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10 SARA ZAMBRANO, DIE HEILIGE MUTTER DES LETZTEN AUSWEGS, TEATRO ZUMBAYLLU 2022 10 SARA ZAMBRANO, DIE HEILIGE MUTTER DES LETZTEN AUSWEGS, TEATRO ZUMBAYLLU 2022 TAMARA SALAMÍN

Kobalt Nickel Lithium bringt den stärksten Maya um

von

Warum all diese Minen, Stollen, Gruben und Schächte, fragt Robert Sommer

Eine Forcierung des Bergbaus in privater Hand, zwecks Arbeitsplatzbeschaffung großzügig gefördert durch den Staat – das wäre die rechtspopulistische Variante. Eine Forcierung des Bergbaus, der in gesellschaftlichen Besitz übergeht, dessen Profite im eigenen Land bleiben und in die Armutsbekämpfung investiert werden – das wäre die linke Variante. Der Verzicht auf Bergbau als logische Konsequenz des Tabus, der Erde zu entnehmen, was nicht nachwächst – das wäre die indianische Variante. Ist die Forderung indigener Gruppen und antietatistischer Linker nach Bergbau-freien Territorien ein gangbarer Kompromiss?

Buen Vivir: Selbstbestimmt Leben

Im Sommer 2018 kam es im brasilianischen Nationalmuseum in Rio de Janeiro zu einer Brandkatastrophe. 90 Prozent des Inhalts wurden vernichtet. Ein Sprecher aus dem Volk der Guajajara erklärte, der Brand bedeute einen »unwiederbringlichen Verlust für die indigenen Kulturen, vergleichbar mit dem Einfall der europäischen Invasoren im Jahr 1500«. Das Museum war schon vor dem Brand heruntergekommen. Für Indios war es fast ein heiliger Ort – eine Art Mausoleum für die vergessenen Sprachen ausgelöschter Ethnien. Gleichzeitig war es der Sitz des Dokumentationszentrums für indigene Sprachen CELIN. Der Leiter dieser Institution betonte, der Brand des Nationalmuseums sei »ein Anschlag auf das kollektive historische Gedächtnis und auf die Sprache der brasilianischen Ureinwohner«. Tatsächlich war dem Staat die Sache nicht viel wert. In den letzten drei Jahren bekam das Haus nur noch die Hälfte der vereinbarten Förderung. Ein rascher Einsatz der Feuerwehren hätte das Haus retten können. Jedoch waren sämtliche Hydranten der Umgebung unbrauchbar. Es fehlte ihnen der Wasserdruck. Der Staat verschleuderte die Gelder für die Stadien der Fußball-WM.

Nun ist aber ein Narrationswechsel angesagt. Die Erzählungen des Verlustes bleiben wichtig: als Alarmierung des Weltgewissens und aus einer anderen Perspektive als Trichter der Sehnsüchte nach »gutem Leben« (Buen Vivir, ein Konzept des Zusammenlebens jenseits kapitalistischer Wachstumsdiktate.) Sie sind wichtiges Material für die Analyse fortdauernder Kolonialisierungsprozesse, in denen die Betroffenen in ihrer Opferrolle gleichsam einzementiert werden. Aber Mitleid schwächt. Dessen sind sich z. B. Yanomami in Brasilien sicher. Sie nützen die Neigung der Europäer*innen zum Operettenhaften, zu Karneval und Exotik aus. Wenn sie was vom Staat fordern, bemalen sie sich ihre Gesichter, die die Blicke aller Kameras aller Agenturen auf sich ziehen. Auch wenn 100.000 Demonstrant*innen durch die Straßen Rios ziehen, die Yanomami sind immer im Bild – als eine Art Cirque du Soleil der Armen. Über Buntheit kann man nur reden, wenn man die Spektakel der Yanomami kennt.

Für die Prognose, dass im Jahr 2023 große Schritte in Richtung Selbstpräsentation der Ureinwohner*innen wahrscheinlich sind, braucht man keine Politikwissenschaft. Man wird sie vielleicht aber brauchen, um das Phänomen zu erklären, dass die Ermächtigung der Indigenen fast wie global konzertiert erscheint. Um welche Gruppen geht es eigentlich, wenn von Indigenen die Rede ist? Laut UN-offizieller Definition sind das die Nachkommen der Bewohner*innen eines bestimmten Territoriums, die bereits vor der Eroberung, der Kolonisierung oder Staatsgründung durch Fremde dort lebten, eine enge Beziehung zu ihrer Lebensumwelt haben und über ein Gruppenselbstbewusstsein verfügen. Dass sie einer Entrechtung ausgesetzt sind, ist ein weiteres gemeinsames Merkmal, das jedoch keinen Eingang in die UNO-Kriterien fand. Einer Studie aus dem Jahr 2012 zufolge leben 175 Millionen Angehörige indigener und isoliert lebender Völker auf der Erde.

 

Die Mutigsten schlossen sich der Guerilla an

Hier bloß einige der bekanntesten Gemeinschaften. Die Indianer*innen Nordamerikas (First Nations) erfreuen sich relativer Aufmerksamkeit, ganz im Gegenteil zu den »richtigen« Indianer*innen, den indischen Adivasi, die so zahlreich sind wie die Deutschen. Das auffällige Renommier-Gefälle ist, man glaubt es kaum, eine Auswirkung des Kalten Krieges. Die Eliten des Nordens und des Westens werden es den Adivasi nie verzeihen, dass die Rekrutierungen der sich kommunistisch nennenden Naxaliten-Guerilla größte Resonanz unter den Ureinwohner*innen fanden. Vielen von ihnen wurde ihr Land buchstäblich unter den Füßen weggezogen. Sie standen leider dem Bauxitabbau im Weg. Die Partisan*innen sind kraft der Unterstützung durch die Ureinwohner*innen in der Lage, auf einer Fläche zu operieren, die 40 Prozent der Gesamtfläche Indiens ausmacht.

In Lateinamerika leben die Mapuche, die Aymara, die Maya und die Quetschua; in Asien neben den erwähnten Adivasi die Ainu, die Karen, die Kashmiri oder die Kurd*innen; in Australien und Ozeanien die Aborigines und die Maori; in Afrika Berber, Pygmäen, San oder Tuareg; im Gebiet der Europäischen Union die Samen; auf dem europäischen Teil Nordrusslands unglaubliche 44 sprachliche Minderheiten. Noch unglaublicher die Zahl der Indigenen Gruppen auf Neuguinea: 832! Nur Brasilien kommt dieser Ethnodiversität nahe – mit seinen 305 kleinen bis kleinsten Regenwaldvölkern (nach einer anderen Quelle 256).

Eine neue Kolonialisierung ist im Gange, die scheinbar die indigenen Gemeinschaften dafür bestraft, dass sie die Kolonialisierung Nr. 1 überlebt haben. Ist es Zufall oder eine Chuzpe der indigenen Götter, dass sich die Berge, in denen die Materialien der digitalen Revolution schlummern, in auffälliger Weise dort häufen, wo sich Indigene angesiedelt haben? Ihre Nachfahren wissen, dass Lithium, Graphit, Kobalt, Nickel, etc. etc. den Menschen kein Glück bringen. Wer die Nachfrage zu Geld machen kann, das ist eine Machtfrage.

Photovoltaik-Anlagen, Windparks und Elektrofahrzeuge brauchen mehr Mineralien als auf fossilen Brennstoffen basierende Technologien. Ein typisches Elektroauto benötigt sechsmal mehr Mineralien als ein herkömmliches Auto und eine Onshore-Windkraftanlage benötigt neunmal mehr Mineralien als eine gasbefeuerte Anlage. Seit 2010 ist die durchschnittliche Menge an Mineralien, die für eine Einheit der Stromerzeugungskapazität benötigt wird, um 50 Prozent gestiegen. 5.130.000 Autos gibt’s derzeit in Österreich. Wenn all diese Feinststaubfabriken durch E-Autos ersetzt werden, dürfte auf keine der geplanten Minen verzichtet werden.

Kleiner Exkurs ins Naheliegende

»Ich bin eine Weichafe«, sagt Moira Millan, eine der Heldinnen des indianischen Widerstands gegen die Vertreibung der autochthonen Mapuche durch die Lithium-Bergbaukonzerne. Weichafe ist in der Sprache der Mapuche das Wort für Kämpferin. Durch einen blöden Zufall nach Österreich versetzt, würde sie sich wohl eher »Aktivistin« nennen. Übrigens könnte die Weichafe wählen, auf welchen der beiden Hotspots in Österreich sie den Kampf gegen den so genannten Extraktivismus fortsetzen könnte. Wundern würde sie sich vielleicht, dass dieser Begriff, der in Südamerika fast schon als Synonym für Kapitalismus Verwendung findet, in Österreich aus dem Stadium des Akademismus noch nicht heraus gekommen ist. »Interessant, ihr habt demnach für den gegenwärtigen Hauptfeind des Buen Vivir, des Guten Lebens, kein Wort« würde sie schmunzeln und dann nach Molln oder nach Wolfsberg rasen. In beiden Orten ist Feuer am Dach. In Molln will ein australischer Bergbaukonzern ein riesiges Gasfeld, direkt neben dem Nationalpark Kalkalpen gelegen, verwerten, und auf der Koralpe bei Wolfsberg freut sich eine andere australische Firma auf tadelloses kärntnerisch-steirisches Hochquellenwasser. Das Lithium-Bergwerk, das sie hier mit einem österreichischen Partner (der Waffenindustrielle Glock) errichten wollen, wird an einem Tag so viel Wasser saufen, wie alle österreichischen Ochsen zusammen ein ganzes Jahr lang. Dieser Vergleich konnte noch nicht bestätigt werden.

Die Idee mancher Stämme, den Boden und die Berge ab nun überhaupt in Ruhe zu lassen, wird wohl an der globalökonomischen Wirklichkeit abprallen. Doch die Idee verbreitert sich und schreit nach Beurteilung. Sie trägt dazu bei, die Religion des Wirtschaftswachstums in Frage zu stellen: Was ist das Minen-Minimum? Wie viel Seltene Erden braucht ein Planet, der allen Menschen gefällt?

Wie rechnet man das Minen-Minimum

Mögen die meisten Menschen den ethischen Imperativ vieler Urvölker, nichts aus dem Boden herauszuholen, was nicht nachwächst, als wildes Denken denunzieren, Fakt ist: diese indianische Vision hat mindestens zwei Diskurse befruchtet. Erstens den Diskurs, ob man dem vom Planeten eingeforderten Rückbau in die Wege bringen könnte, und – wenn ja – ob das im kapitalistischen Rahmen überhaupt möglich ist. Die Botschaft über den dem Kapitalismus innewohnenden Wahnsinn verbreitet sich. Ist es nicht wahnsinnig, wenn im Witwatersrand-Gebiet in Südafrika das goldhaltige Gestein mit höchstem technischem Aufwand aus 4.000 Meter Tiefe herausgeholt wird, aus Stollen, in denen tödliche Hitze herrschte, wenn sie nicht klimatisiert wären. Um eine einzige Feinunze Gold zu produzieren, braucht die Firma 600 Kilowattstunden Elektrizität. Und eben 5.000 Liter Wasser.

Auf ein neues Pachakuti

Zweitens enthält die radikale Aborigines-Idee des »No Mining« den zwingenden Rat, eine Wende der Beziehungen zwischen Mensch, Natur und Recht einzuleiten. Die Verankerung von Klagerechten der Natur in den Verfassungen von Bolivien und Ecuador sowie beispielsweise die Anerkennung der Rechte von Flüssen, Seen, Bergen in Neuseeland und Kanada sowie eines Sees in Indien haben die Aufmerksamkeit von Rechtswissenschaftler*innen sowohl im Globalen Norden als auch im Globalen Süden auf sich gezogen. Die weltweite Bewegung hat mittlerweile auch Europa erreicht, wo die Implementierung von Rechten der Natur in mehreren Ländern diskutiert und angestrebt wird. Es kommt nicht allzu oft vor, dass eine Rechtsidee des Globalen Südens den Globalen Norden inspiriert.

An den Sound des Indigenismus werden sich die Herrschenden langsam gewöhnen müssen. David Choquehuanca, der Vizepräsident Boliviens, stammt aus dem Volk der Aymara. In den meisten lateinamerikanischen Parlamenten haben sich zu den Fürsprecher*innen der indianischen Anliegen die Selbstsprecher*innen gesellt. Wie eine Woge der Poesie stoßen die bewahrten alten Sprachen vor und beenden das Monopol der Sprache des Geldes in den Institutionen. Zum Amtsantritt der neuen Regierung sagte der Vizepräsident: »Heute erleben Bolivien und die Welt einen Übergang, der sich alle 2.000 Jahre wiederholt, im Zeitenverlauf verlassen wir die Nicht-Zeit und beginnen die neue Morgendämmerung, ein neues Pachakuti unserer Geschichte. Eine neue Sonne und ein neuer Ausdruck in der Sprache des Lebens, wo die Empathie für den anderen oder das kollektive Wohl den egoistischen Individualismus ersetzt. Wo wir Bolivianer einander als Gleiche betrachten und wissen, dass wir vereint mehr erreichen. Wir sind in Zeiten, um wieder Jiwasa zu werden, nicht ich, sondern wir. Jiwasa ist der Tod der Egozentrik, der Tod des Anthropozentrismus und der Tod des Theozentrismus.« (Pachakuti: Zeitenwende; Jiwasa: Wir)

Theoretisch teilen sich die zum eigenständigen Subjekt der Politik werdenden Indigenen-Gemeinschaften und die Linken ihre Hauptfeinde Staat und Kapital. Wenn die Linke aber selber den Staat führt, was in unseren Tagen in Lateinamerika nicht so selten vorkommt, überhört sie den Ruf nach Rückbau des Bergbaus. Der Antagonismus zwischen montanistischer Enthaltsamkeit und der forcierten Vermarktung des Gebirges wird schwer zu lösen sein. Das linksregierte Bolivien z. B. setzt voll auf die Expansion des Bergbaus. Rechtsregierungen machen das immer, überlassen die Bergbauregionen aber den Konzernen, von denen sie abhängig sind. Der Profit bleibt nicht im Land, das Volk verarmt.

Solidarität über den Atlantik hinweg

In Bolivien wurde eben ein Abkommen mit dem chinesischen Konzern CBC getroffen. Bolivien trete damit in die Industrialisierung seines Lithiums ein, sagte Präsident Luis Arce. Nahe der historischen Minenstadt Potosi sollen in der Salzwüste zwei Industriekomplexe zur Verarbeitung von Lithium entstehen. Damit sei das Land in der Lage, Batterien aus eigenen Rohstoffen selbst zu exportieren. Es wird sich zeigen, wie »Buen Vivir«-verträglich diese Einladung chinesischer Investor*innen ist. Sie genießen im Allgemeinen nicht den Ruf einer Heilsarmee. Präsident Arce hatte 2020 für den Movimiento al Socialismo (MAS) kandidiert. Er will die Politik des Ex-Präsidenten Evo Morales fortsetzen, der 2019 von Rechten weggeputscht wurde. Morales war der erste südamerikanische Staatspräsident mit indigenen Wurzeln. Er verstaatlichte alle Öl- und Gasressourcen des Landes.

Konflikte zwischen Urbevölkerung und Bergbau gibt es auch in Europa. Seit die schwedische Energie- und Wirtschaftsministerin Ebba Busch die Welt wissen ließ, man habe in Kiruna das europaweit größte Vorkommen Seltener Erden gefunden, herrscht Aufruhr in den Samen-Gemeinden Nordschwedens. Buschs Vision einer »wundervollen Mine«, die die Unabhängigkeit von China und Russland ermögliche, finden die Ureinwohner*innen provozierend. Der Fund sei eine Katastrophe, stellte die Sprecherin der samischen Rentierzüchter*innen in der Gemeinde Gabna klar. Der Bergbau würde die letzte Wanderroute der Rentiere blockieren, was das Ende der nomadischen Lebensweise bedeute. Vielen wird es schwerfallen, dem modelldemokratischen Staat Schweden Kolonialisierungstendenzen innerhalb des eigenen Landes vorzuwerfen, aber genau das tun die Vertreter*innen der Urbevölkerung.

Symbol des schwedischen Kolonialismus in den Territorien der Samen war das Silberbergwerk in Nasa, das die Schweden 1635 eröffneten. Die Sklaven, die das Silber aus dem Berg holten, waren Samen. Symbol des spanischen Kolonialismus in den Territorien der Aymara waren die Silberminen von Potosi, die die Spanier 1545 eröffneten. Die Sklaven, die das Silber aus dem Berg holten, waren Aymara und Quetschua. Eine überraschende Interdependenz, die für Dramatisierungen wie geschaffen erscheint. Der atlantische Ozean sollte kein Hindernis für eine Parallelaktion sein.

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Gelesen 1787 mal Letzte Änderung am Dienstag, 11 April 2023 10:36

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