Die letzten Tage der (Margaretner) Menschheit

von

Von Wolf G. Jurjans

SZENE: Vor der Bezirksvertretungssitzung. Dienstag 25.06.2019

Vor der Sitzung der Margaretner Bezirksvertretung trinke ich nor­malerweise eine Melange in der Pizzeria gegenüber dem Amtshaus in der Schön­brunner Straße. Da sowohl diese, als auch das nächste Café wegen Urlaub geschlossen waren, verschlug es mich in eine kleine Bumse, die um 15:45 eben erst öffnete. Eine sehr junge Frau, die einen sehr breiten, sehr glitzernden Schriftzug auf ihrem Shirt trug, »LOVE WHAT YOU DO«, rückte gerade den letz­ten Stuhl im Schanigarten zurecht. Ich fragte: »Gibts bei ihnen eine Melange?« Sie: »Sehr gerne.« Und verschwand ins Lokal.

Aus diesem traten zwei männliche autochthone Margaretner, ein mittelal­terlicher, mit einem Ottaringer in der Hand, ein älterer, mit einem Achtel Rot ebendort. Sie fragten mich, ob sie sich zu mir setzen dürften. Ich bejahte freundlich. Sie unterhielten sich darü­ber, warum schon wieder eine neue Kell­nerin hier arbeite. »Weil die letzte gsagt hat, sie ist die Chefin und weil sie gstohln hat«, klärte der eine den ande­ren auf. Die Melange wurde alsdann gebracht. Ich trank zügig und nutzte die knappe Zeit, um die »Margaretner Stimmung«, wegen die Wahlen warats, einzu­fangen. Ich: »Na, wie werden denn die nächsten Wahlen ausgehen?« Herr Achtel Rot: »Des kann man schwer sagn.« Herr Ottakringer: »Des is ma wurscht. I wö den Strache.« Darauf ich: »Aber der hat doch unser Eigentum verkaufen wollen, des Was­ser und so, der hat uns bestehlen wollen.« Herr O.: »Aber des tun do alle.« Darauf ich: »Sie sind gut. Stelln sie sich vor, ein Dieb bricht da drüben in ein Geschäft ein. Wenn die Polizei kommt und ihn festnehmen will, sagt der Verbrecher: ›Herr Inspektor. Des machen doch alle.‹ Worauf ihn der Polizist laufen lässt. Wie wäre es dann um unsere Sicherheit bestellt?« Darauf Herr Rotacht­ler nachdenklich: »Da habns recht. So hab I des no net gsegn« Herr Ottakringer trotzig: »I wähl ihn trotzdem.«

Meine Melange geht zu Ende. Vor dem letzten Schluck hole ich zum ultimativen Gegenschlag aus: »Entschuldigen sie, meine Herren, ich muss leider gehen. Ich bin Mar­garetner Bezirksrat. Ich muss zur Sitzung der Bezirksvertretung.« Pause. »KPÖ Bezirksrat.« Dann vollzog sich Wundersa­mes. Die Hand des Rotachtlers, von dem man vermuten konnte, sie würde jetzt steil nach oben sausen, um den 88-er Gruß zu machen, stieß gerade aus in meine Rich­tung vor, um sich, fast bei mir angekom­men, zu öffnen: »Gratulation«, stieß das sich durch ein Grinsen verbreiternde Gesicht aus sich heraus. Herr Ottakring wiederum ballte die Faust und stieß sie gegen den heißen Margaretner Nachmit­tagshimmel. »Grüß Euch, wir sehen uns wieder«, sagte ich im Weggehen, von »Bravo Rülpsern« begleitet.

Wenn das die Philippa und der Fellner wüssten, dachte ich auf dem Weg zum Amtshaus. Dort angelangt, setzte meine Ernüchterung ein. »Die wissen das eh«, sagte mein Verstand. Und der ORF auch. Sonst müssten sie ja nicht so Sachen wie die »KPÖ-Relevanzlosigkeit« erfinden, um Herrn Ottakringer und Herrn Achtelrot vor einer falschen, gefährlichen Wahl zu schüt­zen. Mit Gramsci im Kopf: (Pessimismus des Verstandes, Optimismus der Tat) ging ich ans Margaretner Bezirksvertretungstage­werk. Beseelt von den Fake News meines Kopfcomputers, ein bisschen schlauer geworden zu sein.

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Gelesen 5764 mal Letzte Änderung am Freitag, 26 Juli 2019 15:16

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