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05 Juni

LINKE KOMMUNALPOLITIK: Politische Kultur in neoliberalen Verhältnissen. Die Vorbereitungen für eine breite linke Zusammenarbeit bei den Wien-Wahlen am 11. Oktober 2020 sind in vollem Gange. Die Volksschullehrerin aus der Seestadt, die ...

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Die Vorbereitungen für eine breite linke Zusammenarbeit bei den Wien-Wahlen am 11. Oktober 2020 sind in vollem Gange. Die Volksschullehrerin aus der Seestadt, die noch nie Politik gemacht hat, die Refugee-Aktivis­tin, die sich nie vorstellen konnte, Parteipoli­tik zu machen, die Ärztin, die schon »Auf­bruch« mit organisiert hat, die AK-Beraterin mit SJ-Vergangenheit, die schon mal für die KPÖ kandidiert hat, die Juristin, die aus Tirol kommt und aufgrund von politischen Erfah­rungen in Istanbul jetzt auch in Wien was machen will, und die KPÖ-Bezirksrätin in Wien-Landstraße. Sie alle sind LINKS und wol­len gemeinsam kandidieren, ohne ihre politi­schen Erfahrungen und ihre Identitäten bei der Garderobe abzugeben. Die Situation ist günstig und bestimmt nicht frei von Wider­sprüchen.

Ein Kommentar von HEIDE HAMMER.

Warum bekommt die Linke hierorts keinen Fuß in die Tür, bes­tenfalls fünf Zehen – BezirksrätInnen in Wien? Warum begrüßen wir die Entwicklungen in Griechenland, in Barcelona, wenn sich aus sozialen Bewegungen politische Parteien formieren, die tatsächlich die Machtfrage stellen, und warum rümpfen in Wien die KPÖ und die AktivistInnen erstmal die Nase, wenn sich Ihre GenossInnen, ihre FreundInnen in die Parteiförmigkeit bege­ben?

Das Verstehenwollen und sich die Welt erklären ist ein durchaus vernünftiger Ansatz, dennoch ist die Handlungsfähigkeit einer Gruppe damit noch nicht gegeben. Die beträchtlichen Zeitauf­wände, um Missverständnisse, Ängste oder auch divergierende Ansprüche zu besprechen, sind nur dann sinnvoll verwendet, wenn die politischen GegnerInnen nicht aus den Augen verloren werden, wenn die Orientierung auf einer Veränderung der Verhältnisse liegt. Das Funktionieren ist langweilig, die eigenen durchaus hart erworbenen Kompetenzen sind zu nichts nütze, ohne die Macht der Phantasie und das Vertrauen, dass es einen Modus jenseits von Sieg und Niederlage gibt.

Woran erkennt man den Neoliberalismus?

Mit Alex Demirovic können wir ein wesentliches Element identifi­zieren: In neoliberalen Verhältnissen suchen die MachthaberInnen nicht länger den Kompromiss, sozialpartnerschaftliche Arrange­ments waren gestern; was davon an Beruhigungsmitteln bleibt, ist Folklore für die sozialdemokratisch dominierte Gewerkschaft. Die autoritäre Umsetzung der eigenen Agenda sucht die Zustimmung der politischen GegnerInnen nicht länger, womit der Koalitions­partner bei Laune gehalten wird, ist mitunter unklar – auch hier scheint die Eitelkeit alter weißer Männer ein wirksames Vehikel zu sein. Und wenn wir uns auch über Werner Koglers fehlendes Ver­trauen in die Mündigkeit der BürgerInnen ärgern oder Michael Ludwigs »Vienna First«-Politik ablehnen, gibt es für die eine Faika El-Nagashi und für den anderen Birgit Hebein, die uns in der Annahme bestärken, ohne ihr Bemühen wäre alles noch weitaus schlimmer. Damit sind die politischen MitbewerberInnen auch benannt, es geht nicht um die ganz entfernt imaginierten Wähle­rInnen und potenziellen AktivistInnen, es geht um die nächsten und ihren erweiterten Kreis, vernünftige SozialdemokratInnen und linke Grüne, es geht um Frauen und ErstwählerInnen, es geht um MigrantInnen und EU-Staatsangehörige. Das sind viele. Wird in Krisenzeiten wirklich nur die Regierung bestätigt, sofern sie nicht gröbste Fehler macht, oder öffnet sich gerade jetzt ein Fenster für eine breite linke Bewegung, die Privilegien für alle fordert, auf die herrschende Vetternwirtschaft pfeift und mal schaut, was geht, wenn das Kommunistische seine schönsten Partykleider trägt? Neben der überaus ansehnlichen Verpackung tauchen da einige Widersprüche auf. Diese zu benennen, sie nicht gleich wieder zu glätten oder gar zu verstecken, ist schon ein politisches Alleinstel­lungsmerkmal. Aus den divergierenden Ansätzen können ganz harmlose Kompromisse hervorgehen oder intellektuelle wie politi­schen Auseinandersetzungen beflügelt und überraschende Kollabo­rationen gebildet werden.

Uneingestanden und diskursiv wenig bedacht wären da noch die internalisierten Facetten des Neoliberalis­mus – die Entwendung des Präfix »selbst« erwirkt in einer permanenten Verfügbar­keit psychologisierender Sprache den dominanten Eindruck der je eigenen Unzu­länglichkeit: Es gibt nie genug und es ist immer zu wenig. Das eigene Tun, die Selbst­verantwortung, Selbstsicherheit und Selbstständigkeit sind immer unzureichend und damit ist es auch verlockend, die Aktionen der anderen, besonders der Nächsten, zu karikieren. Leichte, vorüber­gehende Beruhigung erfolgt dann lediglich über die negative Abgrenzung: Der Film der Anderen ist unpolitisch, bereits im Ansatz misslungen, dagegen ist das eigene Stück brillant. Die dahergelaufenen AktivistInnen sind unerfahren, unterschätzen die Mühen der Ebene, schon am Beginn wurden Fehler gemacht, dagegen ist die eigene Geschichte ein wahrer Schatz. Der Slogan »alles muss anders« gehört der Straße, dem parteiun­abhängigen politischen Protest. Wenn LINKS sich dieses Slogans bemächtigt, den Versuch, die Utopie, den Nicht-Ort, der für die Zeit der do! Demonstrationen einmal pro Woche skizziert wurde, in ein Partei-Programm gießt, ist das eine unzulässige Aneignung und die Gefahr der Instrumen­talisierung droht. Diese Phantasie politi­scher Reinheit resultiert mitnichten aus der Verschiebung der Inhalte, nichts was davor queer proklamiert wurde, ist jetzt straight. Der Vorwurf ergibt sich aus der Form, sie ist zu gleich und zu verschieden zugleich. Je mehr wir gezwungen werden, als Ich-AGs zu funktionieren, desto eher beherrscht uns die Angst, das Eigene, Unverwechselbare zu verlieren. Damit bestätigen wir lediglich die allgegenwärtige Konkurrenz und richten uns nur schlecht im Beharren auf das Gewohnte ein.

Koalitionen des Überlebens

Wenn vielfach geschätzte und gelesene TheoretikerInnen (und mit ihnen die gesamte Umweltbewegung und ihre wis­senschaftlichen Quellen) nicht gänzlich irren, geht es um »Koalitionen des Über ­lebens« (Sabine Hark). Unsere Aufgabe besteht darin, uns »entlang erfinderischer Verbindungslinien verwandt zu machen und eine Praxis des Lernens zu entwickeln, die es uns ermöglicht, in einer dichten Gegenwart und miteinander gut zu leben und zu sterben« (Donna Haraway). Müssen wir mit Bini Adamczak neue »Beziehungs­weisen« erproben, aus der Geschichte von 1917 und 1968 lernen, aus der polit-ökono­mischen Anrufung der Subjekte als Ein­zelne – »Trotz WG, Szene, Freundschaft, [Partei] […] allein einkaufen, allein abwa­schen, allein arbeiten, allein Steuern erklä­ren, immer wieder Prüfung« –heraustreten, ETWAS tun, die Lust an der Veränderung kultivieren, uns in Geduld und Großzügig­keit üben und die Neugier aus dem ver­staubten Regal holen und auf Hochglanz polieren.

Als moralisch integrer Abklatsch von bra­ven Phantasien a la rot-grün werden wir kaum reüssieren, die aufgewärmten K-Gruppen-Allüren werden nicht ausgerech­net mit uns in alter Strenge attraktiv, aber das Anti-Identitäre, popkulturelle, wohl­wollende, queere Modell harrt seiner politi­schen Praxis. Manch alter weißer Mann mag sich fragen, was das alles mit ihm zu tun hat, warum »trans« und »cis« nicht länger der Beschreibung von K. u. K. Herr­schaftsgebieten dienen, sondern einen per­sönlichen wie politischen Übergang mar­kieren. Warum heißt der Think Tank der Europäischen Linke (EL) transform!? Viel­leicht weil es kein Zurück zu alten Eindeu­tigkeiten gibt, deren narrative Darstellung der Ambivalenz ohnehin viel Platz ein­räumt und gerade in der Geschichte der KPÖ Risse wie Verbindungslinien durch Familien zieht. In diese Familiengeschich­ten und Traditionen einzuladen, ist die Auf­gabe der KPÖ. Die Dahergelaufenen können Verwandte werden, wenn die Vorstellung des Eigenen erweitert wird. Vielleicht weil wir uns auch auf europäischer Ebene nicht länger in der Rhetorik der Solidarität mit imperialistisch unterdrückten Völkern ein­igeln dürfen, denn konkrete Personen überschreiten die Grenzen und wollen praktische Solidarität und tatsächliche Par­tizipation und Mitbestimmung. Vielleicht auch, weil der Wunsch nach der je eigenen körperlichen Erfahrung von Bewegung geteilt werden kann. Nicht jede von uns muss deshalb gleich ein Testo-Junkie (Paul B. Preciado) werden und kaum eine, die von der Schwellendosis in eine sichtbare Tran­sition eintritt, gibt die Fluidität ihrer Geschlechtsidentität für eine neue Eindeu­tigkeit preis. Die Qualität der Erfahrungen wird nicht gelöscht, wir vergessen nicht woher wir kommen, weder persönlich noch als politisches Kollektiv. »Queer« bietet eine vielversprechende Option: Es ist das Anti-Identitäre schlechthin und zugleich die konsequente politische Positionierung. Eine daran angelehnte, radikale Offenheit zeigt sich in der Dynamik von LINKS: In wenigen Monaten wächst eine Gruppe von 30 zu einer Organisation von 300 Aktivist ­Innen. Diese ringen gerade produktiv um eine inhaltliche Basis, eine tragfähige Struktur und zeigen analog und virtuell viele Gesichter. Zuhören und Staunen und Kopfschütteln und Innehalten und Verbün­dete finden, um gemeinsam ETWAS zu tun, neue Geschichten zu erzählen, schwache Geschichten stärker und damit die domi­nante Erzählung schwächer zu machen, das ist ein Prozess der intensiven Begegnung, des Kommunizierens, Ausverhandelns und (Ver-)Lernens.

Wie wir miteinander umgehen, ob unser politisches Erscheinungsbild eine Vorschau auf solidarische Verhältnisse bietet und so den drängenden Wunsch von vielen nach Veränderung verstärkt, ist dabei ein ebenso wichtiger Faktor wie ein LINKS-Programm. Mit einem freudvollen Wahlantritt, einer ernsthaften Opposition bilden wir ein plu­rales Wir, ein neues LINKS, und dann kön­nen sich am 11. Oktober alle um den Hals fallen, Corona hin oder her.

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