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Marx: Verfechter von Commons und Degrowth? Passend zu den wachsenden weltweiten Klimakatastrophen hat Kohei Saito, ein junger japanischer Philosoph, in einem Bestseller eine Neuinterpretation der Marxschen Theorie vorgelegt, die viele Diskussionen auslöste. Anhand des wissenschaftlichen Werdegangs von Marx trug er Belege dafür zusammen, dass Marx als Gegenmodell zum Kapitalismus in seinen späten Jahren Ansätze verfolgt hat, die man heute in der Tradition der Commons und von Degrowth verorten würde. Von Peter Fleissner Marx erfindet sich neu Aus heutiger Sicht kritisiert Saito die ersten Hauptwerke des Marxismus als linear, eurozentristisch und produkti vistisch. Aber er bleibt dabei nicht stehen, sondern verfolgt das Denken von Marx weiter zu Positionen von Commons und einer stationären Wirtschaft bzw. Degrowth. An seinem Alterswerk schätzte Saito die Unterstützung eines nicht kapitalistischen Weges durch egalitäre und nachhaltige Gesellschaften der dritten Welt. Nach Saitos Analyse entwickelten sich Marx’ ursprüngliche Ausfassungen vom Produktivismus im Lauf seines Lebens wesentlich weiter. Saito findet Indizien für den theoretischen Wandel des späten Marx, der »das unvollendete ›Kapital‹ als Theorie des Degrowth-Kommunismus« weitergeführt hätte. Eurozentristische Anfänge Marx selbst hat seine Analyse der Gesellschaft aus der Sicht einer linearen Geschichtsauffassung begonnen und sah zunächst den Kapitalismus als notwendiges Durchgangsstadium, bevor eine sozialistische Gesellschaft erreicht werden…
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Die KPÖ war die erste Partei, die sich nach 1945 für die Neutralität Österreichs einsetzte. Von Manfred Mugrauer Das Eintreten für den Staatsvertrag war eine Konstante der KPÖ-Politik im Besatzungsjahrzehnt. Bereits ab 1945 forderte die Partei den sofortigen Abzug aller Besatzungstruppen und die Wiederherstellung der vollen Souveränität Österreichs. Ab Jahresbeginn 1950, als sich eine weitere Verschleppung der Staatsvertragsverhandlungen abzeichnete und diese in den folgenden Jahren wegen der Verschärfungen des Kalten Krieges weitgehend stilllagen, wurde die Neutralitätslosung zum wichtigsten Element der kommunistischen Staatsvertragspropaganda. Die KPÖ war damit die erste Parlamentspartei, die für die Neutralität eintrat, um die volle Unabhängigkeit des Landes wiederzuerlangen. Keine Teilnahme an Militärbündnissen Als Haupthindernis für den Abschluss des Staatsvertrags galt aus Sicht der KPÖ die einseitige Westorientierung der österreichischen Regierung. Gegenüber der proamerikanischen Haltung von ÖVP und SPÖ verlangte die KPÖ Neutralität in außenpolitischer Hinsicht, ein Heraushalten Österreichs aus allen Militärbündnissen sowie aus dem Kalten Krieg. Im Nationalrat brachten die kommunistischen Abgeordneten im Frühjahr 1950 wiederholt Anfragen und Entschließungsanträge ein, in denen die Verschleppung des Staatsvertrags und die Fortdauer des Besatzungsregimes kritisiert wurden. Diese Initiativen wurden von den anderen Parteien stets abgelehnt. Die »absolute Neutralität nach beiden Seiten hin« war in den frühen 1950er Jahren auch eine…
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Michael Graber verfolgte den Wahlkampf in Salzburg In der letzten Ausgabe der Volksstimme berichteten wir über die bemerkenswerte Tatsache, dass die Liste KPÖplus mit dem Salzburger Gemeinderat Kay-Michael Dankl an der Spitze erstmals seit den 70er Jahren in allen sechs Wahlkreisen für die Landtagswahl in Salzburg antreten konnte und die Zahl der gesammelten Unterstützungserklärungen bei weitem die Stimmenzahl der KPÖ bei der letzten Landtagswahl übertraf. Seither hatte sich das Standing von KPÖplus in der öffentlichen Wahrnehmung im Wahlkampf weiter verbessert. Haslauer oder KPÖplus Klar, dass angesichts dieser, für die österreichische Innenpolitik kleinen, für die KPÖ aber möglicherweise große Sensation, die Nervosität bei den anderen Parteien spürbar zunahm. Fiel doch das übliche Argument gegen die KPÖ, eine Stimme für ihre Liste sei eine verlorene Stimme, einfach weg. Es mussten andere Argumente her. Die SPÖ etwa warnte vor einer Stimmabgabe für KPÖplus, dies sei eine Stimme für Schwarz-Blau. KPÖplus antwortete mit einem Plakat mit der Warnung vor hohen Wohnkosten. Die Neos, die in der Landesregierung saßen und in den Umfragen hinter KPÖplus zurückgefallen waren, beschwerten sich, die KPÖ rede nur viel, die Neos hätten in der Wohnungspolitik mehr umgesetzt als die KPÖ in Graz. Das Thema war ein Kernthema des Wahlkampfs in…
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(Dis)harmonische Reflexionen von Klemens Herzog und Leonore Beranek An einer verglasten Fassade eines Hochhauses in der Wiener Leopoldstadt prangt in großen gelben Lettern der Schriftzug »EVERYBODY SHOULD LIKE EVERYBODY«. Jeder soll jeden mögen. Tausende Menschen passieren jeden Tag diese Botschaft. Und dennoch leben wir in einer Gesellschaft voller Abneigung, Missgunst und Gewalt. Bemerkenswert, oder? Wo wir doch von klein auf zu hören bekommen: »seids lieb zueinander«. Die (groß-)elterliche Spielart eines Verses aus dem Johannes-Evangelium: »An eurer Liebe zueinander wird jeder erkennen, dass ihr meine Jünger seid.« Das erinnert mich an jene Zeit, als ich noch gebetet habe. Das war so Mitte der Neunziger und ich ein Kind. Jeden Sonntag war ich mit in der Kirche. Wie das mit dem Beten geht, war mir also bekannt: Den lieben Gott anrufen. Dabei die Hände zusammen. Und ihn um etwas bitten. Eine andere Routine in meiner Familie war die Zeit im Bild. Die lief jeden Abend, Josef Broukal hat moderiert. Damals wie heute waren die Nachrichten nicht immer schön anzusehen. Vor allem für ein Kind. Wenn es besonders schlimm war, dann habe ich im Dunkeln, beim Einschlafen, gebetet. Für den Frieden, dass es keinen Krieg gibt, dass niemand hungern muss. Dass alle alle…
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Danai Koltsida plädiert für einen Politikansatz der Menschlichkeit und der Gefühle »Ruf mich an, wenn du ankommst.« Dies sind die Worte einer Mutter, kurz bevor wir die Haustür hinter uns schließen. Es ist die Botschaft der besten Freundin, wenn wir uns nach einer Nacht trennen. Seit jener schrecklichen Nacht des 28. Februar, als sich das katastrophale Zugunglück im griechischen Tembi ereignete, sind sie zu einem wichtigen Slogan geworden. Sie sind auf Straßen und Mauern zu lesen, wurden auf selbstgebastelte Plakate geschrieben, wurden zu Aufklebern an Schultaschen und auf Schulhöfen angebracht. Ein so einfacher und vertrauter Satz wurde zum mächtigsten Slogan, zum Motto eines der Höhepunkte der sozialen Mobilisierung der letzten Jahre in Griechenland, die sich dadurch auszeichnet, dass überwiegend junge Menschen daran teilnehmen. Wie konnte ein Satz, der voller Sorge und Zärtlichkeit ist, aber keine Klage, keine Forderung, kein Versprechen, keine Analyse enthält, so prägnant und besser als jeder andere ausdrücken, was so viele Menschen, die die Straßen und Plätze füllen, fühlen? Und, was noch wichtiger ist, ist es eine Ausnahme? War es die Art des Ereignisses – der tragische Unfall in Tempi –, die dem öffentlichen Raum und dem politischen Diskurs so entscheidend Emotionen aufzwang? Das »Zeitalter des Geschlagenwerdens«…