aus der Serie »One Day You Will Miss Me« 2017–2020 aus der Serie »One Day You Will Miss Me« 2017–2020 Julia Gaisbacher

NE DA(VI)MO BEOGRAD: Belgrad darf nicht untergehen

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Die Initiative Ne da(vi)mo Beograd verschafft sich mit Themen wie Bausünden, Luxusbau­ten, Bodenversiegelung, desolater Zustand des öffentlichen Verkehrs sowie der eklatan­ten Luftverschmutzung Gehör.

Ein Bericht von MICHAELA GINDL.

Überquert man die Belgrader Stadt­grenze, fällt der Blick zuerst auf die Bausünden aus Sozialismus und Kapitalis­mus, die teilweise vernachlässigt, sanie­rungsbedürftig wirken. Wohnburgen, Asphalt und Beton finden sich in Novi Beo­grad zuhauf. Zwischendurch architekto­nisch interessante Bauten wie etwa der Genex-Turm, daneben Konsum-Ungetüme wie das Ušće Shopping Center. Spätestens auf der vom Zahn der Zeit stark angenag­ten Brücke Brankov Most zeigt Belgrad allerdings seinen zeitlosen Charme, wenn sich die imposante jahrhundertealte Fes­tung Kalemegdan über dem Ušće erhebt, der Stelle, an der die Sava in die Donau mündet. Die Boulevards mit ihren Pracht­bauten, die Shopping- und Fortgehmeile Knez Mihajlova, das kulturelle Leben Bel­grads, all das begeistert Jahr für Jahr hun­derttausende TouristInnen.

Kapitalismustempel der Superlative

Seit Kurzem ist Belgrad jedoch um ein zweifelhaftes Wahrzeichen reicher: Beograd na vodi (Belgrade Waterfront). So zeigt sich Reisenden bei der Überquerung der Sava zuerst dieses gigantische Bauprojekt, momentan bestehend aus vier alles überra­genden Hochhäusern und einer Baustelle gigantischen Ausmaßes, des Immobilienin­vestors Eagle Hills aus Abu Dhabi. Gearbei­tet wird am 168 Meter hohen Kula Beograd (Belgrade Tower) sowie an weiteren Hochhäu­sern mit Wohn- und Büroeinheiten, einem Einkaufszentrum, Parks, Freizeiteinrichtun­gen und einer Flaniermeile. Es entsteht ein Luxusviertel der Superlative auf 1,8 Millio­nen m2 in exklusiver Lage am Sava-Ufer. Die Homepage von Beograd na vodi geizt nicht mit Exklusivität vermittelnden Hochglanzbildern, die Zielgruppe ist eindeutig wohlhabend. Die gebauten Wohnungen mit Preisen, die es durchaus mit dem Wiener Wohnungsmarkt aufnehmen können, werden mit einem serbi­schen Durchschnittseinkommen von brutto 5.500 Dollar pro Jahr (Stand 2017) kaum erschwinglich sein. 2014 startet das Mammut­projekt mit der Rekonstruktion der Beogradska zadruga (Belgrader Genossenschaft), einem 1907 fertiggestellten Meisterstück serbischer Archi­tektur, das seither als Informationszentrum über Beograd na vodi dient.

Bei einem Bauprojekt dieser Größenord­nung, das die Skyline der historischen Stadt nachhaltig verändert, für das jahrhunderte­lang gewachsene Stadtstrukturen und ein gan­zes Viertel weichen müssen und das darüber hinaus eine große Herausforderung für das Ökosystem der Sava darstellt, würde man sich eine flächendeckende Informationskampagne erwarten. In einem Land, in dem die Men­schen von dem Geld, das sie verdienen, nicht leben können, sollte viel Fingerspitzengefühl aufgewendet werden, wenn man ein neues Stadtviertel aus dem Boden stampft, das Milli­arden an Steuergeldern verschlingt, ausländi­schen InvestorInnen eine unglaubliche Macht verleiht und die Kluft zwischen Arm und Reich noch sicht- und fühlbarer werden lässt.

Doch in Serbien werden Dinge anders gelöst: Um im Stadtteil Savamala, das teilweise den Plänen von Beograd na vodi weichen muss, Gebäude in Privatbesitz enteignen und abrei­ßen zu können, wurde im Eilverfahren ein neues Gesetz verabschiedet und Widerstand schon im Keim erstickt. Für jene Grundstücke, derer man trotz des Kunstgriffs nicht habhaft werden konnte, wurde der Deus ex machina ausgeschickt: Vom 24. auf den 25. April 2016 fielen Männer mit Schimasken und Schlag ­stöcken sowie drei Bagger in Savamala ein, im Laufe der Nacht wurden auf einer Fläche von etwa 1.000 m2 die lästigen Gebäude zerstört. PassantInnen und BewohnerInnen wurden von den Maskierten in Schach gehalten, teil­weise gefesselt, ihre Mobiltelefone abgenom­men. Die Polizei reagierte auf keinen der von schockierten BürgerInnen eingehen­den Hilferufe. Obwohl Premier Aleksander Vučić am 8. Juni in einer offiziellen Erklä­rung verlautbaren ließ, dass unter anderem hohe Persönlichkeiten der Belgrader Stadt­regierung die feigen Zerstörungen in Auf­trag gegeben hatten und dafür zur Rechen­schaft gezogen würden, sah die Staatsan­waltschaft keinen Grund für Ermittlungen.

Ohnmacht und Protest

Dieser Vertrauensbruch und die Ohnmacht gegenüber der Obrigkeit führten zu Demonstrationen. Gleichgesinnte schlossen sich zur Initiative Ne da(vi)mo Beograd (Wir geben Belgrad nicht her/Wir ertränken Belgrad nicht) zusammen, um stärker gegen das Megaprojekt, strukturellen Machtmiss­brauch und politische Willkür auftreten zu können. Ihr Maskottchen, die gelbe Badeente, schaffte es selbst in internatio­nale Medien. Sie sammelten Beweise, um korrupte Machenschaften und Vertuschun­gen aufzudecken. So konnten sie etwa nachweisen, dass der Bau den Hochwasser­schutz Belgrads massiv gefährdet. Auch Sicherheitsmängel und tödliche Unfälle von Bauarbeitern werden dokumentiert. Da die Initiatoren Klagen einbringen und Proteste organisieren, sind sie immer wieder Opfer von Repressalien und Verleumdungskam­pagnen.

Ne da(vi)mo Beograd verschafft sich aber auch mit anderen Themen Gehör, wie etwa der Bodenversiegelung, dem desolaten Zustand des öffentlichen Verkehrs sowie der eklatanten Luftverschmutzung. Ein weiteres von der Stadt geplantes, größenwahnsinni­ges Projekt ist die Errichtung einer Seilbahn auf den Kalemegdan, die die Festung laut ExpertInnen massiv gefährden würde. Bei der Planung wurden zudem fragwürdige Ent­scheidungen und intransparente Vorgehens­weisen ohne Machbarkeits- oder Finanzie­rungsstudien evident.

Ne da(vi)mo Beograd setzt sich zum Ziel, Bel­grad zu einer selbstbestimmten, modernen Stadt zu machen, die ihren BürgerInnen eine lebensfreundliche, zukunftsweisende Umge­bung und ein Recht auf Information und Mit­bestimmung zugesteht. Dazu gehört nicht zuletzt ein Lohnniveau, das ein menschen­würdiges Leben für alle ermöglicht. Auch das Gesundheits- und Sozialsystem bedarf einer grundlegenden Optimierung und das politi­sche System muss auf einen demokratischen Weg zurückgebracht werden. Mit medien­wirksamen Aktionen wie der Nachpflanzung gerodeter Bäume im Stadtgebiet versuchen sie, über die Grenzen hinaus auf sich auf­merksam zu machen und weitere Mitstrei­tende im Kampf gegen Willkür und Korrup­tion zu erreichen. Bei all den Baustellen in Belgrad wird Ne da(vi)mo Beograd jede erdenkliche Unterstützung brauchen.

Julia Gaisbacher beschäftigt sich seit 2017 in ihrer Werkserie »One Day You Will Miss Me« mit der fortlaufenden visuellen Dokumentation und Analyse von »Belgrade Waterfront« – für die Künstlerin ein exempla­risches Beispiel für viele Umbrüche der Gegenwart. In urbanen Porträts hält Gaisba­cher seitdem alle sechs Monate die Umformung des Belgrader Stadtgefüges sowie bauliche Veränderungen fest.

Mehr Informationen unter: www.juliagaisbacher.com

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Gelesen 5074 mal Letzte Änderung am Freitag, 07 Februar 2020 15:05
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