INTERVIEW: Zwischen »Röda Bönor«, »O Sole Mio« und dem »Shit-Fest« am Heldenplatz

von

HEIDE HAMMER im Gespräch mit Denice Bourbon und Hyo Lee über das Politische in der Musik und die Unterschiede zwischen Schweden, Seoul und Wien.

Wann ist Musik politisch?

DENICE BOURBON: Egal, ob mit Band oder als DJ, ich überlege vor jedem Auftritt, wel­che Gefühle ich mit der Musik erzeuge, dabei geht es um Politik und Verantwor­tung, z. B. Dark Wave, betone ich eher das Depressive oder die Schönheit der Traurig­keit.

Die Wahl des Genres oder seine (Wieder-) Aneignung ist ebenso politisch. Bei meiner Country Band, Bonanza Jellybean, war es mir besonders wichtig, die Texte in deutli­cher Abgrenzung zu den herkömmlichen Erwartungen an Country zu setzen, explizit queer, explizit links. Die Anlehnung erfolgte dann an Dolly Parton und kontras­tierte die »White Supremacy«-Phantasien. Klassenfragen und die Thematisierung von Armut stecken in dieser Musik jedenfalls drin.

HYO LEE: Musik bringt Leute zusammen, egal welches Veranstaltungsformat, Musik ist die Kunstform, die am einfachsten funk­tioniert und Politik vermittelt. Texte sind immer politisch, auch wenn nur eine Geschichte erzählt wird.

DENICE BOURBON: Konzerte sind beson­ders, wortlos stehen die Leute in einem Raum zusammen, schaffen eine gemein­same Situation, es wird von allen zusam­men etwas produziert. Dabei gibt es einige kollektiv geübte Reaktionen, Rituale, die kaum hinterfragt werden: Der Applaus an der richtigen Stelle, die Intensität der Zustimmung.

HYO LEE: Stimmt, du drehst dich immer um und bringst die Leute nach vorne oder machst den Sound ordentlich und applau­dierst besonders frenetisch, wenn dir das Publikum zu wenig solidarisch mit den Leu­ten auf der Bühne erscheint.

DENICE BOURBON: Und dann macht immer irgendwer mit.

HYO LEE: Bei Konzerten gibt es so eine old-school-Idee, dass die Leute auf der Bühne für uns arbeiten, das hat an sich schon Wert und muss honoriert werden. Ich habe lange im Fluc hinter der Bar gear­beitet, oft spielen da eher unbekannte Bands, die bringen ihre FreundInnen mit und treffen im Club auf ein Stammpubli­kum, zusammen bildet das dann im besten Fall Community.

DENICE BOURBON: In den 90ern war ein Clubbesuch oft eine Entdeckungsreise, zunehmend wird alles vorab gecheckt, da die Songs ja irgendwo verfügbar sind. Bei manchen Genres kann man gerade noch mit der Exotik des Herkunftslandes punk­ten.

HYO LEE: Klar gehe ich eher zu einer all female oder queer Band, das habe ich auch bei der Diensteinteilung im Fluc meist so gehalten. Wobei Konzertabende immer stressiger sind und meist lauter als DJs. Es gibt immer so Wellen an der Bar, vor Band­beginn, in der Pause und danach, dazwi­schen ist nichts los, und wenn der Eintritt hoch ist, gibt’s auch weniger Trinkgeld.

Habt Ihr kritische Kinderlieder gehört?

DENICE BOURBON: Die 70er Jahre in Schweden waren dominiert von kritisch-pädagogischen Kinderliedern. Mein Lieb­lingslied war das Schimpfwörterlied, drei Minuten Aneinanderreihung von Schimpf­wörtern – wobei das Schimpfen in Schwe­den üblicher ist als hier, also Kinder dürfen das oder auch Fernsehnachrichtenspreche­rInnen. Musik war das entscheidende Mit­tel meiner Identitätsbildung: Mit der Wahl der Musik tauchte ich in eine bestimmt Sub­kultur ein, die den Kleidungsstil, das Verhal­ten, die FreundInnen prägte, ich war also hundertprozent Punk oder Grunge, Goth oder Brit Pop.

Schweden war das drittgrößte Musikex­portland der Welt (neben USA und UK), was bei der geringen Bevölkerung absurd klingt, aber weil das Land so groß ist und die Leute in den kleinen Orten einfach nichts zu tun hatten, kam es zu ganz absurden Phänome­nen. Alle Vegan Hard Core Bands kamen z. B. aus Umeå, »Refused« startete von dort eine Weltkarriere. Die Stadt hatte auch lange Zeit keinen McDonalds, die wurden immer wie­der niedergebrannt. In den 80er Jahren wurde Musik in Schweden als Exportware erkannt und die Entstehung entsprechend gefördert, es gab überall staatlich geförderte Proberäume mit Instrumenten. Bands grün­den war so einfach und zugleich oft das ein­zige, was es zu tun gab. In den 90ern dreht sich dann die Geschichte weiter, die erfolg­reiche elektronische Musik kam dann aus Stockholm.

Was hat überdauert? Wo gehörst du heute dazu?

DENICE BOURBON: Grunge liegt mir am meisten am Herzen, na heute bin ich immer noch Punk.

HYO LEE: Ich höre seit zehn Jahren gar keine Musik. Als ich nach Wien kam, hatte ich einen Club, »Chubby Chubby Boom Boom« im Marea Alta. Es gab keinen Eintritt, aber Leute mussten Süßigkeiten mitbringen. Das hat nicht so gut geklappt, Leute wurden krank, wir haben das nur zweimal gemacht.

DENICE BOURBON: Das war urlustig, Denice Kottlett und ich waren die Sugar Queens …

HYO LEE: Ich habe Probleme mit Texten, deswegen höre ich keine Musik. Ich telefo­niere auch lieber als zu schreiben, Geschrie­benes kann man nicht zurücknehmen. Nach vielen Jahren hinter der Bar klingt alles irgendwie gleich.

K-Pop [Koreanische Popmusik] ist auch pure Entertainment, die Texte sind neben­sächlich. Ich habe erst mit 16 angefangen, US-amerikanische Musik zu hören, das hatte damals keine Verbindung zu einer bestimm­ten Szene oder FreundInnen. Hier reden Leute viel mehr über Musik, sie sagen: »Was, Du kennst diesen Song nicht? Ich muss gleich weinen, das definiert meine Puber­tät, meine 20er …«

DENICE BOURBON: Da gibt es dann auch das Phänomen der »guilty pleasure«, also irgendwie schämt man sich für die Gefühle, die grässliche, grottenschlechte Songs bei einem auslösen. Ich habe das gar nicht.

Magst Du Abba?

DENICE BOURBON: Nein, mochte ich tat­sächlich nie. Ich mochte immer schon här­tere Sachen und keine Musik in Dur. I like it, when it’s dark and heavy. Als Teenager hörte ich z. B. sehr gerne »Röda Bönor« (Rote Bohne), eine feministische Band aus Lund, die waren so cool, so acht bis zehn, die Hälfte konnte kein Instrument spielen, aber das war egal. Feminismus und auch Klassenfragen wurden in dieser Zeit stark verhandelt, Rassismus kaum oder gar nicht.

HYO LEE: Wir hatten Musikunterricht bis zur High School, zur Prüfung mussten alle, also das waren Klassen mit 40, 45 Schüler ­Innen, »O Sole Mio singen«, alle. Meine Stimme hat schon beim ersten O gezittert, aber da half nichts, bis zum Ende mussten alle singen, das ging über Stunden. Die Bot­schaften der Kinderlieder waren sehr allge­mein, auch nicht genderspezifisch, mehr so was wie nicht streiten, nicht rauchen.

Heute ist Karaoke in Korea super wichtig, es gibt aber auch gute feministische Rappe­rinnen. Karaoke ist so bedeutend, dass es mittlerweile so Einzelkabinen mit Kopfhö­rern gibt, damit die Leute für ihre Auftritte vor Friends & Family üben können. Die gro­ßen Karaoke-Bars haben mehr so Wohn­zimmer-Atmosphäre, mit Sofas und Essen, natürlich Alkohol, alles für stundenlanges Verweilen.

DENICE BOURBON: Karaoke ist in Finn­land auch sehr beliebt, in jedem kleinen Dorf gibt es eine Karaoke-Bar. Das kommt wohl daher, dass die Leute nicht miteinan­der reden können, so kann man ohne eigene Worte miteinander trinken, gemein­sam was erleben und sich das Herz aus dem Leib singen.

Das bringt mich doch zu einer nächsten Frage: Musik und Drogen. In den 60ern nehmen viele LSD, in den 70ern Heroin, heute koksen alle. Sagt das mehr über die gesellschaftlichen Verhältnisse als die Musik aus?

HYO LEE, DENICE BOURBON: Ah, das ist zu allgemein. Das sind Klischees.

DENICE BOURBON: Das war immer das Klischee: Punks nehmen Heroin, die Leute, die Reggae hören, kiffen, die Leute, die Techno hören, nehmen Ecstasy, heute neh­men Leute Keta, heute kokst ja jeder Mensch, das war früher eher mit neolibera­len Jobs, Bankern assoziiert und mit Pop von Duran Duran. Die Goths haben tatsäch­lich immer wenig getrunken und wenig Drogen genommen.

HYO LEE: Die haben immer diese Rotwein­sachen getrunken, Cola-Rot.

DENICE BOURBON: Ja, genau, und Brit Pop war Speed und Ecstasy.

HYO LEE: Speed, um wach zu bleiben, aber auch, um nicht so schüchtern zu sein. Also hier und heute, aus meiner Erfahrung hinter der Bar, Leute nehmen einfach, was sie kriegen können. Das hat nicht so viel mit der Musikrichtung zu tun, mehr das nehmen, was einfach verfügbar ist.

Wenn die Welt morgen wirklich radikal anders wäre, liebevoll, aufregend, lei­denschaftlich, jedenfalls gelungen – wel­che Musik würde dann gespielt?

DENICE BOURBON: Musik reagiert immer auf die Zustände, um ein prominentes Bei­spiel zu nennen, Nirvana. Diese Band wäre niemals 1987 so weltberühmt geworden oder 96, sie wurden 91 berühmt, weil viele Leute an ganz verschiedenen Orten, also global, dieselbe Sehnsucht teilten. Sie hät­ten als Band existiert, aber so bekannt wur­den sie, weil so viele Leute dieselben Gefühle hatten. Nach den 80ern, die so kon­sumorientiert waren, kommt da eine mas­sive Gegenbewegung. Du konntest ja Teil der Grunge Wave sein, ohne dafür Geld aus­zugeben, du hast einfach die Pyjamajacke des Opas genommen und warst Grunge, irgendwas, das du im Container gefunden hast, egal. Das war antikapitalistisch, es hat nichts gekostet, sich in diese Kultur reinzu­schmeißen, selbst Punk war ja schwierig zu machen.

HYO LEE: Heute dominiert doch so eine »Teenage Mentality«, die Leute sind 40 oder 50 und nicht erwachsen. Und deshalb würden wir auch dann noch so traurige Sachen hören, selbst wenn die Welt in Ordnung wäre. Dann hätten wir endlich Zeit, um uns mit allen Gefühlsfacetten zu beschäftigen.

DENICE BOURBON: Ja, diese 516 Tage Regierung jetzt oder wie viele es waren, das war ja so ein Shit-Fest, das niemand in Frage stellen würde, dass die Venga­boys da auftreten. Wir hätten alles genommen, so lange wir irgendwo zusammen sein und Ibiza genießen kön­nen. Es war so ein Glück, das kollektiv genießen zu können. Niemand hätte gesagt, können wir bitte einen anderen Song haben, davor waren wir alle so ver­zweifelt, und zu dieser Erleichterung passt einfach alles.

HYO LEE: Na, es muss mit dem Grad der Dummheit korrespondieren, mit dem, was in der Politik veranstaltet wurde.

DENICE BOURBON: Stimmt, das ist klug, also Vengaboys, die Musik ist genauso deppert wie die Politik davor war. Ich sag das jetzt auf Wienerisch.

Und wohin wird es jetzt gehen? Was zeichnet sich ab?

DENICE BOURBON: Ich hab‘ so ein Gefühl, es werden wieder mehr Bands kommen. Jetzt gibt es sehr viele Einzel­künstlerInnen mit ihren elektronischen Geräten, es wird wieder mehr Organi­sches geben.

HYO LEE: Das zeichnet sich nicht nur in der Musik ab, ebenso in der Kunst, die Idee von Kollektivität hat eine Weile gefehlt, diese Kokain-Ära, so One-Man-Shows. Jetzt wird es wieder Politischer.

DENICE BOURBON: Gerade die Klima­bewegung zeigt das auch, dieses Gefühl, nur Gemeinsam noch was auf die Reihe zu kriegen, das wird sich auch in der Musik ausdrücken.

Denice Bourbon wurde in Finnland gebo­ren und wuchs in Schweden auf. Seit 2002 lebt sie in Wien und bewegt sich vor allem in der Avantgarde-Queer-Szene, wo sie als multitalentierte Künstlerin tätig ist.

Hyo Lee ist Fotografin, Videokünstlerin und Performerin und lebt seit 2006 in Wien.

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Gelesen 6290 mal Letzte Änderung am Freitag, 26 Juli 2019 15:34
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