12 März

#MeToo: Debatte oder Kritik

von

Eine Reflexion von Julia Richter

2006 benutzte die amerikanische Aktivistin Tarana Burke den Hashtag MeToo, um vor allem junge, von Rassismus betroffene Frauen, über sexualisierte Gewalt und sexuelle Übergriffe aufzuklären und diese in ihrem Umgang damit zu unterstützen. Im Oktober 2017 nutzte die Schauspielerin Alyssa Milano den Hashtag und startete damit etwas, was je nach Sprachraum mehr als Bewegung oder Debatte wahrgenommen wird. Der Rezeption in den (sozialen) Medien kommt dabei auch eine konstituierende Funktion zu, wie eine Gesellschaft mit sexualisierter Gewalt und deren Überlebenden umgeht. Welche Begriffe bestimmen den Diskurs und gibt es Unterschiede zwischen dem angloamerikanischen und dem europäischen Raum? Welche Stimmen werden gehört und welche überhört? Wer empfand das Momentum als etwas Befreiendes und wer fühlte sich dadurch bedroht?

Was seither geschah

Seit der Verbreitung des Hashtags werden immer mehr mächtige Männer für ihr Gewalt verursachendes Verhalten zur Verantwortung gezogen. Prominente Frauen haben ihr Schweigen gebrochen und damit auch für weniger bekannte Betroffene die Hemmschwelle gesenkt, über Erlebtes zu sprechen. Tarana Burke, die Initiatorin der Bewegung, betont dabei immer wieder, dass es nicht ausreiche, einzelne Täter zur Rechenschaft zu ziehen. Jenes System, das Machtverhältnisse erschaffe und Privilegien anhand eines binären Systems verteile, müsse vielmehr in seinen Grundfesten bekämpft werden. Macht bezieht sich hierbei nicht nur auf Macht im juristischen Sinn, sondern auch auf Macht im Kontext sozialer Beziehungen. Verursacher:innen von Gewalt können berühmte Schauspieler:innen ebenso wie Lehrer: innen, Vermieter:innen oder Abteilungsleiter:innen sein.

Österreich und der deutschsprachige Raum

Im deutschsprachigen Raum war der Aufschrei zu Beginn eher als Echo spürbar und wurde, im Gegensatz zum angloamerikanischen Raum nicht von Schauspieler: innen und Prominenten getragen. Auf den Twitter- und Facebook-Profilen vieler – großteils FLINTA* – Personen wurde der Hashtag im Oktober 2017 dennoch zu einer Art Zäsur. Die Erkenntnis, die sich in den letzten Jahrzehnten langsam ihren Weg ins kollektive Bewusstsein gebahnt hat, stand da plötzlich schwarz auf weiß. Jede:r von uns kennt Menschen – mehrere Menschen –, die im Laufe ihres Lebens Opfer sexualisierter Gewalt geworden sind. Was im Umkehrschluss – und das ist vermutlich die noch bahnbrechendere Erkennt­nis – eben auch bedeutet, dass wir alle Freund:innen, Familienangehörige und Kolleg:innen haben, die im Laufe ihres Lebens sexualisierte Gewalt ausgeübt haben. Das Thema wurde so von einem schambesetzten Randthema buchstäblich in die Mitte der Gesellschaft gerückt. Es ist Teil unserer Lohnarbeit, des öffentlichen Raums, unserer Schlafzimmer, begegnet uns in der Kulturlandschaft ebenso wie in der Politik.

Im Sommer erreichte die Bewegung, ausgelöst durch einen Post der Regisseurin Katharina Mückstein, auch die österreichische Kulturbranche. Eine Vielzahl Betroffener berichtete der Regisseurin von ihren Erfahrungen mit sexuellen Übergriffen an Filmsets und Theaterhäusern. Diese teilte daraufhin die Berichte anonymisiert auf ihrer Instagram Seite. Es gab viel Solidarität mit den Betroffenen und Dankbarkeit für den Vorstoß, Geschehenes nicht mehr schweigend hinzunehmen. Denn so sehr sich einige Produktionsfirmen und Regisseur:innen auch zuvor schon mit einer pro-feministischen Haltung schmückten, so wenig wurde bis dato auf Hinweise und Betroffenenberichte gehört. Erst der Druck der Öffentlichkeit und die teils handfesten Belege für Fehlverhalten führten dazu, dass Verursacher:innen von Gewalt in die Verantwortung genommen wurden. Im Zuge der Auseinandersetzung mit dem Thema wurden die Vertrauensstelle vera* und die Anlaufstelle #we_do ins Leben gerufen, die Betroffene aus Kultur und Sport respektive der Filmbranche psycologische Beratung, Begleitung und Dokumentation anbieten.

Menschen, die sich öffentlich dem Patriarchat entgegenstellen, bekommen dafür nicht nur positive Resonanz. Gerade Queers und Personen, die nicht der Mehrheitsgesellschaft angehören, erfahren besonders viel Hass. Der Kampf gegen Zweigeschlechtlichkeit und gegen die Hetero-Paar-Beziehung als einzig staatlich und gesellschaftlich akzeptierter Beziehungsform erhält – als ein zentraler Kampf gegen Kapitalismus und Patriarchat – starken reaktionären Gegendwind. Dabei wird die Wut marginalisierter Personen in einer kruden Umkehr häufig als unverhältnismäßig dargestellt.

Translinguistische Differenzen

Mario Bisiada, der in Barcelona zu transnationaler Sprachanalyse forscht, hat sich in Empirical studies in translation and discourse der Analyse Cross-linguistischer Phänomene gewidmet. Dabei hat Bisiada 1.353 Tweets, die im englisch-, spanisch- und deutschsprachigen Raum mit dem Hashtag versehen waren, unter die Lupe genommen. Stehen im englisch- und spanischsprachigen Raum Worte wie »movement« und »movimiento« an vorderster Stelle, dominiert im Deutschen der Begriff »Debatte« die Tweets. Auch das Wort »Hysterie« findet seinen Platz an zweit­vorderster Stelle. Erst an dritter Stelle taucht das Pendant »Bewegung« auf, welches allerdings hauptsächlich in negativ assoziierten Tweets eine Rolle spielt. Dass gerade im deutschsprachigen Raum, der Geburtsstätte der Psychoanalyse und der Freud’schen Umkehr von Missbrauch hin zu ödipaler Lust die Klammer zu weiblich gelesener Hysterie geschlossen wird, ist eine traurig schaurige Sidenote.

Rechte Trolle und antifeministische Verharmlosung im deutschen Sprachraum

Die deutsche Kommunikationswissenschaftlerin Franziska Martini hat in ihrer Netzwerkanalyse »Wer ist #MeToo?« (M&K 68. Jahrgang 3/2020) festgestellt, dass trotz mangelnder Datenlage für den deutschsprachigen Raum nur ein kleiner Kern an Accounts konstituierend war. Neben feministischen Aktivist:innen wie Margarete Stokowski und Initiativen wie dem Frauen*volksbegehren waren es vor allem sexistische, rassistische und antifeministische Positionen, die laut Martinis Analyse am weitesten verbreitet waren. Die Argumente, die dabei ins Feld geführt wurden, lassen sich auf vier Positionen zusammenfassen.

Erstens: Rassistische Motive. Die Verknüpfung von sexualisierter Gewalt als »importiertem« Problem. Rassifizierte und migrantisierte Männer werden dabei unter Generalverdacht gestellt. Gerade Sprecher:innen konservativer und rechter Strömungen, die sonst gegen die Rechte von Frauen und Queers mobil machen, sehen sich plötzlich als Frauenrechtler.

Zweitens: Verharmlosung. »Woher soll man wissen, ob Frau sich über ein Kompliment freut oder gleich #MeToo schreit«, wie es Meike Lauggas in einem Interview (Standard, 17.1.2023) ausdrückt.

Drittens: Eine quantitativ zwar unterlegene, aber nicht unerhebliche Anzahl von Tweets, die #MeToo als »anti-freiheitliche, elitäre Bewegung« bezeichnen, die nur der erste Schritt eines großen totalitären Ganzen sei.

Viertens: Die Umkehr, in der Männer als die wahren Betroffenen von #MeToo benannt werden (#notallmen) und sich als »Opfer« von Falschbeschuldigungen und einer Hexenjagd auf Männer generell sehen. Gerade der letzte Punkt wird in ­Diskussionen rund um Konsequenzen für die Verursacher:innen sexualisierter Gewalt häufig ins Feld geführt. »Die Angst ist größer, jemanden vorzuverurteilen, als jemanden im Stich zu lassen.« (Meike Lauggas) Häufig wird Betroffenen erst dann geglaubt, wenn handfeste Beweise auf dem Tisch liegen, wie man in Österreich jüngst wieder am Fall des Schau­spielers Florian Teichtmeister beobachten konnte, der aufgrund des Besitzes von Missbrauchsdarstellungen von Kindern angeklagt wird. Obwohl sowohl Theater­leitung als auch Produktionsfirmen über die Anzeige informiert waren, hatte niemand den Schauspieler glaubhaft zur Rede gestellt. Der Intendant Martin Kušej fand Teichtmeisters Erklärung, dass alles sei nur eine Intrige seiner Ex-Freundin ­plausibler. Und das, obwohl auch Kolleg:innen berichten, dass Teicht­meisters Gewalt­fantasien Vielen bekannt waren.

Facts against Falschbeschuldigungen

Da die Datenlage zu Falschbeschuldigungen dürftig ist, ist es nicht immer leicht, diesem Argument faktisch entgegenzutreten. Eine in Großbritannien 2011 durchgeführte Studie scheint gerade aufgrund ihrer Quantifizierbarkeit besonders plausibel. Im Zeitraum von 17 Monaten dokumentierte Keir Starmer, damals für den Guardian, 5.651 Anklagen wegen Vergewaltigung und 111.891 wegen häuslicher Gewalt. Im selben Zeitraum wurden lediglich 35 Fälle von Anzeigen wegen Falschaussagen gemeldet.

Kritik aus den eigenen Reihen

Kritische Stimmen zu #MeToo und seinen Ausläufern kommen aber nicht nur aus rechten Kreisen. Auch die Initiatorin Tarana Burke steht der Entwicklung durchaus auch kritisch gegenüber, wie sie in einer Rede bei der »Facing Race« Konferenz in Detroit 2018 betonte. Immer wieder würden sich vor allem Betroffene marginalisierter Communities an sie wenden und bekunden, dass der Schmerz nicht-privilegierter, nicht-weißer Betroffener häufig ignoriert würde und weniger Gehör findet, als der Schmerz weißer Frauen. Dass eine Bewegung, die als Community Projekt einer Schwarzen Aktivistin ins Leben gerufen wurde und das vor allem jenen, die nicht auf staatlichen oder polizeilichen Schutz vertrauen können, helfen sollte, jetzt von berühmten, weißen Schauspieler:innen vereinnahmt würde. Besonders in liberalen, feministischen Kreisen werden Fälle von sexualisierter Gewalt häufig auch von dem Ruf nach einem höheren Strafmaß für Täter:innen begleitet. In den USA, wo 33 Prozent der Gefängnis-Insass:innen Schwarz sind, werden dadurch eben jene Communities besonders getroffen und kriminalisiert. Hinzu kommt ein Digital Activism Gap (Jen Schradie), dessen Analyse bestätigt, dass besonders Alter, Ressourcenmangel und Medienkompetenz die wichtigsten Faktoren für digitale Partizipation sind und sich dadurch oftmals neue Formen der Exklusion und des mangelnden Mitspracherechts heraus bilden.

Fazit

Abschließend lässt sich also sagen, dass #MeToo, vor allem durch seine globale, virale Verbreitung, ein neues Zeitalter im Umgang mit sexualisierter Gewalt eingeläutet hat. Neue Komplinz:innenschaften werden gebildet, Netzwerke und Synergien zur gegenseitigen Unterstützung ins Leben gerufen. Strukturelle Missstände wurden aufgezeigt, lokale Bewegungen gestärkt und Sensibilisierungs-Prozesse in Gang gesetzt. Gleichzeitig birgt ein rein digitaler »populärer« Feminismus auch die Gefahr, tiefgreifende Ungleichheitsstrukturen und neoliberale Prinzipien zu übernehmen und Formen des Ausschlusses in Bezug auf Sichtbarkeit und Repräsentation zu reproduzieren. Auch wurde durch die Anonymität des Internets eine neue Welle des Hasses gegen FLINTA*-Personen eingeläutet, gegen die sich schwer bis gar nicht vorgehen lässt.

Julia Richter lebt in Wien. Julia ist Performerin und LINKS Aktivistin.

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