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Leben und Sterben »in Würde« – ein häufig benutztes Wort, dem unsere Gesellschaft nicht unbedingt gerecht wird.

Von Martina Wittels

Unlängst haben in der Salzburger Robert-Jungk-Bibliothek für Zukunftsfragen Silvia Traunwieser, Rechtsphilosophin an der Universität Salzburg, und Rainer Pusch, Amtsleiter des Gesundheitsamts der Stadt Salzburg und Arzt, rechtsphilosophische und gesellschaftspolitische Aspekte des Wunsches nach assistiertem Suizid geboten. Seit 2022 ist dieser in Österreich legal. Unter klar geregelten Auflagen kann man dieses Recht für sich in Anspruch nehmen, wenn eine Palliativärztin und eine zweite Ärztin bestätigen, dass eine unheilbare Erkrankung oder ein besonderes Leid vorliegt und ein freier Wille gegeben ist. In der Diskussion stellte sich heraus, dass es viele Hürden gibt, die dabei bewältigt werden müssen, nicht nur finanzieller Natur. Man finde keine Ärztinnen, eine Liste dürfe von der Ärztekammer nicht geführt werden, auch Apotheken, die das Medikament herausgeben, das den Tod herbeiführen soll, müssen die Betroffenen selbst suchen. Das Medikament ist von der Dosis her genormt, nicht aber die Patienten und Patientinnen, sodass es zu erschreckenden Erfahrungen kommen kann. Sucht man im Internet nach »assistierter Suizid«, stößt man als erstes auf einen sicher fundierten Artikel auf »Heute.at« und dann auf eine ärztliche Praxis, die sich »sterbehilfe-beratung.at« nennt und Überblick und Beratung zum assistierten Suizid verspricht. Hausbesuche und Besuche in den Bundesländern inklusive. Ist das nicht schon geschäftsmäßig?

Im Spiegel (42/2025) konnte man vor kurzem einen Artikel über einen deutschen Sterbehelfer lesen, der mit einem 3-D-Drucker jedem und jeder sterbewilligen Person eine ausreichend große Kapsel, »Sarco« genannt, bastelte, damit sie mit Blickfenster in den Himmel in schöner Landschaft für wenige Momente Kohlenmonoxid atmet und so einen schmerzlosen Tod erlebt. Als er selbst nicht mehr leben wollte – »eine zweite Lebenshälfte brauche ich nicht« –, nahm er mit 47 Jahren die Dienste des Vereins »dignitas.de« in Anspruch und keine seiner eigenen Kapseln.

In Deutschland ist der Wunsch nach Selbstbestimmung so groß, dass der Verfassungsgerichtshof jedem das Recht zugesteht, das Ende seines Lebens selbst zu bestimmen – ohne Erkrankung und ohne »unerträgliches« Leid. Einfach so! Man erinnere sich an Herrn Gärtner in Ferdinand von Schirachs Büchlein und Theaterstück »Gott«, dem nach dem Ableben seiner Ehefrau einfach sterbenslangweilig wurde.

Die Assistenz zum früher sogenannten »Freitod« ist allerdings in Deutschland ein rechtlich völlig ungesichertes Terrain, das beteiligte Ärzte gefährdet; die können sogar im Gefängnis landen – wenn der oder die Sterbewillige für den Richter doch nicht ausreichend über freien Willen verfügt zu haben scheint. Die Sterbebegleiter bei Dignitas hingegen sind routiniert, helfen gerne und natürlich gegen einen entsprechenden Preis, den nicht jeder aufbringt. Die Kosten für die Inanspruchnahme des assistierten Suizids auch in Österreich werden mit mehreren tausend Euro beziffert, was somit eher für eine sterbewillige Upperclass erschwinglich ist. Was bei der Diskussion auffällt: »Würdevoller Tod« wird besonders stark mit assistiertem Suizid verknüpft, wodurch ein ganz normaler Tod somit eher als unwürdig angesehen werden müsste.

Bei einem auch unlängst stattgefundenen Webinar über Palliativmedizin in der Pflege konnte man sich gleich etwas entspannter fühlen. Eva Masel, Leiterin der Klinischen Abteilung für Palliativmedizin, AKH Wien, gab an, dass mit Stand 1. Oktober 2025 österreichweit 807 Sterbeverfügungen erstellt, 661 Präparate abgegeben, 100 Präparate retourniert und 215 Meldungen durch ärztliche Totenbeschau vorgenommen wurden. Angesichts dieser doch geringen Zahl sei das Thema des assistierten Suizids sehr präsent in den Medien; das »gewöhnliche Sterben« müsse die Menschen und die Gesellschaft jedoch in weit breiterem Ausmaß beschäftigen.

In der Zeitschrift Suizidprophylaxe findet man sowohl zum Thema Suizidverhinderung als auch zum assistierten Suizid philosophische, rechtliche und religiöse Texte, die sich den dichotomen Enden des Nichtsollens und des Wollens in sehr interessanter Weise nähern. Immer wieder kommen in diesem Zusammenhang die Begriffe Selbstbestimmung, freier Wille und Würde vor. Aber was kann man sich unter Selbstbestimmung vorstellen, wenn im Alltag immer öfter die Fremdbestimmung dominiert? Was ist die subjektive Würde, die ich für mich beanspruche, wenn neben mir die Menschen in Würdelosigkeit versinken?

»Mit Selbstbestimmung ist gemeint, dass jeder Mensch selbst darüber entscheiden darf, wie er leben möchte. Diese Freiheit, über sein Leben selbst zu bestimmen, ist ein Menschenrecht, das auch durch unsere Verfassung geschützt wird« ist auf der Website der Bundeszentrale für politische Bildung zu lesen, und weiter: »Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt …« Art. 2 Abs. 1 GG. Klingt gut, aber wie steht es mit der Entfaltung der Persönlichkeit Armer und prekär Lebender? Mit der globalen Dimension von Freiheit? Westliche Freiheit verletzt permanent die Freiheit anderer. Und die Würde ist ein vielbemühter Begriff, der vielleicht bald für das Natürliche, das Normale nicht mehr zu Verfügung steht.

Die Philosophin und Psychoanalytikerin Cynthia Fleury schreibt in ihrem Buch über die Würde, dass »der Begriff der Würde einer der meistuntersuchten Begriffe ist, der für die Dynamik der sozialen Bewegungen gemeinsam mit Freiheit und Gleichheit konstitutiv ist«. Gleichzeitig wird Unwürde angeprangert, sodass eine Achse entstünde, die die Gesellschaft teilt. Der eine Teil komme in den Genuss würdiger Lebensbedingungen, der andere werde als »Geber von Würde« unwürdig behandelt. Die Freiheit endet dort, wo sie die Rechte anderer verletzt. Da sich die Erde aber dreht und wir nur immer vor unsere Füße schauen, agieren wir wie unschuldige Kinder, die das Unrecht nicht erkennen können.