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05 März

REGIERUNGSPROGRAMM: Palette sprachlicher Anrufungen. Ein Gespräch zwischen Gabriele Michalitsch und Ulli Weish mit feministischem Blick auf das Koalitionsabkommen der Bundesregierung und die Handschriften von Grün und Türkis.

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Ein Gespräch zwischen Gabriele Michalitsch und Ulli Weish mit feministischem Blick auf das Koalitionsabkommen der Bundesregie­rung und die Handschriften von Grün und Türkis.

Aufgezeichnet von BÄRBEL DANNEBERG und CORNELIA RENOLDNER.

Werte und Worte – ein 326-seitiges Regierungsabkommen zwischen Türkis und Grün ohne ideologische Brü­che scheint unmöglich, und doch sind beide Parteien bemüht, den Anschein von Übereinstimmung in Grundsatzfra­gen zu vermitteln. Welche frauenpoliti­schen Inhalte sind erkennbar und wel­che Handschrift hat sich eurer Meinung nach in den Vordergrund geschrieben?

ULLI WEISH: Im Verhältnis zur Vorgän­gerregierung ist die neoliberale Transfor­mation in diesem Programm nichts Neues trotz grüner Hoffnungsrhetorik: die große Mehrheit bleibt weiterhin von Konsum­steuern belastet, konkrete Maßnahmen sind vage, in einzelnen Kapiteln ist die Handschrift von Lobbyisten – sprachlich wie inhaltlich – erkennbar.

GABRIELE MICHALITSCH: Im Hinblick auf Geschlechterverhältnisse ist es ein rechtes Programm, auch wenn sich in der Präambel bemerkenswerte Änderungen gegenüber 2017 finden (siehe dazu den Kom­mentar zur Präambel, die Red.). So wird zum Beispiel Gleichstellung der Geschlechter explizit als eine Grundlage der sogenann­ten »österreichischen Werteordnung« erwähnt. Die patriarchale Struktur der österreichischen Gesellschaft wird also ver­leugnet, Patriarchat gibt es offenbar nur bei den »Anderen«. Auch die Ablehnung jeder Form von Gewalt wird dabei als »österreichischer Wert« genannt, dabei ist die Gesellschaft völlig von Gewalt durch­drungen. Das zeigt auch die letzte große Gewalt-Prävalenzstudie der Uni Wien. Ein Leben ohne Gewalterfahrung gibt es auch in Österreich de facto nicht, dennoch wird behauptet, es gebe eine allgemeine Ableh­nung von Gewalt. Und gleichzeitig sollen der Grundwehrdienst und der Beruf des Soldaten attraktiver gestaltet und die Taug­lichkeitskriterien reformiert werden, um letztlich mehr junge Männer für den militä­rischen Kampf auszubilden.

ULLI WEISH: Die sprachliche Anrufung der Gleichberechtigung scheint aus dem katholischen Werkzeugkasten zu stammen, im Sinne von Fürbitten. Das ist billig, denn das kostet nix, weil dahinter keine Maß­nahmen stehen, die budgetiert werden. Ein noch immer neutraler Staat Österreich steht zu Einsparungen, beim Bundesheer

wurde der krasse Gegensatz dazu fortge­setzt, allerdings »modernisiert« durch die erste Verteidigungsministerin der Repu­blik. Dieses Regierungspapier hat sehr wenig an tatsächlicher Gleichstellungspoli­tik parat, hat aber erstmals eine große Beteiligung von Ministerinnen, wie es sie noch nie gegeben hat.

Ist die weibliche Aufrüstung in den Ministerien nicht doch auch ein Zeichen nach außen, dass Frauenpolitik ernster genommen wird?

ULLI WEISH: Das eine wird mit dem ande­ren verwechselt und als solches verkauft werden. Die Gleichstellungspolitik braucht es dann inhaltlich nicht, weil es eine sym­bolische und medial vermittelte »Über­gleichstellung« gibt. Die Bilder über die Ministerinnen werden über die fehlenden inhaltlichen Maßnahmen hinwegtäuschen.

GABRIELE MICHALITSCH: Die Frauen in diesen sehr sichtbaren politischen Füh­rungsfunktionen verdecken, dass in den meisten weniger sichtbaren Bereichen, etwa in den Gemeinderäten und Landta­gen, vor allem aber an den Spitzen der Unternehmen, Frauen keineswegs derart präsent sind. Andererseits stützt diese Geschlechter-Diversität natürlich neolibe­rale, für die meisten Frauen schädliche und das Patriarchat verfestigende Politik. Es wird so getan, als hätten wir längst Gleichstellung erreicht, daher sei Feminis­mus überflüssig. Folglich seien Feministin­nen blindwütige Männer-Hasserinnen, gegen die man durchaus begründet hetzen könne. Die Fokussierung auf Diversität läuft aber auch Gefahr, Geschlechternatu­ralisierung und Stereotypisierung zu bekräftigen, denn Frauen und Männer sind in ihren politischen Positionen keineswegs zwangsläufig unterschiedlich. Doch genau das wird vermittelt. Inhaltliche Homogeni­tät wird durch eine symbolische, im Prin­zip biologistische Diversität verdeckt – letztlich ein Ablenkungsmanöver, um feministische Politik zu verhindern. Und es stellt alle feministischen Bewegungen einmal mehr vor die Frage, was Feminis­mus ist und an welchen Zielen er sich ori­entieren soll.

ULLI WEISH: Ich beobachte eine Dyna­mik, die ich als ›mittelalterliche‹ Frau in der grünen Szene kenne, nämlich die große Enttäuschung, dass sich die Schwächeren null durchgesetzt haben innerhalb eines unglaublich hierarchischen Verhandlungs­apparates, wo nach dem Scheitern der ers­ten Schwarz-Blau-Regierung 2003 und den langen und schließlich abgebrochenen Ver­handlungen mit den Grünen damals klar war, dass die Grünen diesmal nicht als erste aufstehen werden. Meine These ist, dass es viel zu schnell zu einer Einigung kam, Kog­ler auch überrumpelt war mit der Feststel­lung, jetzt haben wir uns geeinigt. Man hat sich auf eine halbfertige Regierungsvorlage eingeschworen und wird nun im laufenden Regierungsgeschäft nachverhandeln, so hoffe ich es jedenfalls.

Die Grünen haben eine blaue Regie­rungsbeteiligung vereitelt. Doch jetzt knicken sie bei vielen Themen, z. B. in der Sicherungshaftfrage, ein ...

GABRIELE MICHALITSCH: Nicht nur dort, sondern in jeder Hinsicht. Außer beim Klima, aber das hätte Herr Kurz ohnehin adressieren müssen. Es macht einen Unter­schied, ob ein solches Programm von der FPÖ mitgetragen wird oder von den Grü­nen. Ich vermute, sie werden es bei der nächsten Wahl bereuen.

ULLI WEISH: Das sehe ich anders und gebe zu bedenken, dass die Grünen 2017 aus dem Parlament flogen und vor kurzer Zeit wiederbelebt worden sind. Die Alterna­tive, die die Grünen im Moment historisch haben, sehe ich nicht außerhalb einer Regierung im aktuellen Kräfteverhältnis der Parteien. Die Klimakatastrophe wartet nicht, die ist da. Rund 40 Prozent aller Insekten sind verschwunden, es gibt keine Schlangen und Eidechsen mehr, Frösche überleben in Kleingartensiedlungen in Bio­topen. Die Grünen haben nun einen drin­genden ökologischen Auftrag. Die Ver­kehrs- und Infrastrukturministerin Leo­nore Gewessler steht für einen Paradig­menwechsel, der Voraussetzung für alles andere sein wird. Ich wünsche mir, dass die Sozialdemokratie ihre Expertisen, die sie z. B. im Arbeitsmarktbereich oder der Gleichstellungspolitik haben, in eine lebendig agierende Oppositionspolitik einbringen. Zivilgesellschaftliche Initiati­ven müssen das Gespräch suchen, vor allem zu den türkisen Ministerinnen, und das sollte auch gleichzeitig den möglichen unterstützenden Kräften kommuniziert werden. Die kritische Analyseebene ist wichtig, aber die alleine erzeugt keinen Wandel. Sie ist der Ausgangspunkt.

GABRIELE MICHALITSCH: Ich halte es für einen Fehler zu glauben, Politik bestehe primär darin, Gesetze zu verab­schieden oder Posten zu besetzen. Bei Politik geht es auch um Diskurs, um Denk- und Wahrnehmungsweisen, um die Erzeu­gung von Stimmungen. Ich finde, dass die Grünen mit der Auffassung »Wir können nur in der Regierung gestalten« Politik zu eng verstehen. Wenn sich die Grünen für radikale Oppositionspolitik entschieden hätten, könnten sie Sichtweisen, Denk­muster und Haltungen wahrscheinlich stärker verändern.

Ungleiche Machtverhältnisse drücken sich auch in ministeriellen Zuordnun­gen aus. Etwa in einem neu geschaffe­nen ÖVP-Ministerium für »Arbeit, Familie und Jugend«, welches dem Sozial- und Gesundheitsministerium und somit grünem Einfluss entzogen und der Wirtschaft zugeordnet ist.

ULLI WEISH: Es gibt eine hochinteres­sante Palette der Sprachlosigkeit und der Leere im Regierungsabkommen, aber es gibt Beispiele, die für frauenpolitische Realverhältnisse relevant bleiben, etwa die Zumutbarkeitsgrenzen bei Alleinerzie­herInnen, bei der Pflege und vielen All­tagsthemen von Nichtprivilegierten, da wird nichts gelöst.

GABRIELE MICHALITSCH: Pflege soll primär zu Hause erfolgen, das ist das Grundprinzip des Programms. Es rückt die Unterstützung pflegender Angehöri­ger ins Zentrum. Z. B. soll ein »Pflege-Daheim-Bonus« für pflegende Angehörige eingeführt und Pflegezeit als Versiche­rungszeit über drei Jahre hinaus angerech­net werden, auch wenn keine Erwerbszeit vorliegt. Das bedeutet konkret, vor allem ein Hausfrauen-Pflegerinnen-Modell und damit die geschlechtliche Arbeitsteilung zu fördern. Hinzu kommt die angestrebte Auf­wertung des Ehrenamtes in der Pflege, also einmal mehr unbezahlte Arbeit. Mich hat besonders irritiert, von »präventiver Ent­lastung von Young Carers« zu lesen, also von Kindern und Jugendlichen, die Pflege­arbeit machen. Die sollten meines Erach­tens aber keine Pflegearbeit machen, son­dern in die Schule gehen! Die gesamte Pfle­geproblematik soll offenbar weiter indivi­dualisiert und privatisiert werden. Das Pfle­gegeld wird ausgeweitet, sonst aber hat der Staat keine Verantwortung, das ist die Ziel­richtung.

ULLI WEISH: Bei der Kinderarmut hat par­teiübergreifend ein Konsens vorher bestan­den, aber im Regierungsprogramm findet sich zur Verhinderung konkret gar nichts. Kinder, die im Ausland leben, sind beim Zugang von Sozialleistungen und familien­unterstützenden Maßnahmen nicht zu fin­den. Bei der gemeinsamen Obsorge oder bei Aspekten vom Familienrecht findet sich eine komplizierte Praxis, die dann in Ord­nung ist, wenn sich PartnerInnen geregelt trennen, aber nicht im Konflikt.

GABRIELE MICHALITSCH: Die Polarisie­rung zwischen Kindern wird vorangetrie­ben – durch klassistische und rassistische Politik. Wenn der Familienbonus erhöht wird, auf maximal 1.750 Euro pro Kind, bringt das den ärmeren Bevölkerungs­schichten, also gerade auch Migrant*innen, sehr viel weniger als den reicheren. Wobei gerade diejenigen, die ihn am dringendsten bräuchten, nämlich die ganzjährig Lang­zeitarbeitslosen und Mindestsicherungsbe­zieherInnen, explizit davon ausgeschlossen sind.

So soll offenbar, wie es in der Präambel heißt, das soziale Netz, »gestärkt« werden und »diejenigen auffangen, die sich selbst nicht helfen können«. Das aber bedeutete ein klares Abrücken vom Sozialstaatsprin­zip und ein Bekenntnis zu einem Fürsorge­system – statt Rechte für alle Almosen für die Armen!

Das muss man zusammen mit den Vor­

schlägen im Steuerbereich sehen: die Sen­kung der Körperschaftssteuer, die Absen­kung der Progression in der Lohn- und Ein­kommenssteuer – das sagt eigentlich alles. Und immer wieder diese grundsätzlichen Bekenntnisse zu einer Senkung der Steuer- und Abgabenquote, da geht‘s ja nicht nur um Steuern, sondern implizit auch um öffentliche Ausgaben.

Die Frauenagenden sind jetzt im »Minis­terium für Integration und Frauen« zu finden. Wird den Frauen damit ein erzie­herischer Auftrag erteilt?

ULLI WEISH: Bei den Themen Integration und Asyl herrscht eine feindliche Konstruk­tion von »Den Anderen« vor. Bei den Gewaltaspekten wird so getan, als käme das als importierter Maskulinismus aus arabi­schen Staaten auf uns friedensliebende ÖsterreicherInnen zu. Das bedient FPÖ-Stimmen, dabei wäre auf die Gewalt in der Familie zu schauen.

GABRIELE MICHALITSCH: Hinzu kommt, dass muslimischen LehrerInnen das Kopf­tuch verboten werden soll. Strukturell wird damit die Klassenspaltung rassifiziert. Das finde ich besonders niederträchtig, dass man die Musliminnen, die als Lehrerinnen am ehesten ökonomisch gleichgestellt sind, auf Grund ihres sichtbaren Religionsbe­kenntnisses ausschließen will, bei den mus­limischen Putzfrauen ist das offenbar gleichgültig.

ULLI WEISH: Viele Aspekte, gerade in der Gleichstellung oder im Familienkapitel bei den Kinderbetreuungsplätzen, klingen gut und freundlich – aber es fehlt die Aussicht auf Umsetzung. Alle Dinge, die nach Gleich­stellung klingen, bleiben vage. Manches ist auf den ersten Blick für mich sehr erleich­ternd, weil es die Schwere der freiheitli­chen Handschrift vordergründig nicht hat. Es braucht eine zivilgesellschaftliche Ein­mischung und kritische Menschen, die Druck machen, damit z. B. MinisterInnen, die noch wenig Kontakt haben mit einer heterogenen feministischen Zivilgesell­schaft, diese konkret erleben. Ich glaube tatsächlich, in einem kleinen Land ist eine politische Beziehungsdynamik nicht irrele­vant.

GABRIELE MICHALITSCH: Es geht um einen rassistischen autoritären Neolibera­lismus, der natürlich auch antifeministisch ist. Dieses Programm spiegelt ein Projekt der oberen zehn Prozent. Ein ausdrücklich formuliertes Ziel der Steuerpolitik besteht zum Beispiel darin, dass sich die Haushalte Eigentum schaffen. Nur: die untere Hälfte der Haushalte kann mit ihrem Einkommen kaum überleben. Diese Haushalte können sich kein Eigentum schaffen, die haben größte Mühe, ohne Schulden durchzukom­men. Nächstes Beispiel: Pensionssplitting. Das soll als Automatismus eingerichtet und an gemeinsame Kinder gebunden werden. Das ist nicht nur eine Form von Individuali­sierung sozialer Sicherung, sondern auch eine Stärkung des patriarchalen Familien­modells. Es setzt voraus, dass Frauen ver­heiratet sind und Kinder haben. Frauen sind dabei abhängig von einem gutverdie­nenden Partner, denn von Pensionssplit­ting haben Frauen oft nur etwas, wenn die eigene Pension durch das Splitting den Ausgleichszulagenrichtsatz überschreitet. De facto ist das Pensionssplitting eine Spar­maßnahme, um die Ausgaben für Aus­gleichszulagen zu reduzieren

Wir haben also Sozialabbau, insbesondere eine Restrukturierung des Sozialsystems durch weitere Individualisierung, den deklarierten Abschied vom Sozialstaat zugunsten von Fürsorge für die, »die sich nicht selbst helfen können«. Gleichzeitig wird das Steuersystem immer mehr zu einem Instrument der Umverteilung »von unten nach oben«. Allein schon diese Ele­mente bewirken klassenspezifische Spal­tung, Retraditionalisierung von Geschlech­terverhältnissen und rassistischen Aus­schluss.

Dr.in Gabriele Michalitsch, Politikwissenschafterin und Ökonomin, Universität Wien

Dr.in Ulli Weish, Medienwissenschafterin und Akti­vistin bei der Plattform 20.000frauen

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