wird lang und breit die Behandlung der Briefwahl­stimmen erörtert, eine Vereinfachung der für eine Kandidatur notwendigen Aufbrin­gung der Unterstützungserklärungen bleibt nach wie vor außen vor. Erwähnt werden die Kammerwahlordnungen (was sich natürlich auf die Arbeiterkammerwahlen bezieht), um diese »transparenter« und »serviceorientierter« zu gestalten – das lässt sich nur als gefährliche Drohung lesen. Eher lustig ist ein Absatz, der ver­langt, dass in Vorwahlzeiten das Parlament keine budgetrelevanten Beschlüsse ohne ordentliches Begutachtungsverfahren fas­sen dürfe. Zur Erinnerung: Türkis-Blau tat eben dies, sie peitschten nämlich ohne ordentliches Begutachtungsverfahren den 12-Stunden-Arbeitstag bzw. die 60-Stun­den-Arbeitswoche im Parlament durch.

Im Kapitel Familien- und Eherecht wird verlangt, die Unterschiede »zwischen dem Institut der Ehe und der eingetragenen Partnerschaft« herauszuarbeiten, um sie der »heutigen gesellschaftlichen Lebens­realität anzupassen«. Es steht also alles andere, aber nicht die volle Anglei­chung an.

Widersprüchliches

Widersprüchlich: Einerseits wird eine höhere Effizienz des Exekutionsverfah­rens gefordert, andererseits »Beiträge zur effektiven Entschuldung und Armutsbekämpfung«.

Widersprüchlich auch das Kapitel Wohnen. An vorderster Stelle steht »Eigentumsbildung« u. a. durch Miet­kauf als »sozial orientierter Einstieg ins Eigentum«. Dem dadurch entste­henden Entzug von Wohnungen am Wohnungsmarkt steht der Satz gegen­über, »die Bundesregierung möchte das Angebot an Wohnungen vergrö­ßern«. Allerdings bezieht sie sich dabei vor allem auf Leerstände und die Wie­derherstellung der Zweckwidmung der Wohnbauförderung, was natürlich positiv wäre.

Positiv vermerken wir auch die Absicht, das Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstands (DÖW) zu stärken, was allerdings noch keine konkrete Finanzzusage bedeutet. Es soll auch für einen jährlich zu erstel­lenden Rechtsextremismusbericht zuständig werden, wobei das DÖW auch Zugang zu den Daten des Innen- und Justizministeriums erhält.

Nach langem Suchen im außenpoliti­schen Teil findet sich doch ein Satz zur österreichischen Neutralität, der aller­dings gleich mit der GASP (Gemeinsa­men Europäischen Außen- und Sicher­heitspolitik) und PESCO (Ständige Strukturierte Zusammenarbeit, die langfristig zu einer Euro-Armee führen soll) in Verbindung gebracht wird. Im gleichen Kapitel findet sich eine Bemerkung, die sogar zweimal auf­scheint: Österreich trete weltweit nicht nur gegen Rassismus und Antisemitis­mus, sondern auch gegen Antizionis­mus auf. Die Gleichsetzung von Antise­mitismus und Antizionismus läuft hier darauf hinaus, die Kritik an der israeli­schen Besatzungspolitik zu delegiti­mieren.

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