02 Juni

Wahlen in Madrid: Die gefährlichen Diskurse der Rechten

von

Marga Ferré beschreibt, was von den Madrider Wahlen zu lernen ist.

Am 4. Mai fanden in der Region Madrid Wahlen statt. Ihr Ergebnis, der Sieg einer trumpistischen Rechten, wurde inter­national als schmerzhafte Niederlage der Linken interpretiert, verstärkt vom Aus­scheiden Pablo Iglesias’ aus der aktiven Politik. Es war eine Niederlage, dies aber viel mehr im Bereich des Kulturkampfes als auf dem Feld der Wahlschlachten. Schauen wir uns die Gründe dafür näher an.

Die Autonome Gemeinschaft Madrid (eine Autonome Gemeinschaft entspricht im föderalen Spanien in etwa den österrei­chischen Ländern) wird seit 26 Jahren von der konservativen Rechten, der Partido Popular (PP) regiert. Dass sie die Wahlen erneut gewonnen hat, ist daher nichts Außergewöhnliches. Aber warum hat das die Linke diesmal als Niederlage erlebt?

Triumph des »Trumpismus«

Der erste Grund dafür ist, dass nach 80 Jah­ren (einschließlich der 40-jährigen Zeit der faschistischen Diktatur) Spanien erstmals eine fortschrittliche Koalitionsregierung, bestehend aus Partido Socialista Obrero Español (PSOE) und der Linken (Unidas Podemos) hat. Während der eineinhalb Jahre, die diese Regierung nun im Amt ist, wird die Speerspitze der rechtsgerichteten Opposition von der Präsidentin der Autono­men Gemeinschaft Madrid, Isabel Díaz Ayuso, gebildet. Mit einer Aggressivität, die sogar für die spanische Rechte ungewöhnlich ist, und einem an Donald Trump angelehnten Politikstil versucht sie – aus ihrer Position als Präsidentin von Spaniens reichster Region heraus – die Regierung zu boykottie­ren.

Ayuso rief vorgezogene Wahlen in Madrid aus, weil Umfragen gezeigt hatten, dass die PP die Wahlen auf Kosten der moderaten rechtsgerichteten Partei Ciudadanos gewin­nen und diese von der politischen Landkarte fegen könnte (was tatsächlich geschah) und dass sie ihr Wahlergebnis auf Kosten der rechtsextremen Vox mit einer Sprache im Stile Trumps verbessern könne: Die Protest­stimmen gegen die linksgerichtete Regie­rung, die unter dem Vorwand der Pandemie­bekämpfung der Wirtschaft Einschränkun­gen auferlegt, würden in Stimmen für die PP umzumünzen sein. Sie rief die Wahlen auch aus, um die Linke mit dem Slogan »Sozialis­mus oder Freiheit« anzugreifen, wobei sie die Vereinnahmung des Wortes »Freiheit« für die Opposition gegen die Regierung und die wahnwitzigen Attacken auf Pablo Iglesias zu den Hauptachsen ihres erfolgreichen Wahlkampfes machte. Im Klartext bedeutet dies eine Verschiebung von rechtskonserva­tiven zu rechtsextremen Positionen.

Niederlage der Sozialdemokratie und Aufspaltung der Linken

Auf Seiten der Sozialistischen Arbeiterpartei (PSOE) wurde die Neuwahl als Gelegenheit gesehen, sich von der Linken und von Unidas Podemos zu distanzieren, weshalb sie ihren Wahlkampf und ihre Politik so anlegte, dass sie Stimmen auf Kosten der zentristischen Ciudadanos gewinnen würde – ein Fehler, der sich als fatal herausstellen sollte, da die Wähler*innen von Ciudadanos massenweise zur PP überliefen und die PSOE das schlech­teste Wahlergebnis ihrer Geschichte in Madrid einfuhr.

Auf Seiten der Linken kandidierte einer­seits eine Abspaltung von Podemos namens Más Madrid, angeführt von Iñigo Errejón, der ehemaligen Nummer Zwei bei Podemos, die einen moderaten Diskurs des transver­salen Linkspopulismus bediente. Auf der anderen Seite das Bündnis Unidas Pode­mos, dessen schwache Ausgangsposition Pablo Iglesias dazu zwang, sein Amt als spa­nischer Vizepräsident aufzugeben und sich in die politische Arena von Madrid zu bege­ben.

Im Block der Linken wurde ausgetragen, was Ernesto Laclau »edle Konkurrenz« nannte, ein Konzept, das die Konkurrenz zwischen ähnlichen Politikoptionen bezeichnet, mit dem Ziel, mehr Wähler*in ­nen stimmen zu gewinnen, die ansonsten verloren wären.

Polarisierung im Wahlkampf

Die Wahlen in Madrid werden auch als Nie­derlage der Linken interpretiert, da sich der Slogan »Faschismus oder Demokratie«, zu dem Pablo Iglesias die Position der Lin­ken verdichtete, als Antwort auf den von der Rechten benützten Slogan »Sozialismus oder Freiheit« als unwirksam erwies. Die Bemühungen von Unidas Podemos waren auf die Mobilisierung der Menschen in den Arbeiter*innenvierteln der Stadt Madrid und in den an Madrid angrenzenden Vier­teln konzentriert, in der Überzeugung, dass ein Anstieg der Wahlbeteiligung in diesen Stadtteilen zu einer Niederlage der Rechten führen würde. Es handelte sich dabei um eine Hypothese, die sich nicht bewahrhei­ten sollte.

Die Polarisierung hat tatsächlich dazu geführt, dass die Medien, immer der herr­schenden Klasse zu Diensten, Pablo Iglesias und Unidas Podemos in einem bisher unbe­kannten Ausmaß attackierten, Pablo Igle­sias als Faschisten bezeichneten, einen Lüg­ner, korrupt, einen leibhaftigen Dämonen. Dies führte zu einer Mobilisierung der Rechten, um zu verhindern, dass Pablo Iglesias Teil der Madrider Regierung wer­den würde. Die Wahlbeteiligung erreichte einen historischen Höchststand und die Rechte gewann in fast jedem Bezirk.

Der Rechten ist es gelungen, die Pande­mie-Verdrossenheit für sich zu nutzen und die falsche Hoffnung zu nähren, dass das Ende der Pandemie verordnet werden könne. Es gibt Menschen, die das, was jetzt gerade mit den steigenden Impfzahlen ein­setzt, mit dem nihilistischen Begehren ver­gleichen, das sich in Europa nach dem Er sten Weltkrieg ausbreitete, sie sprechen von »Neuen und Glücklichen 20er-Jahren«, in denen die Suche nach individualistischer Bedürfnisbefriedigung die Zeichen der Zeit sind.

Mit diesem falschen Optimismus konfron­tiert, warnen wir von der Linken vor dem Faschismus, im Gegensatz zum Diskurs der Rechten verkünden wir dunkle Zeiten, eine Perspektive, die einem erwarteten Wahler­folg abträglich war. Ungeachtet dessen haben Unidas Podemos und Más Madrid an Wähler*innenstimmen dazugewonnen. Die Katastrophe für den linken Block resultierte aus dem kompletten Versagen der Sozial ­demokratie.

Weitere Entwicklungen in Spanien

Das Madrider Wahlergebnis hat keinen unmittelbaren Einfluss auf die fortschrittli­che Regierung in Spanien. Bis zu den nächs­ten Wahlen sind es noch zwei Jahre und es ist gerade das föderale System in Spanien, das es der radikalisierten Rechten erschwert, die nötigen Bündnisse zu bilden, die Vorausset­zung wären, um das Land zu regieren. Dies jedoch kann nicht dazu führen, dass wir weniger wachsam sind gegenüber der Radi­kalisierung der Rechten und den Medienbot­schaften, die jedwedes fortschrittliche Den­ken dämonisieren.

Pablo Iglesias hat sich aus der Politik zurückgezogen, da er sich dessen bewusst ist, dass seine Person in einer Art und Weise dämonisiert wurde, die der Linken nur scha­det. Das eröffnet eine neue Zeit für Podemos und schließt gewissermaßen den Kreis, der vor zehn Jahren mit der 15-M Bewegung der Indignados (der Empörten) eröffnet wurde.

Wir erleben eine neue Krise, die die Linke dazu zwingt, ihre Positionen zu überdenken und sich auf die neue Offensive des Kapitals und die Formen, in denen diese zum Aus­druck kommt, etwa auf die leeren, aber gefährlichen Diskurse der extremen Rechten, einzustellen.

Marga Ferré ist die Ko-Präsidentin des europäischen Netzwerkes für alternatives Denken und politischen Dialog transform! europe und Präsidentin der Stiftung der spanischen Partei Vereinigte Linke Fundación por la Europa de los Ciudadanos.

Erstveröffentlicht auf www.transform-network.net

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