„Gentile“* (60), Busfahrer
im Gespräch mit Jonas Kraft
„Gentile“, 60 (Spitzname, richtiger Name ist der Redaktion bekannt)
Wie ist Ihre Berufsbezeichnung?
Bis zu meiner Pensionierung vor ein paar Jahren war ich Busfahrer.
Wie sind Sie dazu gekommen?
Es ist eine lange Zeit her, in den frühen 90ern. Ich war Staplerfahrer in einem großen österreichischen Unternehmen. Es hieß, sie suchen eventuell LKW-Lenker. Danach habe ich privat den LKW-Führerschein gemacht. Man denkt, ja, das ist kein Dauerzustand, Staplerfahrer zu werden oder zu bleiben. Noch dazu ist es uns angeraten worden, eine Stufe höher zu steigen, weil einfach zu wenig Arbeit für uns übergeblieben ist. Und habe mich nachher halt beworben. Auf einmal kurz vor der Ferienzeit fragt mich der Meister bzw. Partieführer, sie suchen Buslenker, aber das muss heute passieren, das muss eine schnelle Entscheidung sein, es wird alles gezahlt und so weiter. Nachher habe ich gedacht, ja, eigentlich ein Glück für mich, die große Chance. Dann war ich ein sogenannter „Abgeordneter“, ich habe mich gefühlt wie ein Nationalrat. Nicht alle haben das gut geheißen, aber zu 99 % haben sie gesagt, ja das ist eine gute Chance für dich, da wirst du wenigstens ein selbstbewusster Mensch. Nach zwei Monaten sind wir als Lkw-Fahrer gefahren und gleichzeitig eingeschult worden zum Buslenker. Und für mich war es eine Überraschung, dass ich gleich beim ersten Mal durchgekommen bin. Ich habe gesagt, oh, ich bin ja gut. Und mein Vater war immer auch talentiert für Traktorfahren, Pferde, Kutschenfahren etc. Also das liegt mir eigentlich eh im Blut, aber es ist nicht wirklich herausgekommen, bis zu diesem Zeitpunkt. Mir ist eigentlich nichts anderes übrig geblieben. Sonst wäre ich dort versandelt, wenn man das so sagen darf.
Was waren Ihre Aufgaben und Arbeitsbedingungen?
Die Arbeitszeit war nicht geregelt. Du hast meistens oder sehr oft Tagesdienste schon noch gehabt, aber das heißt, ein Tagesdienst ist ungefähr von 6 Uhr Dienstbeginn gewesen bis 18 Uhr. Also kurze Dienste hat es auch gegeben, die sind zirka vier Stunden gewesen. Das heißt, du hast den ersten Kurs zu fahren gehabt und bist drei Stunden lang gefahren, nachher bist du nach Hause gegangen. Oder die Nachmittagsdienste, die zwischen 15 und 17 Uhr begonnen haben, so gesehen hat es alles gegeben. Ein Fahrgast hat einmal gesagt, du sitzt noch immer drinnen. Ich antwortete, schau mal, wir haben unsere gesetzlich vorgeschriebenen Pausen. Die halten wir ordnungsgemäß ein. Der Disponent hat gesagt, du bist gerade noch im grünen Bereich, sage ich mal so. Mit den Überstunden war es so, wenn ich fahren durfte, war ich glücklich, aber nachher, kurz vor der Pensionierung, hat es Zeiten und Phasen gegeben, die ich nicht ganz nachvollziehen konnte, dass wir praktisch keine oder nur wenig Überstunden machen durften. Sonst hätten andere Kollegen gekündigt werden müssen, weil wir praktisch zu wenig Arbeit gehabt haben. Solche Phasen hat es auch gegeben. Aus menschlicher Sicht habe ich sie natürlich nachvollziehen können. Es hätte aus meiner Sicht auch andere Lösungen geben können.
Du hast spätestens alle viereinhalb Stunden eine 45 Minuten Pause gehabt oder gestaffelt, laut EU-Gesetz und laut normalen Gesetzen. Meistens haben sie noch gesagt, in dem Gesetz bist du drin, in den anderen wärst du nicht mehr drin. Ich bin ja kein Philosoph oder Rechtswissenschaftler. Soll ich da jetzt wegen jeder Minute drauf schauen? Und darum hat das Digitalgerät meistens aufgeleuchtet. Und da waren auch oft die Streitereien. Normalerweise hat es geheißen, wenn es aufleuchtet, darfst du eigentlich nicht mehr fahren. Und der Disponent hat gesagt, das ist falsch eingestellt, du kannst trotzdem fahren. Ich hab gesagt, nach was soll ich mich richten? Und darum sind dann nachher Ex-Kollegen auch zu Gericht gegangen. Wir müssen fahren, wenn es da oben aufleuchtet und piepst. Es kann aber auch die eigene Schuld sein, wenn du vergessen hast, die Taste zu drücken. Wenn das nicht automatisch geht, dann hat der Disponent gesagt, der Fahrer hat vergessen zu drücken, dass er in der Pause ist. Und nachher rennt das weiter und nachher kennt sich der Blechtrottel da oben nicht aus. Er glaubt, er fährt, aber er ist eine halbe Stunde gestanden. Solche Sachen hat es auch gegeben. Früher hast du nur die Scheiben beim Tachographen gehabt, da gab es noch keine digitalen Geräte.
Es hat fast alles gegeben, zum Beispiel hat einer einmal schon verkaufte Fahrscheine eingesammelt und wieder verkauft. Oder einer hat Tachoscheiben nachgeritzt, dass er mehr gefahren ist, als er wirklich gefahren ist. Die sind ungefähr ein Jahr vom Lenkdienst abgezogen worden und dann haben sie eine zweite Chance gekriegt. Das habe ich nicht persönlich erlebt, aber man hat es uns bei der Ausbildung als Warnung erzählt.
Wenn du wegen Baustellen oder Stau immer Verspätung hast, beziehungsweise es sich mit dem Fahrplan nicht ausgeht, hast du echt Probleme mit WC gehen, ich habe da Fälle gesehen, da muss halt der Busch oder der Baum her, auch wenn es eigentlich für Österreich eine Schande ist, sagen wir mal so. Aber das mit den Pausen, da habe ich sogar bei einer Gerichtsverhandlung dabei sein müssen, der Ex-Kollege ist wegen solcher Sachen mehr oder minder gekündigt worden, dass er so viele Kursausfälle gehabt hat und ich habe bei Gericht wahrheitsgetreu aussagen müssen, wie das wirklich war, weil ich als Zeuge vorgeladen wurde. Ich weiß noch, der Disponent hat mir mal erzählt, manche sind schon lustig, die schreiben ein, was sie um diese Zeit getankt haben oder in die Waschhalle wegen Kleinigkeiten gefahren sind, dabei hätten sie einen Kurs bedienen müssen.
Früher war der Dienstbeginn überhaupt keine Herausforderung, weil man teilweise in Schlafräumen bei den Garagen übernachten konnte. Im Winter gab es Herausforderungen bei Schneefall, pünktlich den Dienstbeginn einzuhalten. Der Arbeitgeber meinte dazu, dass es ihm wurscht ist, wie wir in die Arbeit kommen. Du musst zur rechten Zeit am Arbeitsplatz sein, ob du jetzt mit dem Hubschrauber oder mit dem Taxi oder was auch immer kommst.
Auch die Ruhezeiten sind am Papier geduldig. Ruhezeit sind so, oder Nachtruhe besser gesagt, 8 bis 9 Stunden, aber da war auch manchmal die Fahrt von einem Dienstende zum Dienstanfang an einem komplett anderen Standort dabei. Du kannst nur hoffen, dass der Disponent Verständnis hat und menschlich handelt.
Waren Sie zufrieden mit Ihrer Arbeit?
Ja, ich war zufrieden, weil ich Busfahrer sein konnte, auch wenn es auf alle Fälle stressig war. Am Arbeitsplatz war ich nicht einmal ein Jahr, dann bin ich sowas wie Betriebsrat geworden. Meine Frau hat mich so gut wie überhaupt nicht mehr gesehen. Die Arbeitszeiten sind familienfeindlich, sage ich mal. Du bist zwar im Betrieb anerkannt und beliebt und passt mehr oder minder alles, aber zu Hause hast du Stress, weil du mitbekommst, irgendwas hat’s, weil das passt nicht mehr zusammen, du müsstest mehr zu Hause sein und so weiter. Ja, das ist ein Vor- und Nachteil eines Buslenkers. Eigentlich war ich happy, dass ich endlich einmal meine Kompetenz zeigen konnte.
Was sieht die Öffentlichkeit nicht?
Da fällt mir dazu ein, wir haben relativ viele Putzbereiche machen müssen, also Tanken und Pflegen des Busses. An meiner ersten Arbeitsstelle hat es eigene Tankwarte gegeben und die haben auch den Bus gereinigt, ausgekehrt und so weiter. Wie ich an einen anderen Ort gekommen bin, hat es das auch nicht mehr gegeben. Nein, das kostet was, hat es geheißen, der Buslenker ist nicht so blöd, der kann das ja selber auch machen. Natürlich kann er das auch machen, aber was ist dabei zu beachten? Nicht nur, dass die Lenkpause meistens kürzer wird, wenn er Verspätung hat, aber das gehört zu einem Bereich, was die meisten Fahrgäste gar nicht gewusst oder geahnt haben. Du hast vor allen Leuten beim Busbahnhof ausgekehrt, es hat furchtbar gestaubt.
Was wünschen Sie sich von der Politik für Ihren Beruf?
Mehr Wertschätzung gegenüber den Buslenkern, weil sie unterbezahlt werden, dann ist es vorgekommen, dass viele in den Krankenstand gegangen sind. Oder gleich am Anfang, vor ungefähr 20 Jahren, dass sie wieder retour gegangen sind zum alten Beruf, zum LKW-Fahrer, zur Mischmaschine oder ähnliches, weil es finanziell fast kein Unterschied mehr war. Ich habe gefühlt zehnmal so viel Verantwortung, weil da hinten sind als LKW-Fahrer Schottersteine oder Pflastersteine. Die tun sich normalerweise nicht weh, das ist egal, wie schnell ich in die Kurve fahre. Höchstens, wenn es zu schnell ist, dass er umkippen würde, aber das ist ja der Ausnahmefall. Bei den Fahrgästen, wie ich eingeschult wurde, hat es immer geheißen, im Bus hast du volle Verantwortung, was drinnen passiert. Das ist, wie gesagt, das Credo gewesen, im Bus bist du hundertprozentig verantwortlich. Ich wünsche mir, dass diese große Verantwortung, die der Lenker jeden Tag übernimmt, mehr anerkannt wird.
Außerdem möchte ich, dass nicht nur die Kundenwünsche, sondern die Lenkerwünsche mehr berücksichtigt werden. Am Ende des Tages hat es geheißen, wir werden bei der nächsten Ausschreibung, alle drei, vier bis fünf Jahre ist eine neue Ausschreibung, wieder dabei sein und können wieder auf den Linien fahren. Nachher ist schon mitgeteilt worden, nein überhaupt nicht so, ihr könnt euch mehr oder weniger auf anderen Linien umschauen, andere Diensteinteilungen, nicht mehr am alten Standort. Weil die so wenig bezahlt haben, dass der Arbeitgeber gesagt hat, das ist so finanziell nicht relevant und uninteressant, dass wir gar nicht mehr mitgeboten haben. Und das würde ich mir wieder zurückwünschen für die Kollegen. Weil früher hat es geheißen, so wie beim Kreisky, mir sind Schulden egal, Hauptsache keine Arbeitslosen. Und dass die Lenker zufrieden sind. Ja, was ist dabei herausgekommen? Die haben sich, wie gesagt, auf andere Linien umschauen müssen, unter anderen Arbeitgebern oder ähnliches mehr.
Wie sehen Sie die Zukunft Ihres Berufs?
Es wird viel über selbstfahrende Autos und Busse geredet, in Japan, in Amerika, von mir aus; haben sie in Wien, glaube ich, auch schon ausprobiert, dass so kleine City-Busse, selbst fahren, aber es ist nichts draus geworden. Am Ende des Tages machen Buslenker auch Fehler. Ich will nicht sagen, dass das hundertprozentig alles fehlerfrei abläuft, aber da steht dann nachher irgendwann einmal der Roboter und weiß nicht, was vor ihm steht, und steht eine Stunde und glaubt, da ist ein Hindernis, dabei ist es nur ein Schatten oder ein kleiner Ast, der zu überwinden ist oder irgendetwas ähnliches. Also da hat es noch relativ viele Herausforderungen gegeben, dass das nicht geklappt hat. Sonst hätte sich das schon durchgesetzt. Das würde ich schon sagen. Außerdem werden viele Billigarbeiter aus den ehemaligen Ostblockländern herangezogen. Lohndumping wird ein immer größeres Problem werden.