Entspannung dank (und trotz) des AMS ILLUSTRATION: JAMIE WOITYNEK
11 April

Entspannung dank (und trotz) des AMS

von

Von Dr. Franz Kerner

 

»Lasst uns faul in allen Sachen,

nur nicht faul zu Lieb‘ und Wein‘

und nicht faul zur Faulheit sein!«

Gotthold Ephraim Lessing

Das Klimaticket, das ich mir unlängst gekauft habe, hat mein Leben, das immer schon ein feines war, noch besser gemacht!

Letzte Woche war ich bei Bekannten in Innsbruck, vor zwei Wochen bei Verwandten in Graz, davor in Kitzbühel, Eisenstadt und in Groß-Gerungs.

Ich bin gerne dorthin gefahren, habe gerne meine Zeit mit den Besuchenden verbracht, gerne interessante Gespräche mit ihnen geführt und sie auch sehr gerne teilhaben und zuschauen lassen an meinen Faulheitshandlungen, der Zelebration meines Müßigganges und meiner Anstrengungsvermeidung.

Wenn ich niemanden besucht habe, bin ich zu Hause geblieben und habe Leute zu mir eingeladen, sie bekocht und mich mit ihnen unterhalten; oder ich habe gelesen, aus dem Fenster geschaut, bin schwimmen, spazieren, wandern, in ein Museum, eine Sauna oder in eine der städtischen Bibliotheken gegangen, bin ohne viel Aufhebens bequem in einem Sessel gesessen, habe geschlafen oder ein Porträt gemalt.

Dazwischen habe ich (genussvoll und aus Leidenschaft) nichts getan.

Ab und zu habe ich mich auf das AMS bewegt. Ich habe mich dort blicken lassen (müssen), weil ich langzeitarbeitslos und ein »Kunde« des AMS und in meinem ganzen Leben so gut wie noch nie einer Lohnarbeit nachgegangen bin und das auch in Zukunft nicht anstrebe!

Die Bezüge vom AMS – in meinem Fall die Notstandshilfe (aufgestockt auf die »Bedarfsorientierte Mindestsicherung«) – ermöglichen mir eine sorgenfreie Existenz als glücklicher und zufriedener (Berufs- und Profi-) Arbeitsloser. Damit komme ich gut aus. Ich habe kein Auto und keine extravaganten Ausgaben, zahle eine günstige Miete, leiste mir nur den Luxus einer Jahreskarte für den öffentlichen Verkehr und werde von den gastfreundlichen und großzügigen Leuten, die ich besuche, verköstigt und gesellschaftlich herumgereicht. Manchmal bekommen sie ein Bild von mir.

Dafür – und das ist der Deal – sorge ich für Jobs beim AMS.

Ich beschäftige die am Eingang stehenden Security-Männer, die darauf Acht geben, dass ich mich gut benehme und nicht randaliere. Ich beschäftige Putzmenschen, die dafür sorgen, dass das AMS-Gebäude sauber ist. Ich beschäftige (im Winter) den Schneeräumdienst, der es mir ermöglicht, ohne Probleme das Haus zu betreten. Ich beschäftige Computernerds, die die Homepage des AMS in Stand halten, und vor allem beschäftige ich Bürokrat:innen (Betreuer:innen), die versuchen, mich für den Arbeitsmarkt zu motivieren, was ihnen schwerfällt, weil es kaum Musiktheoretiker und Porträtmaler braucht. Lauter Leute, die durch mich eine Arbeit haben!

Zu meiner Betreuerin oder – wenn sie krank oder auf Urlaub ist – ihrer Vertretung gehe ich alle zwei bis drei Monate für etwa 10 bis 15 Minuten. Mehr Zeit hat die unter einem vollen Kontroll-Terminkalender Leidende nicht für mich. Ich demonstriere ihr meine Erwerbs- und Arbeitsfähigkeit und -willigkeit und zeige ihr meine Bewerbungen, die ich an jene Firmen geschickt habe, die mich nie einstellen werden, weil ich das Glück habe, dass es keine Jobs für mich gibt. Die Betreuerin ist stets zufrieden mit mir und hat durch mich eine Existenzberechtigung in ihrer Arbeit. Sie wird dafür bezahlt, Zeit mit mir zu verbringen, bekommt einen Lohn und hat Urlaubs- und Pensionsanspruch. (Wieviel sie verdient, weiß ich nicht, aber mein »Stundenlohn« ist sicher höher.) Die Betreuerin schaut auch selber in den Computer, sucht selber nach möglichen Stellen für mich, findet keine, wünscht mir Glück für die weitere Jobsuche und verabschiedet sich stets freundlich von mir. Durch diese Besuche bin ich weiterhin leistungsberechtigt und umgehe Sanktionen wie den Verlust oder die Sperre meiner Geldleistungen.

Außerdem sorge ich dafür, dass auch die Finanzabteilung im AMS zu tun hat. Einmal im Jahr suche ich um die Verlängerung meiner Notstandshilfe an, und einmal im Monat lasse ich der Abteilung einen Zettel zukommen, auf dem steht, ob und wieviel ich in den letzten vier Wochen dazuverdient habe (in der Regel sind das 0 €).

Weil ich auch noch Mindestsicherung beziehe, sind auch die Bürokrat:innen der Stadt mit mir bzw. meinen Unterlagen, mit Berechnungen und Briefe-Verschicken beschäftigt. (Dafür bekomme ich aber den »Mobilpass«, der mir z. B. das Saunieren billiger macht. Den »Kulturpass« bekomme ich als Arbeitsloser übrigens sowieso, weshalb ich kostenlos Kinos, Konzerte, Museen und Ausstellungen besuchen kann.)

Einmal im Jahr lässt meine AMS-Betreuerin den Stress, den sie vom Vorgesetzten (der auch von meinem Nichtstun lebt) oder ihrem Zeitplan oder dem AMS-Logarithmus vordiktiert bekommt, an mir aus. Sie bucht mich in eine »Maßnahme« zur »Wiedereingliederung« in die Arbeitswelt, das heißt: ich bin verpflichtet, falls ich es nicht zu umgehen schaffe, für vier bis sechs Wochen an einem »Bewerbungskurs« teilzunehmen. Dort tue ich das, was ich am besten kann, nämlich nichts, wobei ich in dieser Zeit aber noch mehr motiviert werden sollte, mich mit hinreichendem Fleiß erfolgreich zu bewerben und aktiv an meiner Eingliederung in den Arbeitsmarkt mitzuwirken, weil ja meine Arbeitslosigkeit als Verhaltensdefizit gedeutet wird. (Auch die Leute, die diese »Maßnahmen« organisieren und betreuen, die die Räume in Schuss halten, anmieten, putzen usw., leben von meiner Arbeitslosigkeit.)

Dafür und – vor allem – wegen des Geldes gehe ich zum AMS; damit ich mir das Leben eines Müßiggängers im privilegierten Mitteleuropa leisten kann, denn: Lohnarbeit: Ich möchte sie lieber nicht; ich lehne sie aus vollem Herzen ab; ich verachte sie!

Lohnarbeit ist fremdbestimmt. Sie ist verwerflich, macht unglücklich, belastet, ist mühsam, diszipliniert, führt zu Fadesse, verdummt, beutet aus, entwertet den Menschen, macht unzufrieden, verhindert Kreativität, dämmt Freude ein, ist unvernünftig und erstickt Leidenschaften. Sie ist Knechtschaft und Sklaverei. Sie ist ein hierarchisches Herrschaftsmodell, grenzt aus, ist fremdbestimmt und hat einen schlechten Charakter. Sie entfremdet, fördert die Warenwirtschaft und den Kapitalismus, produziert Müll, Kaufsucht und Kaufrausch. Sie versiegelt die Böden, zerstört die Natur, steigert die Temperaturen der Welt und die Meeresspiegel, führt zu Kriegen, lässt die Gletscher schmelzen, die Ressourcen verbrauchen und die Welt untergehen.

Den (arbeitenden) Leuten, die ich besuche, ist das bewusst. Sie arbeiten trotzdem und profitieren von mir und meiner Geselligkeit, weil ich ihnen einen Mangel an erwartbarer Aktivität und ein Nichtstun als erstrebenswertestes und höchstes Ideal und einen (für die Lohnarbeitswelt) nicht hinreichenden Fleiß vorlebe. Vielleicht erleichtern sie durch ihre Großzügigkeit ihr Gewissen. Auf alle Fälle brauchen sie mich – denn: Lafargue: »O Faulheit, erbarme Du Dich des unendlichen Elends! O Faulheit, Mutter aller Künste und der edlen Tugenden, sei Du der Balsam für die Schmerzen der Menschheit!«

Autor [Pseudonym]: Dr. Franz Kerner, Jg. 1963, Porträtmaler, Vertreter des entspannten Lebens und des Müßiggangs, arbeitsloser Musiktheoretiker, Lohnarbeitsverweigerer aus Leidenschaft, wohnhaft in Wien

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