Für Liebesunordnung und andere radikale Konfliktzonen FOTO: QUEER BASE / MARTY HUBER, ART WORK: »QUEER REFUGEES SCHLAGEN WELLEN« LEILA SAMARI

Für Liebesunordnung und andere radikale Konfliktzonen

von

40 Jahre Unruhezustand – Türkis Rosa Lila Villa.

Ein Rückblick von Marty Huber

Als 1980 mit dem Manifest »Für eine neue Liebesunordnung« gegen die gewaltsame Schließung des Informationsstandes der HOSI Wien bei den Wiener Festwochen protestiert worden war, rechnete wohl niemand damit, wie aktuell dieser Text bis heute bleiben würde. Es ist ein Aufschrei schwuler Männer gegen die Männergesellschaft und für eine neue Liebesunordnung. 1979 begann die Selbstorganisierung von HOSI und anderen schwulen Kontexten und manche führten die Sehnsucht nach anderen gesellschaftlichen Entwürfen und Lebensmodellen in radikale Formen über. 1982 hatte der Rosa Wirbel für internationale Aufregung gesorgt: Florian Sommer und Robert Herz hatten beim Neujahrskonzert nackt, bzw. fast nackt, denn sie waren noch mit einer Fliege bekleidet, die Bühne gestürmt, um gegen die Unterdrückung von Homosexualität zu protestieren. Im Zuge der Hausbesetzungen dieser Zeit (man erinnere sich an GAGA, Rotstilzchen, Aegidigasse) wurde auch ein Haus an der Linken Wienzeile besetzt, das eigentlich zum Abriss frei gegeben war und ein Parkplatz werden sollte. Heute ist dieses Haus unter dem Namen »Türkis Rosa

Lila Villa« bekannt und seit seiner Instandbesetzung ein virulenter Ort queerer Selbstermächtigung und Selbstorganisierung geblieben.

 

Ein Haus, dem freien Markt entrissen, treibt bunte Blüten!

Grundlage des 1. Wiener Lesben- und Schwulenhauses (trans Aspekte kamen erst im Laufe der Zeit hinzu) ist eine stabile ökonomische Lage. Die erste Generation Hausbesetzer:innen erstritt einen Baurechtsvertrag, das Haus ist immer noch im Besitz der Stadt Wien, jedoch wird es seit 1985 kollektiv von seinen Bewohner:innen und Aktivist:innen verwaltet und belebt. Mittlerweile wurde der auf 30 Jahre angelegte Vertrag auf das Jahr 2045 verlängert und somit steht einer unruhigen Zukunft nichts im Wege. Das Haus wurde general saniert, eine Beratungsstelle und ein Café (zuerst das Warme Nest, dann über 20 Jahre das Café Willendorf und jetzt die Villa Vida wurden eingerichtet und unzählige LGBTIQ+ Gruppen nutzten seit dem die Villa als Ort der Organisierung. Die Bedeutung und Wirksamkeit der Villa als Freiraum ist für die Emanzipation queerer Kontexte nicht zu unterschätzen. Zahlreiche Initiativen nahmen dort ihren Ausgang und haben von hier aus die Welt verändert, die sie umgibt. Nicht umsonst ist der 6. Gemeindebezirk in Wien ein Ort der sozialen Einrichtungen, vom benachbarten Kinderhaus, das aus dem GAGA hervorging, bis zum AIDS-Hilfe Haus am Gürtel, ehemalige Aktivist:innen aus der Villa finden sich ebenso bei QWIEN oder in der städtischen Antidiskriminierungsstelle WAST. Seit seiner Gründung 1995 trifft sich zum Beispiel der Verein transX in den Räumlichkeiten der Villa, die maßgeblich einschneidend für die Rechte von trans Personen gekämpft und z. B. den »Transsexuellen-Erlass« erfolgreich angefochten haben. Aus der Kinderwunschgruppe, die sich erstmals in den Räumlichkeiten der Villa traf, wuchs das jetzige Regenbogenfamilienzentrum in Wien Margareten. Hier trafen sich Gruppen wie Migay und Têkoşîn, um den Rassismus in der Community anzugehen. Bis heute ist die Villa ein Haus, das in wandelbare Liebe zum Umordnen steht.

 

Von Rändern nicht nur einmal ins Zentrum

Das letzte Jahrzehnt war insbesondere von intersektionalen Neuordnungen geprägt, die immer wieder die Frage stellte, welche Gruppe braucht heute Zugang, Ressourcen und Infrastrukturen, die kleine und große Revolutionen ermöglichen. Diese fortlaufenden Radikalisierungen stellen sich und den Freiraum – der in den 1980er glücklicherweise erkämpft worden war – immer wieder in Frage. Das ist manchmal schmerzhaft, aber notwendig, um nicht selbst der Institutionalisierung Vorschub zu leisten. So ist es zahlreichen Aktivist:innen und Bewohner:innen zu verdanken, dass Mehrfaches geschafft wurde: Dazu gehört der Umbau des Erdgeschosses in eine barriere ärmere Substanz und somit wurde ein Vorhaben, das seit den 1990ern immer wieder versucht wurde, umgesetzt. Das Erdgeschoss ist rollstuhlgerecht umgebaut worden und somit sind Beratungsstellen, Communityräume, das Lokal und der Garten für Rollstuhlfahrer:innen zugänglich. In den Räumlichkeiten und an der Fassade hängen bis heute Spuren der »Crip Convention«, die 2019 in der Türkis Rosa Lila Villa stattfand. Queer & Crip ist nicht der einzige Bereich in der Community, der ein Mehr an Aufmerksamkeit verdient hat. Auch die notwendige Intervention, die Villa nicht nur als weißen, queeren Raum zu erhalten, sondern wirklich an unter repräsentierte Gruppen zu übergeben bzw. diesen zu öffnen. In diesem Sinne ist die Villa wohl der Ort, der sich am meisten geändert hat, weil Schwarze, queere Aktivist:innen sich nicht abbringen ließen. Begonnen hat es wie schon oben angedeutet mit Migay und dann mit Têkoşîn, die gemeinsam mit dem Rosa Tipp das transkulturelle Freiräumchen betrieben. Parallel liefen dann die Entwicklungen rund um die Queer Base, die sich Ende 2014, Anfang 2015 formierte und eine in Europa hoch angesehene Anlaufstelle für queere Refugees wurde. Gleichzeitig fanden massive Veränderungen im Wohnverein statt, die gerade für Queers of Color mehr Platz reklamierten und auch schufen. Mittlerweile ist der Wohnverein ein Ort für Menschen, die in dieser Stadt neu ankommen und sich als Aktivist:innen und Gestalter:innen der Villa nicht neu, aber wieder erfinden. Die Villa gibt deshalb nicht nur anlässlich ihres 40-jährigen Geburtstages ein kräftiges Lebenszeichen von sich. Für weitere Liebesunordnung.

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Gelesen 1956 mal Letzte Änderung am Sonntag, 12 Juni 2022 11:30
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