CORONA-VIRUS: Die China-Bashing Epidemie

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Sie erweisen sich als empathielos und schamlos, unsere Systemjournalisten von rechts bis linksliberal.

Von WILHELM REICHMANN

Jeder Anlass ist den Medien recht, um die VR China als Land des Bösen dar­zustellen, in dem die Bevölkerung unter­drückt, irregeführt und mit ihrer Gesundheit gespielt wird. Behauptet wird »die verspätete Reaktion der chine­sischen Führung … Es ist das Verhaltens­muster autoritärer Regime … beunruhi­gende Informationen zu verschweigen. Aus Angst, Kontrolle und Macht könnten ihnen entgleiten.« Deshalb sei alles zu lange verschwiegen worden und die Maßnahmen seien viel zu spät gekom­men. Hätte man rasch reagiert, noch vor der Hauptreisewelle zum chinesischen Neujahr, wäre die Epidemie vermutlich (!?) vermieden worden. … Die öffentliche Warnung vor der Übertragung von Mensch zu Mensch kam am 20. Jänner. Dazwischen liegen Wochen der behördli­chen Vertuschung und Beschwichti­gung.« (Franz Kössler im Falter 6/2020).

Als Angelpunkt für diese Erzählung dienten die Aktivitäten des jungen Augenarztes Li Wenliang. Für die Abfolge der Ereignisse beziehe ich mich auf einen CNN-Bericht vom 4. Februar 2020. Am 30.12.2019 schrieb Li Wenliang in seiner Alumni-Chat-Gruppe, in seinem Spi­tal in Wuhan seien sieben Personen, alle mit Beziehung zu einem Fischmarkt, mit SARS-ähnlichen Symptomen unter Quaran­täne gestellt worden. Er hätte Tests gese­hen, die zu dem Zeitpunkt auf ein Virus der Corona-Gruppe, wahrscheinlich der SARS-Erreger, schließen ließen. Man möge auf­passen. Am gleichen Tag wurde von der Städtischen Gesundheitskommission an alle Spitäler in Wuhan eine Warnung gesendet, dass eine Reihe von Personen an einer Lun­genentzündung mit unbekanntem Erreger unter Behandlung stünden. Die Beziehung zum Fischmarkt war auffällig. Er wurde am nächsten Tag, den 31.12.2019, gesperrt. Parallel dazu wurde die Mitteilung des Augenarztes über das Internet verbreitet. Eine Polizeibehörde wurde darauf aufmerk­sam und hat seine Warnungen als unautori­sierte, Panik machende Aktivität eingestuft und die Löschung der Meldungen im Inter­net veranlasst.

Zeitraster

Am 31.12.2019 fand eine Dringlichkeitssit­zung der erwähnten Städtischen Gesund­heitskommission statt, in der der Arzt über die Quelle seiner Beobachtungen befragt wurde. Er wurde wahrscheinlich für sein unautorisiertes Vorgehen und nicht fun­dierte Informationen (gefürchteter SARS-Virus) kritisiert. Li Wenliang hat sich von seiner Meldung distanziert, aber die SARS-Warnung war nun einmal im Netz. Am Nachmittag des 31. Dezember informierte die Gesundheitsbehörde in Wuhan die Öffentlichkeit über den Ausbruch einer infektiösen Krankheit. Die Behörden infor­mierten offiziell die Weltgesundheits-Orga­nisation (WHO). Am 3.1.2020 wurde Dr. Li Wenliang bei der Polizei vorgeladen. Die Polizeibehörde hat gegen ihn formalistisch eine Rüge und Verwarnung ausgesprochen und ließ ihn ein Schuldeingeständnis unterschreiben. Diese polizeilichen Sank­tionen wurden beeinsprucht und der Oberste Gerichtshof hat sie am 20.1. aufge­hoben. Li Wenliang hat seine Arbeit trotz Wissens um die Infektionsgefahr fortge­setzt. »Ich konnte weiter nichts tun, alles musste den amtlichen Weg gehen«, sagte er im Interview mit China Youth Daily. Er steckte sich bei einer Augenbehandlung an und ist letzte Woche als tragischer Held gestorben. Für manche wird er wohl als Symbol für Meinungsunterdrückung benutzt, die meisten Chinesen dürften ihn als Held sehen, der seine Arbeit trotz aller Gefahren fortgesetzt hat.

In den sensationsgeilen Berichten in unseren Medien wird Li Wenliang jetzt sogar als Entdecker des Virus bezeichnet. Das ist nicht korrekt. Erst am 22. Jänner konnten die wesentlichen Merkmale des Virus 2019-nCoV (Genom Sequenz von 82 Virus-Strains) veröffentlicht werden. Bis 17. Jänner gab es nur 41 bestätigte Fälle, bis 20. Jänner stieg die Zahl sprunghaft auf 198. Zur gleichen Zeit wurde von dem Chef der staatlichen Gesundheitskommis­sion die Übertragbarkeit von Mensch zu Mensch außer Zweifel gestellt.

Am 23. Jänner wurden drastische Qua­rantänemaßnahmen in der Provinz Hubei sowie andere landesweite Maßnahmen verfügt (Absage aller Veranstaltungen, Verlängerung des Neujahrs-Urlaubs). Die chinesischen Zeitungen sind voll von Berichten über Sicherheitsmaßnahmen, über die Mobilisierung der gesamten Gesellschaft im Kampf gegen die Verbrei­tung des Virus. Es wird offensichtlich kein Aufwand gescheut, um die Gefahr für die Gesundheit der Bevölkerung abzuwenden. Die Reaktion eines autoritären Regimes, das die Interessen einer Elite an die erste Stelle setzt, ist das wohl nicht. Manche Menschen fragen sich sogar, ob die Reak­tion der chinesischen Regierung nicht übertrieben wäre, »bei uns sterben ja in einer normalen Grippesaison jedes Jahr auch 1000 Menschen«. Der Vergleich ist oberflächlich. Dieses neue Corona-Virus scheint ungleich aggressiver und anste­ckender zu sein und hat eine lange Inku­bationszeit. Es ist eben neu und wir wis­sen noch zu wenig über Herkunft und Übertragungsmechanismen. Der Krank­heitsverlauf entspricht einer schweren Lungenentzündung mit einer relativ hohen Sterblichkeitsrate, wenn auch viel niedri­ger als bei SARS oder MERS. Jedenfalls gefährlich und beängstigend.

Heroische Arbeit

Im Gegensatz zu unseren ideologischen China-Bashern hat die WHO von Anbeginn der Krise die chinesische Reaktion gelobt. »China hat eine heroische Arbeit geleistet, um die Epidemie einzugrenzen« (Prof. Robin Shattock vom Londoner Imperial College). Seit dem SARS-Ausbruch im Jahre 2003 hat sich viel verändert. Die Technolo­gie ist fortgeschritten und macht es für die Betroffenen heute leichter, zu Informatio­nen zu kommen. Heimarbeit und Versor­gung durch Lieferdienste ist leichter mög­lich. 2003 waren die sozialen Medien noch unentwickelt. Ihre Verbreitung ist von gro­ßem Vorteil für die Betroffenen. Gleichzei­tig kann nicht geleugnet werden, dass soziale Medien auch zu Hysterie und Panik beitragen können.

Im großen Unterschied zur SARS-Krise hat die chinesische Regierung diesmal nach Erfassen der Gefahr eine sofortige, ent­schlossene und umfassende Reaktion gezeigt. Innerhalb Chinas ist eine Debatte über Fehler und Schwächen, die sich im Verlauf dieser Krise auf allen Ebenen gezeigt haben, im Laufen. Von Bürokratis­mus und Formalismus ist die Rede, von Funktionären und Beamten, die sich stur hinter Vorschriften verstecken und jedem Risiko eines selbständigen, auf neue Situa­tionen angemessenen Handelns aus dem Weg gehen. Ob die Quarantäne über 40 Mil­lionen Einwohner hätte ein paar Tage frü­her kommen können? Vielleicht, im Nach­hinein ist man immer klüger. Aber welche andere Regierung hätte so entschlossen wie die Führung um Xi Jinping reagiert und sich dabei zusätzlich auf die Unterstützung der Bevölkerung stützen können?

Aufruf:

Spendensammlung für medizinische Hilfsgüter der Österreichischen Gesellschaft für Chinaforschung

IBAN: AT58 3200 0000 1701 2451

BIC: RLNWATWW

Vermerk Chinahilfe

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Gelesen 5358 mal Letzte Änderung am Mittwoch, 25 März 2020 11:12
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