Am 17. März 1931 meldete die Wiener Neue Freie Presse, Österreich habe eine Zollunion mit Deutschland abgeschlossen. Die deutsch-österreichische Zollunion war ein Projekt des Deutschen Reiches und der Republik Österreich in den Jahren 1930 und 1931, das vom damaligen österreichische Vizekanzler und Außenminister Johann Schober und dem deutschen Außenminister Julius Curtius betrieben wurde. Absicht war es, das Anschlussverbot des Versailler Vertrags zu umgehen. Auch die Genfer Protokolle vom 4. Oktober 1922 waren ein gültiger Staatsvertrag zwischen der Republik Österreich sowie Großbritannien, Frankreich, Italien und der Tschechoslowakei im Rahmen des Völkerbundes und beinhalteten eine internationale Garantie der Souveränität Österreichs. Als Gegenleistung verpflichtete sich Österreich dazu selbständig zu bleiben – also sich Deutschland nicht anzuschließen. Der parteilich ungebundene Beamte Schober hatte bei der Nationalratswahl 1930 ein Wahlbündnis aus der großdeutschen Volkspartei und dem Landbund geschlossen. Seine Orientierung Richtung Deutschland, der auch die traditionell großdeutsch denkenden Sozialdemokraten, die nicht zuletzt auf Grund ihrer großdeutschen Einstellung die Ratifizierung der Genfer Protokolle 1922 abgelehnt hatten, zugeneigt waren, sollte den Großdeutschen helfen, gegenüber dem Koalitionspartner, der christlich-sozialen Partei, vor allem aber gegenüber den Heimwehren, innenpolitisch Boden zu gewinnen. Der bekannterweise ebenso großdeutsch gesinnte Sozialdemokrat Karl Renner erklärte am 29. April 1931 in seiner Antrittsrede als Präsident des Nationalrats: »Möge es […] uns gestattet sein […] den ersten Schritt zu tun […] uns wirtschaftlich mit unserem Mutterlande zu vereinigen. In meinem und wohl auch in Ihrer aller Namen grüße ich in dieser Stunde unser großes deutsches Muttervolk!« Die Pläne für die deutsch-österreichische Zollunion stießen sofort auf energische Proteste der Regierungen Frankreichs, Italiens und der Tschechoslowakei, da sie einen Anschluss Österreichs und eine Hegemonialstellung Deutschlands in Mittel- und Südosteuropa vorzubereiten schienen. Auch die britische Regierung stand dem Projekt ablehnend gegenüber, verschärfte es doch die internationalen Spannungen.
Internationale Spannungen und Finanzkrisen
Großbritannien und Frankreich wandten verschiedene Strategien an, die das deutsch-österreichische Projekt im Herbst 1931 scheitern ließen. Die Franzosen griffen zu den Mitteln der Finanzdiplomatie, die Briten setzten eine politisch-rechtliche Prüfung in Gang. Der ständige Internationale Gerichtshof beriet vom 20. Juli bis zum 3. August 1931 über die Zulässigkeit der Zollunion. Am 5. September veröffentlichte er sein »avis consultatif«. Demnach sei das Zollunionsprojekt unvereinbar mit dem Genfer Protokoll von 1922, das Österreich verpflichtete, seine wirtschaftliche Unabhängigkeit aufrechtzuerhalten. Für Frankreich bedeutete das Zollunionsprojekt einen direkten Anschlag auf seine Machtstellung in Mittel- und Südosteuropa.
Am 11. Mai 1931 erklärte sich die Creditanstalt, die größte Bank Österreichs, die sich bei ihrer Fusion mit der Bodencreditanstalt übernommen hatte, für zahlungsunfähig. Um eine Finanzpanik zu verhüten, übernahm der österreichische Staat die Gesamthaftung für alle inländischen Verbindlichkeiten der Bank. Damit war er selbst in Gefahr, zahlungsunfähig zu werden. Der Plan einer Zollunion scheiterte im Spätsommer 1931, als die französische Regierung Österreichs Finanznot in der Weltwirtschaftskrise nutzte und eine internationale Kredithilfe von einem Verzicht auf das Projekt abhängig machte. Der österreichische Bundeskanzler Otto Ender trat am 16. Juni zurück.
Sein Nachfolger wurde der christlich-soziale Karl Buresch, der mit einem Überbrückungskredit der Bank von England einen sofortigen Bankrott seines Landes abwehren konnte. Am 11. August suchte die Regierung Buresch um eine Völkerbundsanleihe nach. Am 3. September 1931 erklärten Schober und Curtius vor dem Europaausschuss des Völkerbunds, »beide Länder hätten nicht die Absicht, das ursprünglich ins Auge gefasste Projekt weiter zu verfolgen«. Die Zollunion war politisch und juristisch gescheitert. Am 3. Oktober 1931 trat Curtius als deutscher Außenminister zurück. Auch Schober verlor bald darauf sein Amt. Das blamable Scheitern der deutsch-österreichischen Zollunion und die Weigerung Bureschs, sich zu einem explizit »deutschen Kurs« zu bekennen, führte schließlich zum Bruch des Bündnisses mit den Großdeutschen und zur Demission der Regierung Buresch I am 27. Jänner 1932.
Auf dem Weg zum Austrofaschismus
Im Jänner 1932 waren 423.000 Arbeitslose in Österreich vorgemerkt, von denen 350.000 sozialrechtliche Unterstützung fanden. Bei den Landtagswahlen in Wien, Niederösterreich, Salzburg, Kärnten und der Steiermark am 24. April 1932 erzielten die Nationalsozialisten in Österreich einen ersten großen Erfolg: Die Stimmen der Nationalsozialisten stiegen in bestimmten Gebieten um das Sechsfache an. Insgesamt erhielten sie 336.000 Stimmen. Ihre Wähler kamen vor allem aus dem großdeutschen Lager, aber auch die Heimwehr und die Christlichsozialen verloren viele Stimmen. Die Angst der christlich-sozialen Partei vor Parlamentsneuwahlen nahm in der Folge zu. Die Sozialdemokraten konnten ihren Stimmanteil halten. Besonders durch ihren Erfolg in Wien bestärkt, drängten sie auf Neuwahlen, während die Christlichsozialen einen weiteren Wahlerfolg der Nationalsozialisten und den Verlust möglicher Koalitionspartner – Landbund, Großdeutsche und Heimwehr – befürchteten und einen vorzeitigen Urnengang so lang als möglich zu verhindern suchten.
Am 28. April 1932 stellten die Sozialdemokraten einen Antrag auf Auflösung des Nationalrats, was Neuwahlen bedeutet hätte. Dem kam die Regierung Buresch durch einen Rücktritt Anfang Mai 1932 zuvor. Am 10. Mai 1932 wurde Engelbert Dollfuß, der bisherige Landwirtschaftsminister, als Bundeskanzler mit der Bildung einer neuen Regierung beauftragt. Er bot den Sozialdemokraten eine Zusammenarbeit an, diese forderten aber bei der Behandlung ihres Neuwahlantrages vom 28. April in der Nationalratssitzung vom 12. Mai unverändert Neuwahlen. Ebenso lehnten die Großdeutschen eine Koalition ab und forderten Neuwahlen; allerdings erst im Herbst.
Am 12.Mai 1932 wurde der Antrag der Sozialdemokratie auf Neuwahlen angenommen, der geforderte Wahltermin für 19. Juni jedoch mit 80:77 Stimmen gegen die Sozialdemokratie abgelehnt. Im erwirkten Gesetzesbeschluss für Neuwahlen wurde die Festsetzung eines Wahltermins dem Nationalrat vorbehalten. Dies widersprach jedoch der Nationalratswahlordnung; somit musste der Gesetzesbeschluss dem Bundesrat vorgelegt werden.
Am 20. Mai 1932 befasste sich der Bundesrat mit dem Gesetzesbeschluss bezüglich der von den Sozialdemokraten geforderten Neuwahlen. Bemerkenswert an dieser Sitzung ist, dass kein Einspruch gegen den Gesetzesbeschluss erhoben wurde, vielmehr nutzte der – der Heimwehr zugerechnete – Bundesrat Hans Tanzer die Sitzung dafür, in seiner Stellungnahme die politische Zielsetzung seiner politischen Gruppierung darzulegen, wie das Protokoll der Sitzung zeigt:
»Es bestehe keine Veranlassung noch einen Glauben in diese Form des Parlamentarismus setzen zu können. Die Radikalisierung des Volkes in jüngster Zeit habe den Grund darin, dass man mit diesem Regierungssystem nicht zufrieden sei. Wir sind dafür, dass eine neue Regierung, eine wirkliche Rechtsregierung, gebildet werde, eine Regierung der diktatorischen Vollmachten, welche über alle Weichheit hinweggeht und vor allem keine Angst vor dem Bolschewismus hat. Ein aufbauender nationaler Faschismus, eine Wirtschaftsdiktatur auf dem Standpunkt eines absolut rotgegnerischen, antibolschewistischen Prinzips sei nötig.«
Währenddessen hatte Dollfuß emsig, um Neuwahlen zu verhindern, mit dem Landbund und dem Heimatblock eine Koalition verhandelt, nachdem die Bildung einer bürgerlichen Konzentrationsregierung unter seiner Führung an der Weigerung der Großdeutschen gescheitert war. Kurioserweise war nun das Parlament per Beschluss aufgelöst worden, rechtliche Wirkungen waren damit aber nicht verbunden. Inzwischen hatte Dollfuß, ebenfalls mit 20. Mai, seine Regierung gebildet, die mit einer Stimme Überhang (83:82) eine Mehrheit hatte. Die Neue Freie Presse schrieb anlässlich der Präsentation der Regierung Dollfuß:
»Wir sind so tief im Unglück, dass wir schon die Tatsache einer Regierungsbildung als Erfolg und eine Erlösung betrachten!«
Gestützt auf das kriegswirtschaftliche Ermächtigungsgesetz vom Juli 1917 erließ die Regierung bereits am 1. Oktober 1932 eine Verordnung bezüglich der Haftung der für den Zusammenbruch der Creditanstalt verantwortlichen Funktionäre. Dieses Vorgehen hatte, Zitat Emmerich Talos, »beinahe keinen wirtschaftlichen Effekt, dafür einen politischen«. Es diente als Versuch der Regierung, einen diktatorisch autoritären Kurs einzuschlagen. Mit den Worten von Dollfuß:
»Die Regierung (...) geht Schritt um Schritt auf ihrem vorgezeichneten Weg weiter (...). Die Tatsache, daß es der Regierung möglich ist, selbst ohne vorherige endlose parlamentarische Kämpfe sofort gewisse dringliche Maßnahmen in die Tat umzusetzen, wird zur Gesundung unserer Demokratie wesentlich beitragen.« (Reichspost, 4. Oktober 1932)
Die austrofaschistische Diktatur hatte also ihren Anfang gefunden.