Karl-Marx-Hof nach Artilleriebeschuss im Februar 1934. Quelle: doew.at Karl-Marx-Hof nach Artilleriebeschuss im Februar 1934. Quelle: doew.at
11 Februar

Der kurze Bürgerkrieg des Februar 1934 aus kommunistischer Sicht

von

Von WINFRIED R. GARSCHA

Die bewaffnete Erhebung von Arbeitern und Arbeiterinnen gegen die sich formierende austrofaschistische Diktatur unter Bundeskanzler Dollfuß vor 90 Jahren war einer der großartigsten Abwehrkämpfe gegen den Vormarsch des Faschismus in Europa. Wie war es dazu gekommen?

1932 bildete der niederösterreichische Bauernfunktionär Engelbert Dollfuß eine Koalitionsregierung, an der auch die faschistischen »Heimwehren« beteiligt waren. 1933 baute diese Regierung den österreichischen Staat innerhalb weniger Monate um – in Richtung einer faschistischen Diktatur nach italienischem Vorbild. Der Ausschaltung des Parlaments am 15. März folgten das Verbot der sozialdemokratischen Wehrorganisation »Republikanischer Schutzbund«, das Verbot der 1.-Mai-Demonstrationen, das Betätigungsverbot für die KPÖ und die Ausschaltung des Verfassungsgerichtshofs. Zeitungen wurden einem Zensur- Regime unterworfen. Nach einer Reihe von Terroranschlägen untersagte die Regierung per 1. Juli 1933 auch die Betätigung für die Nazi-Partei.

Bei einer Rede auf dem Wiener Trabrennplatz am 11. September 1933 bekannte sich Dollfuß offen zum Ziel der Abschaffung der parlamentarischen Demokratie. An ihre Stelle sollte ein so genannter »Ständestaat« treten; die Vertreter der »Stände« sollten nur beratende Funktion für die diktatorisch (»autoritär «) regierende Bundesregierung haben. Für Gewerkschaften war in diesem System kein Platz. An die Stelle der Parteien wurde eine der Regierung hörige Organisation, die »Vaterländische Front«, gebildet. Die Befugnisse der Polizei wurden ausgeweitet, politische Gegner wurden »angehalten« (eingesperrt), das größte Anhaltelager errichtete die Regierung in Wöllersdorf bei Wiener Neustadt.

Noch waren das ultrarechte Zukunftsvorstellungen – nach wie vor existierten die sozialdemokratischen Freien Gewerkschaften und auch die politischen Parteien, neben den Regierungsparteien auch die Sozialdemokratie, die die Stadt Wien mit absoluter Mehrheit regierte. Die Regierung Dollfuß und die »Heimwehren« machten keinen Hehl daraus, dass sie dem »Parteienstaat« ein Ende bereiten, Wien einem Regierungskommissar unterstellen und die Freien Gewerkschaften auflösen wollten.

Illegale KPÖ gewann an Einfluss
Die Sozialdemokratische Partei, die auf dem Höhepunkt ihres Einflusses in den 1920er Jahren mehr als 600.000 Mitglieder hatte – mehr als zehn Prozent der erwachsenen Bevölkerung – verlor schon während der Weltwirtschaftskrise ab 1929 an Einfluss. Der »Salamitaktik« der christlichsozial-faschistischen Regierung, die eine demokratische Errungenschaft nach der nächsten kassierte, wusste sie nur hilflose Proteste entgegenzustellen. Das führte zu einer Austrittswelle: Die Partei verlor in den Monaten ihres Zurückweichens vor der schrittweisen

Aufrichtung der Diktatur seit dem März 1933 Hunderttausende Mitglieder. Zahlreiche enttäuschte SozialdemokratInnen begannen sich Ende 1933/Anfang 1934 für die Politik der KPÖ zu interessieren, die sich von ihrem ultralinken Kurs verabschiedet hatte und auch durch ihre Erfolge bei illegalen Aktionen als Vorbild für den Untergrundkampf galt, auf den sich nunmehr auch Tausende SozialdemokratInnen ernsthaft vorzubereiten begannen. Nach Recherchen des wichtigsten Chronisten des antifaschistischen Widerstandskampfs in Oberösterreich, Peter Kammerstätter (1911-1993), war eine Reihe linker Sozialdemokraten, die im Laufe des Jahres 1933 aus Empörung über den Kapitulationskurs ihres Parteivorstands gegenüber den fortwährenden Attacken der Dollfuß- Regierung auf die Arbeiterschaft der illegalen KPÖ beigetreten waren, nach außen hin Mitglieder der (noch legalen) Sozialdemokratischen Arbeiterpartei geblieben – unter ihnen der Bezirkskommandant des Republikanischen Schutzbundes von Vöcklabruck, Karl Sulzberger, der im Oktober 1933 in die oberösterreichische Landesleitung der sozialdemokratischen Partei gewählt wurde. Die KPÖ versuchte über diese Kontakte auch, putschistischen Tendenzen, die vor allem im Umfeld des Linzer Schutzbund-Führers Richard Bernaschek an Einfluss gewannen, entgegenzuwirken.

Die Verbindung zwischen der Exil-Leitung der KPÖ in Prag und den linken Sozialdemokraten in Linz und Steyr wurde vom erfahrenen Wiener kommunistischen Gewerkschaftsfunktionär Leopold Hornik und dem später vor allem durch seine Arbeiten zur Herausbildung der österreichischen Nation bekannt gewordenen kommunistischen Publizisten Alfred Klahr aufrechterhalten; sie wandten sich vor allem dagegen, ohne ausreichende politisch- militärische Vorbereitung einfach »loszuschlagen «. Als entscheidende Voraussetzung für einen erfolgreichen Abwehrkampf gegen die sich herausbildende faschistische Diktatur hielten auch linke sozialdemokratische Gewerkschafter wie der Vorsitzende des Arbeiterbetriebsrats der Steyr-Werke (neben der Alpine- Montan damals der größte Betrieb Österreichs), August Moser, die gleichzeitige Durchführung eines lückenlosen Generalstreiks. Das war auch die Haltung der illegalen KPÖ.

Als Anfang Februar 1934 die faschistischen Heimwehren mit Unterstützung der Exekutive dazu übergingen, unter dem Vorwand von »Waffensuchen« systematisch sozialdemokratische Einrichtungen zu zerstören, gab die KPÖ zusätzlich zu der von der ČSR nach Österreich geschmuggelten Parteizeitung

Die Rote Fahne mehrere in Österreich selbst hergestellte Sondernummern heraus, in denen die Auflösung der faschistischen »Heimwehren«, die Wiederherstellung der Versammlungs-, Koalitions- und Pressefreiheit sowie die Aufhebung des Verbots der KPÖ gefordert und auf die Gefahren der Hitler-Diktatur in Deutschland für Österreich verwiesen wurde.

Aufruf zum Generalstreik blieb von der SDAP unbeachtet
Der bereits erwähnte Leopold Hornik wurde vom Zentralkomitee beauftragt, gemeinsam mit dem niederösterreichischen kommunistischen Gewerkschafter Franz Honner einen »Aufruf zum Generalstreik« zu verfassen, den er am 7. Februar 1934 Johann Schorsch, dem Sekretär der »Gewerkschaftskommission« (der Zentralleitung der sozialdemokratischen Freien Gewerkschaften), vorlegte – als Vorschlag für einen gemeinsamen Aufruf von Sozialdemokratischer Arbeiterpartei, Freien Gewerkschaften und KPÖ. Der Aufruf enthielt keine kommunistischen Forderungen, sondern bezog sich auf die Absetzung demokratisch gewählter sozialdemokratischer Stadtverwaltungen durch die Dollfuß-Regierung, Gewaltakte der Heimwehren gegen sozialdemokratische Einrichtungen in den Bundesländern und die Besetzung der sozialdemokratischen Parteizentrale in der Rechten Wienzeile durch die Polizei. Der Text rief zur Wahl von Streikleitungen auf, um den Abwehrkampf gegen die faschistischen Angriffe zu organisieren. Schorsch antwortete, er sei für einen Streik bereits wiederholt eingetreten, doch nie damit durchgedrungen; er allein habe außerdem kein Entscheidungsrecht. Daraufhin ergänzte die KPÖ den Aufruf um eine (im Vergleich zu früheren Formulierungen eher sanfte) Kritik am Kapitulationskurs des sozialdemokratischen Partei- und Gewerkschaftsvorstandes und verbreitete ihn – als Sonderausgabe der Roten Fahne mit dem Datum 10. Februar 1934 – in ihrem eigenen Namen in den Betrieben.

Auch während der vier Kampftage zwischen 12. und 15. Februar waren es fast ausschließlich Kommunisten, die mit Flugblättern und Streuzetteln so etwas wie eine Gegenöffentlichkeit zur Regierungspropaganda durch Zeitungen und Radio herstellten, wobei diese – in Wien und in der Obersteiermark verbreiteten – Flugschriften meist mit »K.P.Ö. / S.P.Ö.« unterzeichnet waren.

An den Kämpfen selbst konnten sich Kommunisten und Kommunistinnen kaum beteiligen, weil die Angehörigen des Republikanischen Schutzbundes die bewaffnete Abwehr des Faschismus als »ihren« Kampf sahen. Dennoch brachten sie sich in diesen Kampf ein.

In Steyr übernahmen kommunistische Arbeiter der Steyr-Werke während der Kämpfe die Reparatur der Waffen, in Wien gelang es dem kommunistischen Medizin-Studenten Fritz Jerusalem (der später unter dem Namen Fritz Jensen bekannt wurde, vor den Nazis nach China flüchtete und sich an dem von Mao Zedong geführten »Langen Marsch« beteiligte), eine Art Sanitätsdienst aufzubauen. Er brachte schwerverwundete Schutzbündler heimlich im Lainzer Krankenhaus unter. Besonders gefährdete Februarkämpfer brachte er später mit seiner Beiwagen-Maschine in die ČSR in Sicherheit.

Der Anteil der KommunistInnen an den Kämpfen
Das Bewusstsein der ehemaligen Schutzbündler von »ihrem Kampf« prägte die Erinnerung an die Februarkämpfe in einem so starken Ausmaß, dass es konkurrierende Erinnerungen ausschloss – etwa die an die Rolle von Frauen, aber auch die an die Beteiligung von KommunistInnen an den Kämpfen.

Selbstverständlich bestand die übergroße Mehrheit der Kämpfenden auf Seite der Arbeiterschaft aus Männern des Republikanischen Schutzbundes, doch war der Anteil der KommunistInnen, gemessen am Stärkeverhältnis zwischen KPÖ und Sozialdemokratie vor 1934, überproportional. Das geht auch aus den Nachforschungen der Staatspolizei über die Parteizugehörigkeit von toten und verwundeten »Zivilisten« hervor.

Barry McLoughlin, Verfasser der gründlichsten Untersuchungen über die Angehörigen des Republikanischen Schutzbundes, ihre politischen Motive und persönlichen Schicksale der »Februarkämpfer«, hat im Österreichischen Staatsarchiv eine mit 6. Oktober 1934 datierte polizeiinterne Liste entdeckt. Demnach wären in Wien den 55 Toten auf Seiten des Regierungslagers 131 Tote auf Seiten der Zivilbevölkerung gegenübergestanden. Von diesen waren 16 Angehörige des Republikanischen Schutzbundes, 36 sonstige SozialdemokratInnen und 6 Kommunisten. Unter den Verwundeten, die der Polizei in die Hände gefallen waren, befanden sich nach Polizeiangaben 19 Schutzbündler, 122 sonstige SozialdemokratInnen und 4 Kommunisten. Die Februarkämpfe in Österreich waren – neben der erfolgreichen Abwehr eines faschistischen Putschversuchs in Frankreich zwischen 9. und 12. Februar 1934 durch Massendemonstrationen und einen von KommunistInnen und SozialistInnen gemeinsam organisierten Generalstreik – die bedeutendste Aktion zur Abwehr der faschistischen Gefahr vor dem Spanischen Bürgerkrieg (1936-1939). Wie dieser endete auch der kurze Bürgerkrieg in Österreich mit einer Niederlage. Aber er machte Tausenden AntifaschistInnen in ganz Europa wieder Mut nach der maßlosen Enttäuschung darüber, dass es der SPD, der größten sozialdemokratischen Partei der Welt, und der KPD, der größten kommunistischen Partei außerhalb der Sowjetunion, nicht gelungen war, den Machtantritt Hitlers und die Aufrichtung einer faschistischen Diktatur in Deutschland zu verhindern.

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