Lasst uns tanzen, wo wir tankten PHOTO BY DENNIS OTTINK ON UNSPLASH
21 Oktober

Lasst uns tanzen, wo wir tankten

von

Die Bewegung gegen die Autobahnen wird dramatischer und drastischer.

Ein Essay von Robert Sommer

Es gibt eine Pose, die wie keine andere für den freien Mann relevant ist. Das ist die Bedienung der Gangschaltung, im Nor­malfall der H-Schaltung, mittels der rech­ten Hand Gottes. Die Autokonzerne helfen durch ihren Automatisierungsschwall mit, im Zusammenleben mit einem privaten PKW die liturgischen Ausdrucksformen der Automanie (Titel einer aktuellen Ausstel­lung im MOMA New York) zu missachten. Im Lager der Autogegner*innen könnte ja dann eventuell eine Campagne »Rettet die H-Schaltung« Verwirrung stiften. Diesen Spaß wird ihr die Protestbewegung gegen den Erderwärmer Nr. 1 kaum ermöglichen.

Auch wenn der Widerstand gegen den Lobau-Autobahntunnel, wie es vor Redak tionsschluss dieser Ausgabe aussah, nur langsam auf Touren kommt, so wird er doch ein weiteres Kapitel unserer kurzen Geschichte der Dramatisierung, der Drama­turgie und der Drastik der globalen Bewe­gung gegen die Autoindustrie schreiben. Schätzungsweise im Wochenrhythmus wer­den neue Aktionsformen bekannt, deren Erfinder*innen sich über Nachahmungen freuen. Festivals der Autokonzerne, wie Mitte September die IAA in München, sind der Kreativität der Autogegner*innen besonders förderlich; das kommt von der Dialektik der Erzeugung falscher Erzeugun­gen.

Dramatisierung. Dramaturgie. Drastik. Die drei Begriffe stehen für die Aus­drucksformen einer neuen Radikalität eines zivilgesellschaftlichen Engagements. Unsere kurze Geschichte des »Autohasses« beginnt in Basel. Lucius Burkhardt, einer der gesellschaftskritischen Intellektuellen dieser Stadt (heutigen Urbanist*innen ist er vor allem als Begründer der »Spaziergangs­wissenschaften« bekannt), erkannte, dass das Auto im Begriff war, die gewachsenen Innenstädte zu zerstören, gleichzeitig rela­tivierte er aber den Triumph des motori­sierten Individualverkehrs in den europäi­schen Städten. Der »erste Nachkriegsauto­rausch« werde möglicherweise 30 Jahre dauern, dann sei die Gesellschaft von der Mobilitätssucht genesen und eine vernünf­tige Verkehrspolitik könne in Gang gesetzt werden. An dieser Prognose ist etwas umwerfend bemerkenswert: sie stammt aus dem Jahre 1949, als stadt-auf-land-ab der Duft der Freiheit noch mit dem Benzin ­geruch identisch war.

Burkhardt wusste vor 75 Jahren, dass neue Verkehrsflächen Städte niemals entlasten, sondern mehr Verkehr generie­ren, der dann wiederum als Rechtfertigung neuer Straßenflächen herhalten muss. Die 1982 gegründete staatliche Autowahn­baugesellschaft Asfinag denunziert diese Warnung als Ausgeburt einer Ideologie. Ideologiefrei ist aus dieser Sicht nur die Tunnellobby, die aus Wirtschaftskammer, ÖGB, SPÖ, FPÖ, ÖVP, Stadt Wien, Porr, Stra­bag, ÖAMTC und chinesischen Kreditgebern besteht.

Diese Lobby und ähnliche Netzwerke in ganz Europa sind derzeit dabei, die zweifellos radikalisierte Ohne-Auto-Bewe­gung in die Nähe des Terrorismus zu rücken. Terrorismus liege vor, wenn Green­peace-Mitglieder, so geschehen in der ers­ten Juliwoche 2021, die Schlüssel von tau­send VW-Neuwagen klauten. Aber nicht, um sie zu recyceln. Die Volkswägen warte­ten wenige Tage im Verladehafen Emden darauf, deutsches Exportgut zu werden. Die Schlüssel musste sich der Autokonzern aus einem der Zugspitzengletscher holen, die durch die Warmfront bedroht sind. Vor dem Hintergrund der Klimakrise weitere Verbrennungsmotoren auf die Straße zu bringen sei so kaltblütig, dass ihre Organi­sation nicht einfach nur zuschauen wollte, sagte die Greenpeace-Sprecherin Marion Tiemann, während die Polizei wegen schwerstem Hausfriedensbruch ermittelte.

Immer wieder kommt es zu Autobrand ­serien. Der Höhepunkt dieser Feuerwerke des Punks war 2011 in Berlin. Dort wurden innerhalb einer Randale-Saison 700 Autos abgefackelt. Der politische Hintergrund ist allerdings unklar, vor allem dann, wenn der Fokus keineswegs auf Luxusautos liegt. Bestrafungen gibt‘s kaum, denn es ist leich­ter, Autos zum Knistern zu bringen als den Holzofen eines Anarchistenkellers. Man lege einen Grillanzünder aus dem Super­markt auf den Autoreifen. Man entferne sich bewusst unauffällig oder man laufe weg, je nach Temperament, ließ sich die Wochenzeitung aus Zürich einschlägig unterrichten. Fünf Minuten später brennt der Reifen, nach zehn Minuten ist das Auto ein Wrack. Auch unter sehr am Unrecht Lei­denden (also unter uns) ist die politische Korrektheit dieser antikonsumistischen Geste ein Thema. Befindet sich ein angezün­detes Auto in Hanglage, können die Brem­sen versagen, und die Fackel auf Rädern schlittert gegen einen völlig unschuldigen 2CV, dem Irokesen unter den Automarken.

Die Erfahrung von 1968 und der globali­sierungskritischen Bewegung der 80er und 90er Jahre kristallisierte sich in einer neuen Partnerschaft – die so neu war, dass sie von den Ordnungskräften als Verwir­rungssystem wahrgenommen wurde. Es kam zunehmend zu performativen, durch­dramatisierten Ereignissen im öffentlichen Raum, etwa zu einer Flashmobkultur, die die Zuseher*innen entzückte und die Sicherheitskräfte zurück in ihre Schulbank zwängte.

In Erwägung, dass es in den 50er Jahren, als der Fetisch des Tempos noch unwi­dersprochen war, als die Männer ihr Herz­klopfen dem Rhythmus des Scheibenwi­schers anpassten und als die DDR-Führung noch glauben machen wollte, ein Trabi sei dem Körper eines Arbeiterundbauern, sofern er weniger als130 Kilo hinters Lenk­rad stopfen musste, wie an den Leib geschneidert – in Erwägung dieser Lage also war es fast ein bisserl selbstverständ­lich, dass Künstlerinnen und Künstlern ein­sprangen, wenn dem politischen Wider­stand die Phantasien ausgingen. Hätten damals die Gewerkschaftsführer Lust auf Verkehrsplanung gehabt, lägen heute lieb­liche Weinorte wie Spitz oder Weißenkir­chen zwischen den Pfeilern der Wachaube­gleitautobahn, und von Rust aus wäre man nicht in einer Stunde, sondern in fünf Minuten drüben in lllmitz. Die Brücke über den Neusiedlersee war schon beschlossene Sache. Dem Landeshauptmann Kery (SPÖ) war es völlig denkunmöglich, Widerstand gegen die vier Kilometer Brücke in Betracht zu ziehen. Eine Schriftstellerin aus Wien, Klara Köttner-Benigni, wurde zum Kristallisationspunkt zivilen Ungehorsams. Das Bauwerk, ein Projekt der 60er Jahre, wurde erst 1975 fallen gelassen.

Was die Kritik an den Autokonzernen betrifft, denen es in manchen Natio­nalökonomien gelang, die jeweiligen Regie­rungen in Agenturen des Autoexports zu verwandeln, wurde der Geist von 68 schon in den 50erJahren vorweggenommen. Es fehlt hier der Platz, darüber zu spekulieren, wie dieser Vorsprung zustande kam. (Man könnte auch leicht wegdriften von der Öko­nomie zur Vulgärpsychologie: etwa zur Analyse des sexuellen Untergrunds der KFZ-Fetischisierung, symbolisiert im stän­digen Masturbationsgriff des Mannes auf die Sexgangschaltung).

Lucius Burckhardt wusste nicht, was ihn mehr empören sollte: die Zerschnei­dung der Alpen durch Asphaltbänder oder der Plan, seine Stadt Basel autogerecht zu gestalten; dadurch wäre die vom Krieg ver­schont gebliebene heimliche Hauptstadt der Schweiz ebenso ruiniert worden wie die deutschen und österreichischen Städte durch die Bombardierungen. Unglaublich, wie sehr Burckhardt der Zunft der Stadt­planer voraus dachte. Unter dem Titel »Alt­stadt in Gefahr« schrieb er: »Leider wird auch in der Tagespresse keine kritische Stimme laut, die Kommentatoren scheinen von der Verkehrspsychose angesteckt wor­den zu sein (soweit sie nicht sowieso ihren Geschmack den Bedürfnissen der Wirt­schaft anpassen). Wenn die Zerstörung der Altstadt aufgehalten werden kann, bis der erste Nachkriegsautorausch verflogen ist, und die Entwicklung der Verkehrsmittel wieder ein Stück weiter übersehen werden kann, bis der gute Geschmack etwas nach­gewachsen und die Skala der Wertungen wieder korrigiert, bis die Bombenverluste Mitteleuropas auch dem Basler Unterbe­wußten bewußt geworden sind, – wenn die Zerstörung der Altstadt, sagen wir, dreißig Jahre aufgehalten werden kann, so ist alles gewonnen.« (»Die Altstadt in Gefahr«. In: Basler Studentenschaft Nr. 1, Oktober 1949, 31. Jahrgang)

Wie sehr im Speziellen Lucius Burck­hardt ein Stadtkritiker war, der in allen seinen Aktionen die feste Grenze zwi­schen Kunst und Revolution zerbröckeln ließ, zeigt sein späterer Werdegang. Als Lehrender an der Uni Kassel entwickelte er die soziologische Methode der Spazier­gangswissenschaft bzw. Promenadologie, und mit Garantie ist so mancher strenge Akademiker heimlich empört darüber, dass Scharlatane Ausbildungsgelder ver­urassen.

Lucius Burkhardt starb 2003. Dass die Generation seiner Student*innen heute eigenmächtig genug erscheint, um nach leidenschaftlichem Hin und Her die demo­kratische Entscheidung zu treffen, die Frankfurter oder Münchner Internationa­len Automessen in erster Linie durch Hun­derttausend auf der Straße oder eher durch Akte individueller Sabotage zu bekämpfen, legitimiert durch das unum­stößliche, in fast allen Verfassungen ver­ankerte »abendländische« Prinzip der Freiheit der Kunst – das sorgt für den Hauch von Stolz, der seinem Grab entweht. Inzwischen genießen auch die deutschen Autokonzerne, dass es aus PR-Perspektive besser ist, in Zukunft auf SUV-Shows zu verzichten. Burkhardt repräsentiert den seltenen Typus von Akademiker*innen, die die Mauern zwischen Wissenschaft und Gesellschaft, nach ihrer Meinung ein Relikt des Faschismus, zum Einsturz bringen wol­len.

Und man kann ihn auch zu jenen Intel­lektuellen rechnen, die die neue Radi­kalität der »Autohasser« öffentlich nach­vollziehen können. Logischerweise wird von diesen angegriffen, was am angreif­barsten ist. Das sind etwa die erwähnten Automessen, die notwendigerweise öffent­lichen Raum beanspruchen, weil Messen im gesperrten Raum nicht dem Waren­rausch, sondern der Pandemieverdünnung dienen. Netzwerk-Titel wie »Sand im Getriebe« signalisieren, dass die Bereit­schaft, sehr konsequente Formen von zivi­lem Ungehorsam vorzuziehen, weit ver­breitet ist.

Bei der IAA handle es sich um »die größte obszöne Glitzermesse der kriminel­len Autoindustrie. Den knapp eine Million Besucher*innen werden die neuesten luft­verpestenden und klimaschädlichen Kut­schen präsentiert, die dem deutschen Exportkapitalismus den Schwarzmeerka­viar auf den Teller zaubern. Hier wird eine Zukunft unter dem Motto ›Driving tomor­row‹ präsentiert, wenn es eigentlich heißen müsste: Hier suhlt sich die kapitalistische Externalisierungsgesellschaft in ihren mör­derischen Fetischen. (…) Wir glauben, dass jetzt alle Bedingungen gegeben sind, um damit einen solchen Kristallisationspunkt für eine Anti-Auto-Bewegung zu schaffen.

Gleichzeitig können die schon bestehenden Gruppen und Aktionen gegen das Auto, die sich auf lokaler Ebene finden, als Anknüp­fungspunkte für eine breite Verwurzelung dienen. Denn gerade langfristiger Bewe­gungsaufbau lebt davon, dass Aktivist*innen sich nicht nur auf Massene­vents einmal im Jahr sehen, sondern dass sie vor Ort in ihren Lebenswelten weiter­kämpfen können. Und wirklich jede auch nur mittelgroße oder kleine Stadt bietet dafür die besten Anknüpfungspunkte. Denn das System Auto hat es in den letzten 70 Jahren geschafft, unsere Gesellschaft kom­plett zu durchdringen. Insofern sehen wir auch keinen Widerspruch zwischen lokalen Kämpfen und größeren Massenaktionen, sondern vielmehr die transformative Kraft, die sich durch das Zusammenspiel des Drucks von unten zeigt. Und den wollen wir jetzt gemeinsam aufbauen!«

Ein »Sand im Getriebe«-Text, dessen unbekanntem Autor der Besuch einer zapatistischen Schule für Dichtung, Abtei­lung Angewandte Ironie, sicherlich guttun würde. Bei ausreichendem Mitmach-Inte­resse würde sich übrigens die Volksstimme, warum nicht, zur Anlaufstelle eines Wett­bewerbs zur Verfügung stellen. Die Teil­nehmer*innen müssten bloß die den Warn­hinweisen auf Zigarettenpackungen ent­sprechenden Sprüche liefern. Man könnte sie groß auf die Windschutzscheiben kle­ben. Weil die Autos ohnehin bald alle auto­matisch fahren, könnte der existentielle Hinweis die Größe der Scheibe haben. Es sei eingeräumt, dass dieser nette Vorschlag, der einer der größten Schritte der Mensch­heit in die Zukunft ist, von Mikael Cilvill-Andersen stammt. Ein politischer oder künstlerischer Akt? Heute kann man die Frage noch stellen, aber übermorgen wird man nur noch »Bahnhof« verstehen. »Stel­len Sie sich einmal vor, was dann los wäre. Was wäre, wenn ab Montag alle Autos mit Warnhinweisen fahren müssten? Das würde die Wahrnehmung des Autos komplett ver­ändern. Dann würden wir vielleicht bemer­ken, dass in Europa jährlich 35.000 Men­schen durch Autos sterben. Dazu kommt die Luftverschmutzung, die Lärmbelastung. Ich finde, da sind Warnhinweise angemes­sen«, bekräftigte der Autor des Buches »Copenhagenize«.

Wo werden wir übrigens (falls wir wirklich den Entschluss gefasst haben, unsere Kiste zu verschrotten und keinen Ersatz mehr in Erwägung zu ziehen) die Loslösung gebührend feiern? Natürlich in den Tankstellen, für die wir erst eine neue Funktion erfunden werden müssen. Nur tanzen, wo getankt wurde, ist nicht sehr einfallsreich (und reimt sich nicht ein­mal). Das Kunstprojekt Mein letztes Auto (2020) der in Wien lebenden Performerin­nen Cosima Terrasse, Veronika Hackl und Andrea Visotschnig wies wohl viele erst­mals auf das Problem hin, dass wir nicht nur alternative Nutzungskonzepte für Weinkeller, Vierkanthöfe, katholische Kir­chen, Truppenübungsplätze und Flücht­lingsboote bräuchten, sondern auch Ideen für neues Leben auf den Tankstellen. Die Ideen können zündend sein – es wird uns nicht an Benzin mangeln. Die symbolischen Autobegräbnisse an den Tankstellen wer­den dem Tod in Wien erst jenen Mythos verleihen, für den er auf der Welt bekannt ist. An diesen Tankstellen setzen die Pomp­füneberer ihre Professionalität fort – galten sie doch als einzige Berufstätige, die die Versiegelung des Bodens verlangsamten. Sie schaufelten nicht Meuter, sondern Erde in die Gruben.

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