Kultur, Krieg und Tränen pixabay.com

Kultur, Krieg und Tränen

von

Differenzierungen von Eva Brenner

Jetzt wird gehetzt, gegen russische Künstler*innen, Kunst und Kultur. Es ist Krieg und (fast) alle machen mit. Auch die Meinungsmacher*innen in Kunst und Kultur. Selbst klassische russische Werke wie Stücke von Anton Tschechow werden an deutschen Bühnen abgesetzt; man bereinigt die Spielpläne westlicher Theater. Der russische Maestro Valery Gergiev wird Putins »Hofkapellmeister« genannt. In München ereilte ihn ein Ultimatum, »Putins Invasion in der Ukraine anzuprangern, aber er reagierte nicht«. So heißt es lapidar in der medialen Berichterstattung. Es herrscht cancel culture pur.

Was steckt dahinter? Wird gerade das Verhältnis von Kunst und Politik neu abgesteckt? Fallen wir kollektiv in die schlimmsten Zeiten des Kalten Krieges zurück? Die FAZ schreibt in einer hellsichtigen Kritik der antirussisch-bellizistischen Sprache, dass »nach den Jahren des Zauderns [...] Entschlossenheit und Klarheit in der Außen-, Wirtschafts- und Kulturpolitik zu begrüßen« seien. »Doch dort, wo die neue Entschlossenheit in eine blinde Kampfansage gegen alles Russische zu kippen droht, ist sie falsch«, heißt es da weiter. Berichtet wird auch über die Androhung, ein Dostojewski-Seminar an der Universität Mailand-Bicocca zu verschieben, was nach Protesten rückgängig gemacht werden musste. Dennoch zeige der Vorfall, »wie die Logik des Kriegs unsere kulturellen Fundamente auszu-höhlen droht – jene, für deren Verteidigung die ukrainische Bevölkerung vor unseren Augen ihr Leben aufs Spiel setzt –, wenn sie jetzt reflexhaft und ohne Differenzierung auf alles übertragen wird«. Ukrainische Künstler*innen an deutschen Theatern weigern sich, in russischen Werken aufzutreten. Das Filmfestival Cannes will künftig keine russischen Filme willkommen heißen, solange der Krieg nicht beendet ist.

Scheinheilige Debatte

An der Spitze der anti-russischen Diskriminierung stehen Stars der Opern-, Tanz- und Konzertwelt, so genannte Putin-Freund* innen wie besagter Dirigent Gergiev oder die österreichisch-russische Operndiva Anna Netrebko. Grausliche Bilder gemeinsamer Auftritte aus der Vergangenheit zieren den Boulevard; berühmte Stars Hand in Hand oder in Begleitung des russischen Diktators machen die mediale Runde. Die ideologische Unterwerfung einzelner Künstler* innen unter das autoritäre Putin-Regime im Gegenzug für Karriere, Macht und Geld kann jedoch die Hetze gegen die gesamte russische Kunstwelt, deren Mehrheit aus kaum bis wenig bekannten Künstler* innen besteht, nicht wettmachen. Karrierist*innen und Komplizen der Macht gibt es viele, sie sind überall zu Hause, auch in der westlichen Demokratie, dort walten bloß andere Spielregeln und Mechanismen, die ungleich schwerer zu durchschauen sind. All das wird in der propagandistischen Kriegs-Kultur-Debatte tunlichst verschwiegen.

Opern- und Konzerthäuser von Mailand über München bis New York laden russische Künstler*innen aus, Theater sagen fertige Vorstellungen ab, gefeierte Solotänzer*innen verlassen ihre Compagnien, betroffen sind unter anderem das Bolschoi-Ballett in Moskau oder das

Mariinsky-Theater in St. Petersburg. Diese scheinheiligen Überreaktionen des Kunstbetriebs kennen keine Grenzen. Wir wissen von ähnlichen Fotos westlicher Politik mit Wladimir Putin und seinen Gefolgsleuten, die von der engen Verzahnung zwischen Europas Eliten und der russischen Wirtschaft zeugen. Sie haben nicht annähernd dieselbe öffentliche Wirkung.

Was also ist los im konfliktreichen Verhältnis zwischen Kunst und Politik? Nachdem es in der rezenten, postmodern entpolitisierten Vergangenheit außerhalb akademischer Kreise kaum Thema war, rückt es schlagartig wieder in den Mittelpunkt der Kulturdebatten. Netrebko nennt sich beharrlich unpolitisch, ruft auf zum Frieden, aber distanziert sich nicht von Putin, sie zieht es vor, sich gekränkt-schmollend aus dem Gesangsleben zurückzunehmen, ein wohl vorübergehender Entschluss. Gergiev kündigt Frie-denskonzerte in Moskau an, während der Krieg gerade Fahrt aufnimmt, nachdem er als Chefdirigent der Münchner Philharmonie gefeuert wurde.

Eine in Wien lebende ukrainische Künstlerin, deren Familie derzeit im umkämpften Kiew ausharrt, zeigt Verständnis, dass die Aufmerksamkeit in dieser Krise nicht der Kunst, sondern dem Militär gelten müsse. Dariia Kuzmych erfuhr in Wien vom Krieg in ihrer Heimat, die Weltkunst berichtete. Ihre Antwort auf die Frage, ob sie schon eine Vorstellung habe, was der Krieg für die ukrainische Kunstszene und ihre Freiheit bedeutete, mutet verstörend an: »Es geht jetzt erst mal um die Armee. Sie kommt jetzt an erster Stelle. Die Armee und die Menschen. Die Kunst kommt später. Auch in der Kunstszene hatten wir vor dem Krieg komische Kämpfe und Auseinandersetzungen, aber jetzt ist das völlig egal!«

Unpolitische Kunst?

Grundsatz jeder Betrachtung aus marxistischer Sicht ist das Diktum, dass Kunst nicht außerhalb von Politik und Machtverhältnissen existiert, nicht außerhalb von Geschichte und Klassenkampf produziert und rezipiert werden kann. Denn die herrschende Kunst ist – wie das mit den Gedanken so ist – immer die Kunst der herrschenden Klasse. Entscheidend ist nicht die Nationalität, Herkunft oder kulturelle Tradition der einzelnen Künstler*innen, sondern deren Position im aktuellen Kunstbetrieb und die Wertehaltung, die je im Kunstwerk zum Ausdruck gebracht wird. Entweder es ist Kunst von unten, aus der Perspektive und im Interesse der unterdrückten Mehrheit, oder es ist Kunst von oben, die den Eliten zuarbeitet und den gesellschaftlichen Status quo affirmiert. Daran kann keine individuelle, gut gemeinte Behauptung, unpolitische Kunst zu machen, etwas ändern. So viel, so verständlich.

In einer Diktatur ist das historisch belastete Verhältnis zwischen Kunst und Politik um einiges schwieriger zu definieren, weil Künstler*innen ohne Nähe zum autoritären System bzw. ohne Privilegien kaum Chancen auf Verwirklichung ihrer Arbeit eingeräumt werden. All diese komplexen Relationen fallen bei der derzeitigen kriegsrhetorischen Kulturdebatte unter den Tisch. Plötzlich soll nur mehr die Nationalität zählen – wo doch gerade Künstler*innen und Wissenschaftler*innen, die sich zumeist bewusst kosmopolitisch, keiner einzelnen kulturellen »Heimat« verpflichtet positionieren, Bindung an eine bestimmte Nationalität ablehnen. Die gegenwärtig stattfindende Ausgrenzung russischer Künstler*innen aus dem Diskurs und Arbeitsleben sowie die damit einhergehende Verengung des Blicks auf historisch immer schon prekäre Abhängigkeiten von Künstler*innen vis-á-vis der Macht muss durch eine informierte, politisch weitsichtige Debatte ersetzt werden, die ohne Schuldzuweisungen und erzwungene Offenbarungseide auskommt. Der unerträglich nationalistische Diskurs, der russische Künstler*innen wie Wissenschaftler*innen, mit denen zahlreiche internationale Kooperationen ausgesetzt werden, samt und sonders in Geiselhaft nimmt, die in Russland lebenden sowie die in der Diaspora, muss umgehend eingestellt werden. Das unwürdige Schauspiel geschieht mit keinem anderen Berufsstand. Das darf nicht zugelassen werden!

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Gelesen 2472 mal Letzte Änderung am Sonntag, 10 April 2022 14:46
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