Zum Klagerecht des Fließgewässers: Die neuen Rechtspersönlichkeiten sind gewöhnungsbedürftig FOTO VON ROBERT SOMMER
12 Juli

Zum Klagerecht des Fließgewässers: Die neuen Rechtspersönlichkeiten sind gewöhnungsbedürftig

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Ein Fluss, der einem Konzern den Prozess macht, weil eine Vergiftung droht? Das ist in jenen wenigen Ländern möglich, in denen Klagerechte der Natur festgeschrieben sind. Am besten funktioniert das, wenn die Flüsse die Verfahrenskosten aus einem staatlichen Topf nehmen.

Von Robert Sommer

Wer heute ein Klagerecht für Gewässer, Wälder oder Berge postuliert, stößt auf Zustimmung in der Theorie (»ein guter Gedanke, leider aber gänzlich Zukunftsmu­sik«) und Ablehnung in der Alltagspraxis (»eine Verfassung, die mir nimmt, was mir das Leben bedeutet – das Schnitzel! – ist Diktatur«). Reine Zukunftsmusik war die Erfindung des Klagerechts der Natur nicht einmal vor einem halben Jahrhundert, sonst hätte der Autor und Jurist Christo­pher Stone kaum jenes öffentliche Inte­resse für die Entmachtung des menschli­chen Monopols, Subjekt der Justiz zu sein, hervorgerufen.

Stone schrieb 1972: Wir könnten zu dem Punkt gelangen, wo wir die Erde als einen Organismus betrachten, von dem die Menschheit ein Teil ist – verschieden vom Rest der Natur, der nur so verschieden wie das Gehirn eines Menschen zu seiner Lunge ist. In seinem Buch »Should Trees Have Standing« (»Sollten Bäume Klagerecht haben«) argumentierte er für die Einfüh­rung sämtlicher Objekte der Natur in ein sowohl durch die Verfassung als durch staatliche Ressourcen abgesichertes Vertei­digungssystem. Wäldern, Meeren, Flüssen, Seen, Gletschern – all diesen Systemen müssten formale Rechte zugestanden wer­den. Die Voraussetzung dafür wäre ein Beschluss der Parlamentsmehrheit, solange es in den so genannten Demokratien noch keine ständigen BürgerInnenräte der Ver­fassungsgebung und des Verfassungsschut­zes gibt.

Es ist nicht ganz uninteressant zu wissen, in welcher Ecke der Welt Christopher Stone sein Konzept popularisieren konnte. Über­all in der Welt, wo indigene Gruppen die Kraft bewahrten, ihre Rechtsauffassungen gegenüber den völlig anders gelagerten Jus­tizsystemen der kolonialistischen Gesell­schaften zu behaupten, herrscht z. B. eine lebendige Debatte zum Thema Strafen. In Mitteleuropa kommen solche Diskurse nur schwer in die Gänge. Die Ängste der »modernen« Menschen vor ihren Mitmen­schen aus der sozialen Schicht der Delin­quenz erschweren Konfliktlösungen jen­seits von institutionalisierter Rache.

In Neuseeland können ein bestimmter Wald, ein bestimmter Fluss, ein bestimmter Berg zur eigenen Rechtsperson werden.

Dies geschah zum Beispiel, um die totale Nutzbarmachung des Whanganui River durch den Energiekonzern Genesis Energy zu verhindern. Die Gesetze, die es ermögli­chen, stützen sich auf die traditionelle Ein­sicht in die Einheit von Fluss und Mensch, ausgedrückt in der Regel »Ko au te awa, ko te awa ko au« (Ich bin der Fluss und der Fluss ist ich). Der Fluss begann seine Exis­tenz als eigene Rechtsperson mit einer Dotierung von fast 20 Millionen Euro. Ein Rat, der sich aus allen Interessensgruppen bildet, ist entstanden. Einer der beiden Sprecher des Rates muss den Maori ange­hören.

Nicht einmal eineTräne im Fluss

Am besten, so war vor kurzem in der »Süd­deutschen Zeitung« zu lesen, scheint das Naturklagerecht inzwischen im Südosten der USA zu gedeihen. Bei der Wahl im vori­gen November statteten die Einwohner von Orange County, Florida, ihre Gewässer per Referendum mit einem juristisch verbindli­chen Recht aus – dem Recht zu existieren, zu fließen, vor Verschmutzung geschützt zu werden und ein halbwegs normales Öko­system aufrechterhalten zu können. Zwei Bäche, zwei Seen und ein Stück Schwemm­land haben sich zusammengetan, um den Immobilienentwickler Beachland South Residental zu hindern, Siedlungen in die von Tourist*innen gern besuchten Land­schaften zu streuen.

Bei dem erwähnten Referendum haben 89 Prozent der Teilnehmer*innen dafür gestimmt, ihren Gewässern Rechte zu ver­leihen. Ein entsprechender Erfolg sollte doch auch durch eine Initiative in der nie­derösterreichischen Stadt Neunkirchen »ins Trockene« zu bringen sein. Der Sarkas­mus dieses Wortspiels wird uns spätestens auf der Brücke über die Schwarza bewusst. Wer hier ein Gurgeln des Wassers hört, lei­det an Tinnitus. Kein Wasser, weit und breit … Eine Frau, die wir auf der Schwarza-Brücke als erste Auskunftsperson treffen, überrascht mit einer Verschwörungstheo­rie. Ich vermute, Wien entzieht uns das ganze Wasser, vertraut sie uns an; anschei­nend weiß sie, dass die Volksstimme in die­sem Fall kein Klagerecht hat. Wilder als alle anderen niederösterreichischen Gebirgs ­gewässer schießt die Schwarza durch das

Höllental zwischen Schneeberg und Rax – und wenige Kilometer flussabwärts ist sie verschwunden, wie schaffen das die listi­gen Simmeringer?

Ein etwas kompetenterer Informant, der Schafwollschneider der Stadt, ist angetan von der Vorstellung des Klagerechts des Flusses. Aber wie ist das mit den Verjäh­rungsfristen? Was hat es für einen Sinn, den früheren Zustand der Schwarza her­stellen zu wollen, wenn kein Zustand, an den sich die Neunkirchner*innen erinnern können, etwas mit Wasser zu tun hat.

Urbanes Fließgewässer

In den 80er Jahren des 19. Jahrhunderts (die Schwarza war schon damals ein Witz) erschien eine Expertise (Verfasser: D. Stur), die den legalisierten Diebstahl des Wassers durch die Kraftwerke und Indus­triebetriebe brandmarkte. Hätte es damals ein Klagerecht des Gewässers gegeben, der Sachverständige hätte alles unternommen, ein Gewässer gegen das andere auszuspie­len: die Werksbäche Neunkirchens gegen den Hauptfluss von Neunkirchen.

Aus Sturs Gutachten: Nur dort, wo der Mensch mit seiner civilisatorischen Hand ein­greift, wir das Gleichgewicht der Natur gestört, die wohltätige Hand der Natur ohnmächtig. So lange nur Mühlen an der Schwarza existierten, gab es in der guten alten Zeit an Wasser keine Noth. Auch die Eröffnung bescheidener Fabri­ken war nicht imstande, die Einrichtungen der Natur zu verwischen. Der neueren Zeit wird eine solche Störung erst zugeschrieben werden müssen, und zwar seitdem man, auf Landwirt­schaft gänzlich vergessend, jeden Tropfen des Wassers als Kraft auszunutzen bestrebt ist; seitdem durch Fabriksarbeit die frischen Gebirgswässer zu fisch- und menschenthöten­den Jauchen umgestaltet, durch ihren Schmutz auch den permeabelsten Schotter zu verunrei­nigen und wasserdicht zu machen im Stande sind; seitdem man künstliche, oft aus Quadern gebaute völlig wasserdichte Canäle baut, in welchen das Werkwasser von einer Hand in die andere transportiert und genötigt wird, das Land sobald als möglich zu verlassen, ohne dem Lande als Trinkwasser, als Nutzwasser, als Berieselungswasser, als Erfrischerin der Luft Dienste geleistet zu haben; kurz seitdem das Gebirgswasser in den fast ausschließlichen Besitz der sogenannten Werksbesitzer überging und an den großen Fabriken fließend, zur Auf­sammlerin und Transporteurin allen Schmutz, Unrathes und der Krankheitsstoffe gemacht wurde […]. Man vergisst jedoch darauf, dass man durch Erweiterung der Canäle, durch Erhöhung der Wehren immer mehr und mehr Wasser durch die wasserdichten Canäle fließen lässt, also fak­tisch die Länder entwässert …

Unser erstaunlich kompetenter Wasserex­perte konnte nicht ahnen, dass hundert Jahre später jene Industrien nicht mehr existieren würden, die die Kanäle in Kloaken verwandelten; ihr Wasser ist klar und rein geworden, bloß saust es mit zu hohem Tempo die Stadt hinaus. Eine Rechtspersön­lichkeit »urbanes Fließgewässer«, also eine kombinierte, aus Flüssen, Kanälen, Brunnen und Regenwasser zusammengesetzte Rechtspersönlichkeit, müsste ihres Amtes walten. Ein Minimundus antagonistischer Interessensgruppen tut sich da auf und min­dert die Erfolgsaussichten des kommenden Klagerechts. Die Kleinkraftwerksbetreiber an den Mühlbächen werden freiwillig kei­nen Kubikzentimeter Kanalwasser an die Möchtegern-Flussfischer abgeben. Wer hier am Ufer sitzt (wobei dieses Wort erst in Ver­bindung mit Gewässer sinnvoll ist), den würde das plötzliche Auftauchen einer stau­bigen Elefantenherde auf der verzweifelten Sache nach Wasser weniger ins Staunen ver­setzen als das plötzliche Erscheinen eines Rinnsals.

Flüsse sollen frei fließen

Der ausgetrocknete Fluss hat zumindest das Recht, ein Rinnsal zu werden, wie das Rinn­sal das Recht hat, ein Bächlein zu werden. Was allen österreichischen Flüssen gemein­sam ist, sind die Flussbarrieren – also jene Querbauten, die für Fische unpassierbar sind. Die Forderungen, die letzten freiflie­ßenden Flussstrecken zu schützen und unnötige Querbauwerke abzureißen, sind zu handfest und pragmatisch, als dass sie nicht Gegenstand eines Gerichtsverfahrens sein müsste, in dessen Verlauf die Beobachten­den zumindest einen Moment lang die Erfahrung der neuseeländischen Maori tei­len: Ko au te awa, ko te awa ko au.

Laut österreichischem Umweltministe­rium steht mit rund 28.700 Flussbarrieren im Schnitt alle 900 Meter ein unpassierbares Hindernis in Österreichs Flüssen. Von etwa

32.000 Flusskilometern können nur noch 5.500 Kilometer frei fließen. Es gibt 5.200 Wasserkraftwerke. Hunderte neue Anlagen sind geplant. Die Kraftwerksgesellschaften werden vom Staat subventioniert – was paradox erscheint, denn auch die Wasser­ökologiebewegung wird subventioniert.

Strukturen, die Flüsse zerschneiden, sind nicht nur für Wanderfische, die zwi­schen Süß- und Salzwasser pendeln, ein erhebliches Problem. Fische müssen zum Laichen stets flussaufwärts schwimmen, wie die Strömung ihre Larven in Richtung Mündung treibt. Das ist das Ziel der neuen Bio-Diversitätsstrategie der Europäischen Union: bis zum Jahre 2030 sollen Flüsse in Europa wieder 25.000 Kilometer frei flie­ßen können. Soweit bekannt ist, glauben die meisten Gewässerschützer*innen in Deutschland, dass solch Erfolge auch ohne Klagerecht erreicht werden können.

Das mag sein, denn in vielen Flüssen Europas werken derzeit flussökologisch fokussierte Firmen im Auftrag der Gemein­den daran, Flüsse zurückzubauen. Aktuel­les Beispiel aus Wien: ein neuer Abschnitt des Liesingbach wird »verwildert«. Dass Firmen beauftragt werden, die Landschaft rund um die Gemeinde zu verwildern, um das katastrophale Artensterben zu verhin­dern, kommt seltener vor. Angesichts des kommunalen Haushaltsnotstandes ergrei­fen die Bürgermeister die Chance der Umwidmung von Grund und Boden. Des­wegen ist ja nach jeder Ortsausfahrt der Gemeinden eine Supermarktanhäufung zu sehen. Die riesigen, in Schuss gehaltenen Parkplätze in diesen Gewerbe- und Kon­sumgebieten stehen am Wochenende nahezu leer, doch dem nach der absoluten Ebene suchenden Stockschützenverein ist die Nutzung der Wüsten der Versiegelung verboten.

Unsere Mustergemeinde, in der ein Bür­germeister wie unser Herr Otto Muster­mann die Geschäfte führt, ist nicht Kitzbü­hel. Dort ist es unendlich profitabel, wenn ein Acker am Rande der Gemeinde von Grünland in Bauland umgewidmet wird. Das Resultat ist eine Wertsteigerung des Grund und Bodens von im Schnitt 16.000 Prozent. Selbst für unseren Bürgermeister ist diese Gewinnspanne kaum nachvoll­ziehbar.

Warum nicht auch ein Klagerecht der Äcker?

Die Mieten, die aus diesen Kitzbüheler Bodenpreisen entstehen, sind gerade für die Familien der gesamtplanetarischen Oligar­chien leistbar. Also, es war einmal ein Bür­germeister, dessen Umwidmungen im Sinn eines gesunden Gemeindehaushalts, wie er meinte, nicht einen 16.000-fachen, aber immerhin einen normalen 600-fachen Profit brachten; die Grundsteuer als Form der Besteuerung dieser Wertexplosionen, die ohne Leistung zuwege gebracht wird, ist in Österreich ausgesprochen mickrig. Öster­reich hat dadurch in den letzten 20 Jahren so viel Ackerflächen verloren, wie das Gemeindegebiet von Mürzzuschlag groß ist. Achtung, dieser Zahlenfehler ist pädago­gisch untermauert! Es wurde realiter so viel Ackerfläche verloren, wie die Steiermark groß ist.

Das klingt unglaublicher, ist aber wahr. Mit dem Verkauf von Boden lässt sich mehr Geld machen als mit der Ernte. Immer wich­tiger wird eine Debatte zur Grund- und Bodenfrage – als Teil der Verfassungsfrage. Es ist nicht egal, ob in der Verfassung von der Unverletzlichkeit des Eigentums ausge­gangen wird, wie es in Österreich der Fall ist, oder ob, wie in Deutschland formuliert wird, Eigentum verpflichtet. Krasse politi­sche Unterschiede entspringen diesen Nuancen allerdings nicht. Niemand würde sich wundern, wenn Österreich – dieses Land mit der am schnellsten sich ausbrei­tenden Bodenversiegelung – erstmals auch mit dem Konzept eines Klagerechts der Äcker gegen die Supermärkte auf der grü­nen Wiese aufhorchen lässt. Der Bauern­bund möge die Implikationen eines solchen Spezialrechts prüfen.

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