Hände weg von Venezuela (28 Jänner 2019, London) Rainer Hackauf Hände weg von Venezuela (28 Jänner 2019, London) FOTO CC 2.0 SOCIALIST APPEAL / FLICKR

VENEZUELA »Wir haben es mit einer ganz klassischen, imperialistischen Regime-Change-Politik zu tun«

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Der Politikwissenschafter DARIO AZZELLINI hat meh­rere Bücher über die politischen Entwicklungen in Venezuela veröffentlicht. Schwerpunkt seiner For­schung sind Prozesse sozialer Transformation. Er ist Gründungsmitglied des 2011 gegründeten Internetar­chivs workerscontrol.net, das Texte zum Thema Arbei­terInnenselbstverwaltung sammelt. Für die Volks­stimme hat RAINER HACKAUF mit Azzellini über die aktuelle Lage in Venezuela gesprochen.

Der Putschversuch gegen den amtieren­den Präsidenten Nicolás Maduro scheint ins Stocken geraten. Ein falscher Ein­druck?

DARIO AZZELLINI: Der Putschversuch ist völlig gescheitert. Es gab weder die viel­leicht erhofften, massenhaften Desertionen aus dem Militär, noch gab es einen erhoff­ten Volksaufstand. Von »der« rechten Opposition zu reden, ist jedoch falsch, da die Opposition selber gespalten ist. Juan Guiado hat nicht einmal die Unterstützung des maßgeblichen Teils des Oppositionsla­gers, sondern wird auch hier scharf kriti­siert. Aus diesen Gründen setzt Guiado nun vollständig auf internationale Unterstüt­zung. Militärisch setzt er auf die Provoka­tion durch die USA, politisch setzt er auf die EU. Die EU macht sich zum willfährigen Helfer dieses Regierungssturzes. Und das gegen das geltende Völkerrecht, gegen fast alle internationalen Institutionen und gegen geltende diplomatische Praxis.

Wie sieht die Lage in Venezuela aktuell aus?

 

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DARIO AZZELLINI: Das internationale Engagement durch USA und EU hat dazu geführt, dass es zu einem Solidaritätseffekt in Venezuela gekommen ist. Das heißt, viele, die kritisch gegenüber Maduro einge­stellt sind, haben sich in den letzten Wochen dafür ausgesprochen, die Souverä­nität der aktuellen Regierung anzuerken­nen. Eine Einmischung von außen lehnen sie klar ab. Die Situation im Land selbst kann als angespannte Ruhe bezeichnet werden. Die meisten Menschen in Vene­zuela gehen ihren Alltagsgeschäften nach. Die Versorgungssituation schwankt immer wieder. Das hat stark mit der Blockade ­situation zu tun, aber auch den Beschlag­nahmungen von Kapital, womit es für die Regierung schwierig ist, Medikamente und Nahrungsmittel zu beschaffen.

Die USA machen aus ihren Interessen kaum Hehl. So sprach etwa der US-Sicherheitsberater John Bolton kürzlich in einem Interview von der anstrebens­werten »Übernahme des venezolani­schen Öls durch US-Firmen«. Warum engagiert sich die EU aber in dem Kon­flikt so stark?

DARIO AZZELLINI: Das ist eine gute Frage. Bei der USA ist es klar. Diese haben den Nahen- und Mittleren Osten als Ein­flussgebiet faktisch aufgegeben, dafür wol­len sie Lateinamerika und das Karibik-Becken wieder unter ihre Kontrolle brin­gen. All das, um ihre strategische Position zu behalten.

Was sich die EU erhofft, ist mir nicht ganz klar. Wobei man hier differenzieren muss. Die EU unterstützt die gemäßigten Positionen von Uruguay und Mexiko bei den internationalen Verhandlungen. Vor­geprescht sind die alten imperialen Kern­staaten Spanien, Frankreich, Großbritan­nien und Deutschland. Dabei zeigen die Erfahrungen aus dem Irak oder vergleich­baren Kriegssituationen doch eigentlich, es wird nichts abfallen. Die USA werden, so sie sich durchsetzen, keinen einzigen Krümel vom Kuchen an EU-Staaten abgeben.

Was aber noch viel schlimmer ist, wir bewegen uns weiter auf einen Dritten Welt­krieg zu. Das klingt jetzt sehr drastisch. Aber wir müssen uns vor Augen halten, dass wir aktuell vor einer völligen Neuord­nung der Welt stehen. China und Russland, die sehr große Investitionen in Venezuela gemacht haben, werden zudem nicht ein­fach hinnehmen, wenn die USA dort inter­venieren. Venezuela ist schließlich eines der rohstoffreichsten Länder der Welt. China und Russland werden als Ausgleich in anderen Ländern der Welt intervenieren. Wir bewegen uns also auf einen Multifron­ten-Weltkrieg zu.

Von internationalen UnterstützerInnen der Maduro-Regierung wird oft der Ver­gleich zu den Konflikten in Syrien und der Ukraine gezogen. Sind die Situatio­nen vergleichbar?

DARIO AZZELLINI: Das kommt auf die Ebene des Vergleichs an. Wenn es darum geht, dass letztendlich geostrategische Interessen im Mittelpunkt stehen und nicht humanitäre oder demokratische Werte, dann kann man die Situationen verglei­chen. Auf allen anderen Ebenen aber nicht. Es gibt in Venezuela – bis auf die paar von Kolumbien oder den USA aus finanzierten, paramilitärischen Grüppchen – keine bewaffneten Einheiten. Es gibt keinen bewaffneten Volksaufstand gegen die Regierung, nur kleinere terroristische Akte. Es gibt auch keinen Krieg der Regierung gegen die eigene Bevölkerung, wie in Syrien. Wir haben es in Venezuela mit einer ganz klassischen, imperialistischen US-Regime-Change-Politik gegen eine Regie­rung zu tun, die aber eigentlich internatio­nale Legitimität hat.

In Venezuela gibt es auch eine linke Opposition, die auch sehr kritisch gegen­über der Maduro-Regierung ist. Wie sind deren Positionen?

DARIO AZZELLINI: Hier gilt es zu diffe­renzieren. Der Großteil der Basisorganisa­tionen, der »Comunas«, der lokalen Selbst­verwaltungsstrukturen stecken ja tatsäch­lich in Konflikten mit der Regierung. Vor allem weil in den letzten Jahren die ver­schiedenen Formen der Partizipation immer mehr eingeschränkt wurden. Zugleich wenden sich diese Organisationen klar gegen Interventionen aus dem Aus­land. Einfach weil sie davon ausgehen, dass sie unter anderen Regierungen keine besse­ren Chancen haben, ihr Kämpfe voranzu­treiben.

Daneben gibt es ein paar Intellektuelle, die gerne im Ausland herumgereicht wer­den. Deren Aufrufe und Petitionen werden zwar im Ausland in Teilen der Linken dis­kutiert, sind aber in Venezuela faktisch unbedeutend. Auch die Forderung nach umfassenden Wahlen aller Institutionen aus dieser Ecke ist absurd. In einer Situa­tion der massiven Blockaden und Drohun­gen von außen an freie Wahlen zu glauben, hat mit der Realität wenig zu tun.

Dann gibt es noch einen weiteren Flügel der linken Opposition. Dieser besteht aus ehemaligen Chavistas und ist sehr kritisch gegenüber der Maduro-Regierung. Er setzt auf eine Art Volksabstimmung zur Bestäti­gung aller existierenden Institutionen und in Folge auf eine Regierung der nationalen Einheit. So soll einer Intervention von außen der Boden entzogen werden. Dieser Ansatz geht davon aus, dass Linke und Rechte gleiche Interessen haben. Das halte ich für problematisch. Zudem sind solche linken Etappen-Experimente im 20. Jahr­hundert immer wieder gescheitert.

Stichwort »gelebter Internationalis­mus«, wie sollen sich Linke verhalten?

DARIO AZZELLINI: Es braucht eine klare Haltung von Linken im Ausland. Erstens ist der Konflikt eine interne Angelegenheit von Venezuela – jede Einmischung von außen muss unterbleiben. Das umfasst auch die Forderung von Linken in Europa nach Neuwahlen in Venezuela. Und zweitens, die wichtigste Forderung muss sich an die eige­nen Regierungen richten. Nämlich die Blo­ckadepolitik sowie die völkerrechtswidrige Anerkennung von Guidano sofort zu been­den.

Wie sähe eine interne Lösung des Kon­flikts aus?

DARIO AZZELLINI: Ab 2012 wurden in Venezuela massiv Betriebe besetzt mit der Forderung nach ArbeiterInnenkontrolle. Auch aktuell gibt es Kämpfe von Basisorga­nisationen, den »Comunas«, die staatliche Ländereien besetzen, um die Produktion voranzutreiben. Diese Kämpfe gegen die Regierung müssten ausgeweitet und ver­tieft werden, um eine Linke zu stärken. Eine Intervention von außen wird das Gegenteil bringen.

Gelesen 8093 mal Letzte Änderung am Donnerstag, 21 März 2019 10:48
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