Volksstimmefest 2012, Abendprogramm Bärbel Danneberg Volksstimmefest 2012, Abendprogramm

Ein Gemisch aus Volksfest und Avantgarde

von

Seit ich 1973 nach Wien gezogen bin, war ich auf jedem Volksstimmefest. Was ist in meinen Erinnerungen besonders hängen geblieben?

Essay von Bärbel Danneberg

Früher fand das Volksstimmefest im Juni statt. Wegen des oftmals schlech­ten Wetters wurde es auf das Wochenende vor Schulbeginn im September verlegt, was wettermäßig keinen so großen Unter­schied macht. Dieses Fest ist ein Lichtblick nach der Sommerpause, sagen viele, dort trifft man Bekannte und politische Wegge­fährt*innen, und der Start in den Schul- und Alltagstrott wird dadurch versüßt.

Leckerlis und Frauentreffpunkt

In den 1970er Jahren war ich in meinem »Gebiet« im KPÖ-Grätzel Schiffamtsgasse eingeteilt. Das hieß: Kaum aus dem Urlaub zurück, am Wochenende vor Schulbeginn den Lastwagen mit den Festsachen wie Bänke, Tische, Gaskocher, Bierkisten bela­den (Männersache); und Essgeschirr, Küchenfetzen, Lebensmittel herrichten, Kuchen backen (Frauensache). »Auf der Wies’n« dann wie am Campingplatz um Schattenplätze feilschen. Meine Kinder lie­fen irgendwo in dem Trubel mit. Meine Aufgabe war es, die für den 2. Bezirk legendären Schnitzel mit Kartoffelsalat zu servieren und zu kassieren.

Eine Zeitlang war ich auch Losverkäufe­rin, »Tombolalose, Arbeitslose« skandier­ten wir jungen Verkäufer*innen spaßhalber im Chor, fast jeder Treffer eine Niete und alle hofften auf das Ausstellungspracht­stück Skoda. Nur wer eine Festschleife gekauft und beim VS-Zentralstand einge­worfen hatte, besaß eine Chance. Die im großen Zelt ausgestellten Preise, viele aus den damals noch existierenden sozialisti­schen Ländern, warteten auf ihre Gewin­ner*innen. Ich gewann einmal ein Bügel­eisen und 2007 den Hauptpreis: 50 öster­reichische Filmraritäten aus dem Filmarchiv Austria. Ein Leckerbissen.

Als ich mich von meinem damaligen Lebensgefährten trennte, hieß das auch Trennung von meinem Bezirk. Das Private ist politisch. Ein paarmal kochte ich riesige Waschkessel voll mit russischem Borschtsch für den 3. Bezirk, auch ein Ren­ner, und dann war ich am »Frauenstand« gut aufgehoben. Irma Schwager brachte jedes Jahr ihren sagenhaften Zwetschgen­kuchen, nicht nur umschwärmt von den Wespen, und Maria Lautischer, verantwort­lich für den »Klub der politisch interessier­ten Frau« vom Bund Demokratischer Frauen, organisierte die tollsten politischen Diskussionen zu den damals noch heiß (und heute wieder) umstrittenen Themen wie »Schwangerschaftsabbruch«, »Selbstbe­stimmungsrecht der Frau« oder »Putzfrau – ja oder nein?«

Ein heißer Renner war auch die lebens­große Foto-Attrappe von Clara Zetkin, durch deren ausgeschnittenes Gesicht der eigene Kopf geschoben und ein Polaroid-Foto erstanden werden konnte. Einmal hat Christine Nöstlinger aus ihren Büchern gelesen, und auch Johanna Dohnal besuchte unseren Frauenstand.

Unsere Kinder am Frauenstand waren damit beschäftigt, auf dem alten Baum­stamm ihre Rutschkünste zu beweisen, wir Mütter verarzteten die geschundenen Knie, die Väter waren politisch wichtig irgendwo anders. Der Frauenstand war ein »Muss«, Bücher, Broschüren und Sangria, von Mar­git Niederhuber eingeführt, waren ebenso begehrt wie unsere Diskussionen. Unser politischer Elan war rührend, mit Eifer argumentierten wir gegen den NATO-Dop­pelbeschluss und für das friedliebende sozialistische Lager an unserer östlichen Grenze. Mit der Zeit nahm das Picasso-Gesicht auf den begehrten BDF-Leiberln Pausbackenform in Brusthöhe an, wir wur­den älter und abgeklärter.

Literatur, Musik, Kunst

Meist versäumten wir vom Frauenstand wie auch all jene, die »ihre Bezirksstände« betreuten, das politische und kulturelle Festprogramm. Wir ließen es uns dennoch nicht nehmen, über die salopp geschwun­genen Damenbeine beim Auftritt der DDR-Frauen am Neuen Deutschland-Stand zu läs­tern, uns über die Blasmusik der tsche­chischen Trachtenkapelle oder das lauthals ausgerufene »Frische Fische aus Simme­ring« zu amüsieren. Wir wollten lieber die lateinamerikanischen Salsa-Klänge, Stefan Webers »Drahdiwaberl«, Sigi Marons »Leckts mi am Oasch« oder die vielen, damals noch unbekannten Bands auf der Hauptbühne hören. Und ich wollte die Lesungen mit Jelinek, Scharang, Turrini oder den Überbleibseln der Literaturprodu­zenten eines Lutz Holzinger nicht versäu­men und die Auftritte der Literat*innen beim »Linken Wort« aus »meinem Arbeits­kreises schreibender Frauen« oder dem »Werkkreis Literatur der Arbeitswelt« ver­folgen. Meist ein frommer Wunsch.

Ein Höhepunkt war für viele die ZB-Galerie der Künstler*innen: Bilder von bekannten Größen wie Alfred Hrdlicka konnten ebenso wie die von weniger Bekannten gekauft oder ersteigert werden, eine Zierde bis heute für so manches linke Wohnzimmer. In meinen Erinnerungssplit­tern tauchen »Größen« auf, die damals als »Kleine« am Volksstimmefest erste Öffent­lichkeit hatten. Viele finden sich im Bild­band 100 Jahre KPÖ, der 2018 erschienen ist. Am Festgelände ist immer Gelegenheit, auch darüber Erinnerungen auszutauschen. Gerade die kleinen Kunst- und Kultur ­schaffenden machen das Volks stimmefest zu einem Platz der vielen (Un-)Möglich ­keiten. Für meine Kinder und Enkelkinder, mittlerweile dem »Kinderland«-Kasperl entwachsen, ist das erste September ­wochenende auf der Jesuitenwiese ein Fix­punkt, sie kennen all die neuen Bands, und einer ihrer engsten Kumpels von damals spielt heute bei der Band Kreisky.

Umbrüche und Klogespräche

Den Zusammenbruch der sozialistischen Länder spürten auch die Programmgestal­ter*innen. Die traditionellen Sportwettbe­werbe fielen mehr oder weniger flach, ebenso die Schachturniere und viele Attraktionen aus den befreundeten sozia­listischen Organisationen. Es ist dem frei­willigen Engagement vieler Genoss*innen zu verdanken, dass im Laufe der Jahre der Leerraum durch andere, auch internatio­nale Initiativen gefüllt wurde und das Fest seit Jahrzehnten nach wie vor das schönste von Wien ist. Vor allem das Solidorf und die Straße der Initiativen wurden zum Magnet für Besucher*innen.

Unser Frauenstand wurde zum Eingang hin verlegt. Jedes Jahr gelingen uns mit der Plattform 20000frauen und dem Organisationstalent von Heidi Ambrosch inte­ressante politische Diskussionen und künstlerische Auftritte wie zuletzt die Per­formance Red Silence mit Aiko Kazuko Kurosaki: Die Frauen zogen mit den Trommlerinnen, die Pace-Fahnen schwin­gend, gegen Gewalt an Frauen übers Fest­gelände. Damals wie heute sind die Klos Gesprächsstoff – früher mussten Frauen zahlen und Männer nicht, das ist heute vielleicht aufgrund der Frauenproteste nicht mehr so, aber die Warterei ist die gleiche und es sind immer die interessan­testen Gespräche in der Klo-Warte­schlange.

Gegen Mitternacht dann die letzten Run­den zum Kuba-Stand oder zu den Bezirks­ständen auf einen Abschiedstrunk, und so manche Liebe begann dort. Zu meinen frü­hen Erinnerungen zählt das Feuerwerk zum Abschluss des Volksstimmefestes, bevor die Wiener Linien verstärkt Straßen­bahngaranituren für die Heimtorkelnden einsetzten und das »Aahh« und »Oohh« der müden Kinder, die ihre Schultaschen für den nächsten Tag noch packen muss­ten, verklungen war.

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Gelesen 3488 mal Letzte Änderung am Mittwoch, 01 September 2021 07:49
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