19 Dezember

Wir können nicht weiterleben wie bisher

von

Von Kurto Wendt

Meist beginnen Aktivist*innen in ihren 60ern ihr Leben zu resümieren und werden dabei melancholisch und eine Spur selbstgefällig. Lena Schilling hat jetzt mit 21 ihr erstes Buch vorgelegt und es ist so vielfältig wie ihre aktivistische Tätigkeit. Vielleicht drückt sich darin auch die Dringlichkeit aus, nicht mehr warten zu können, bevor die Welt den Bach runter geht. Lena Schilling ist nach Paula Dorten, die gemeinsam mit ORF Wetterfrosch Paul Wadsack vor kurzem das Buch Letzte Generation – ein Klimamanifest geschrieben hat, bereits die zweite Aktivistin des »Jugendrats«, die ihre Weltanschauung und Appelle in Buchform präsentiert.

Radikale Wende – wir haben eine Welt zu gewinnen

Biografische Passagen wechseln mit szenisch-literarischen Einblicken in aktivistische Gruppen der Klimabewegung. Eine beeindruckende detailreiche Chronik der Lobaubleibt-Bewegung wird geboten und Verweise auf internationale Protestbewegungen münden in einen Aufruf an alle, aktiv zu werden.

»Was bedeutet das für uns und welche Möglichkeiten haben wir? Wie wird man politisch aktiv? Gründet man einfach eine Organisation? Wo fange ich an? Was muss ich dafür können? Ich wusste all das anfangs nicht. Ich hab vieles davon einfach gemacht. So wie unzählige Menschen vor mir. Und ich wünsche mir, wie unzählige Menschen neben und mit mir. Auf Lösungen kommen wir meistens erst, wenn wir uns dem Problem stellen.«

Der Untertitel, »weil wir eine Welt zu gewinnen haben«, macht Mut, ein wichtiger Impuls gegen die verheerenden Entwicklungen und die Untätigkeit der Machthabenden, wie sie sich aktuell bei der Weltklimakonferenz in Ägypten gezeigt hat. Lena Schilling ist in ihren Analysen ganz klar marxistisch und besteht darauf, die Klassenfrage und die Ökologiefrage als gemeinsamen Kampf zu sehen.

Sie scheut auch nicht zurück, die anstrengenden und erschreckenden Momente des Aktivismus anzusprechen. Ihre Gefühle nach dem Brandanschlag auf eine besetzte Baustelle der Lobaubewegung am 30. Dezember 2021 schildert sie im Buch so: »Ich hatte die letzten Monate unzählige Hassnachrichten und Mord drohungen erhalten. War ich jetzt in Gefahr? Erstmal meinen Eltern Bescheid geben, dass alles in Ordnung ist, sie hatten schließlich fast 20-mal angerufen. Stunden danach waren hundert helfende Menschen vor Ort, die gemeinsam nach Freigabe des Tatorts begannen aufzuräumen. All das sind Bilder, die mich immer begleiten werden. Die jungen Menschen, die nach dieser Nacht barfuß in der Asche stehen, weil ihre Schuhe verbrannt waren und nachsehen, ob etwas von ihren Sachen erhalten war. Ich stehe daneben und schaue sie an, wie die Trümmer und Scherben weggebracht werden, bewegen oder was sagen kann ich in diesem Moment nicht. Was soll man denn sagen? Die verbrannten Stofftiere, Instrumente und Hefte von denen unzählige Bilder in Zeitungen landen.

Erst gegen Nachmittag erinnere ich mich daran, dass heute ja Silvester ist. Ich fahre nach Hause, die Katzen füttern. Die Tür fällt hinter mir zu und ich sacke dort kurz zusammen, jetzt kann ich die Tränen nicht mehr zurückhalten.«

Im Anhang des Buchs gibt es eine musikalische Playlist, ein liebevolles Detail, das ich sehr schätze.

Lena Schilling wird oft schon ikonisiert, die Krone hat sie unlängst als »Greta Thunberg von Österreich« bezeichnet. Das Buch beweist aber, dass sie nicht Gefahr läuft, eingebildet und abgehoben zu werden. Am besten drückt sie das im letzten Satz des Buchs aus: »Organisieren wir uns!«

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