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Atomwaffen abschaffen! Foto: Gerhard Kofler

Atomwaffen abschaffen!

von

Gerhard Kofler und Peter Fleissner über die Sehnsucht nach einer sicheren Welt

Wir leben in einer verrückten Welt. Für Katzenfotos gibt es Millionen Likes, zu einem Konzert der Rolling Stones kommen 50.000 Fans, aber nur wenig Interesse scheint es für die Erhaltung des Friedens zu geben. Nur ganz Wenige treten aktiv für einen sofortigen Waffenstillstand und einen Verhandlungsfrieden zwischen Russland und der Ukraine ein. Auf den unerwarteten Angriff Russlands folgen viele lieber einer kampfbereiten und waffenstarrenden Verteidigungsrhetorik. Wenn die Vernunft nicht die Oberhand behält, könnte sich die Situation zu einem Atomkrieg ausweiten.

Generelles Verbot von Atomwaffen

Um einer solchen Eskalation längerfristig und nachhaltig zu begegnen, wurden auf der Ebene des Völkerrechts grundlegende neue Möglichkeiten entwickelt, die langfristig mehr Sicherheit versprechen als alle Aufrüstungsversuche zusammengenommen. Die Rede ist vom Atomwaffenverbotsvertrag (TPNW – Treaty on the Prohibition of Nuclear Weapons – Nuclear Ban Treaty). Mit der Verabschiedung dieses Vertrags am 7. Juli 2017 hat die UN-Generalversammlung den Grundstein für eine atomwaffenfreie Zukunft gelegt. Nach seiner Ratifizierung durch das 50. Mitglied trat der TPNW am 22. Jänner 2021 in Kraft. Bis Juni 2022 haben 86 Staaten den TPNW unterschrieben. 66 Staaten ratifizierten ihn, allerdings war kein einziger der neun Atomwaffenstaaten noch ein NATO-Staat darunter. Auch wenn militärische Auseinander setzungen mit konventionellen Waffen schrecklich genug sind, stellt ein nuk learer Krieg eine rote Linie dar, die unter keinen Umständen überschritten werden darf.

Zunehmende Kriegsrhetorik

Es geschieht das exakte Gegenteil: Die Kriegsrhetorik nimmt überhand und unsere Massenmedien verbreiten und verstärken die damit verbundenen Aggressionen auf allen Seiten. Schwarz-weiß dominiert, die Grautöne scheinen verschwunden. Bisher lässt sich kein Ende des Ukraine krieges absehen. Eine politische Lösung der Auseinandersetzung ist immer noch unvorstellbar. Die globalen Spieler der Weltpolitik unterstützen de facto das militärische Kräftemessen.

In den letzten Jahren hat man sich in der EU daran gewöhnt, dass Konflikte friedlich entschärft werden können. Der Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine unterbricht diese Entwicklung mit einem Schlag. Russland hat wahrscheinlich in nationalistischer Selbstüberschätzung und menschenfeindlicher Abwertung des früheren Bruderlandes einen raschen Sieg und eine schnelle Einverleibung der Ukraine erwartet und auf die russisch sprachigen Bevölkerungsteile als mögliche Verbündete gesetzt. Tatsächlich gelang es den westlichen Politiker: innen und Medien in Europa, Russland zum Paria zu erklären und ihm alle nur erdenklichen Grausamkeiten und terroristische Akte zuzuschreiben. Im Gegensatz zu den Erwartungen Putins haben unter dem Einfluss des Krieges bisher neutrale Staaten wie Schweden und Finnland Anträge auf Mitgliedschaft bei der NATO gestellt. Die EU fand zu einer bisher noch nie gesehenen Einigkeit in der Verabschiedung der historisch größten Sanktionen gegen Russland. Die Aufrüstung des Westens hat ungeahnte Ausmaße angenommen. 100 Milliarden Euro als zusätzliches »Sondervermögen« für die deutsche Bundeswehr sind nur die Spitze des Eisbergs eines generellen Trends und werden in den folgenden Jahren weitere Ausgaben bewirken. Immer mehr Truppen werden an der Ostgrenze zu Russland stationiert, denen entsprechende Maßnahmen auf russischer Seite folgen.

Mininukes

Die NATO nützt die Angst der Anrainerstaaten Russlands vor einer Verschiebung der Grenzen auf westliches Territorium und spricht bei einem Zerstörungspotential von weniger als fünftausend Tonnen TNT von Nuklearwaffen »geringer Sprengkraft«. Im US-Waffenarsenal gibt es bereits fünf verschiedene Modifikationen der B-61-Bomben, die als Mininukes einsetzbar sind. Ihre Sprengkraft der Waffen ist nach oben hin variabel, überschreitet also problemlos die Einschränkung der Kampfkraft von Mini nukes. Das Modell B-61-3 besitzt etwa mit 170 Kilotonnen TNT eine Zerstörungskraft, die das 13-fache der Hiroshima-Bombe übersteigt. Mininukes setzen die Schwelle für den Einsatz von Atomwaffen gefährlich herab und erhöhen die Wahrscheinlichkeit ihrer Anwendung in einer militärischen Auseinandersetzung. Die USA wären dabei fein heraus: Der Einsatz der Mininukes beträfe vorwiegend Länder in Europa.

In eine solche Richtung kann der Ukraine krieg führen. Russland will Nuklear waffen zwar »ausschließlich als Mittel der Abschreckung« verstanden wissen. Aber unter bestimmten Bedingungen sieht die russische Militärdoktrin dann doch den Einsatz von Atomwaffen vor, etwa wenn Feinde Russlands Atomwaffen oder andere Arten von Massenvernichtungs waffen auf russischem Territorium und/ oder seiner Verbündeten einsetzen würden, wenn Russland mit ballistischen Raketen angegriffen werden sollte, wenn kritische Regierungs- oder Militärstandorte angegriffen werden oder wenn Russland einer existentiellen Bedrohung ausgesetzt wäre (dies gilt auch für einen Angriff mit konventionellen Waffen).

Atomwaffenverbotsvertrag – ein Jahr jung

Gegen das Heraufziehen einer Stimmung, die einen Atomkrieg für machbar hält, ist das völkerrechtlich verbindliche Verbot von Nuklearwaffen ein wichtiger und vielversprechender Schritt. Im Juni diesen Jahres fand in Wien die erste von den Vereinten Nation einberufene Staatenkonferenz »First Meeting of States Parties« (1MSP) nach der Erreichung der Rechtswirksamkeit des Vertrags über das Verbot von Kernwaffen statt. Den Vorsitz hatte der österreichische Diplomat Alexander Kmentt, der sich schon seit vielen Jahren für das Zustandekommen des Nuclear Ban Vertrags einsetzte, unterstützt von ICAN (International Campaign to Abolish Nuclear Weapons), eines seit 2013 auch in Österreich tätigen Zusammenschlusses von 460 Organisationen in über 100 Ländern, der 2017 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet wurde.

Von der österreichischen Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt gab es vom 18. bis zum 23. Juni in Wien eine Folge von Begleitveranstaltungen zur Unterstützung des Verbotsvertrags: ICAN organisierte das zweitägige Nuclear Ban Forum mit starker internationaler (online) Beteiligung, die Mitglieder von AbFaNG, dem österreichischen Aktionsbündnis für Frieden, aktive Neutralität und Gewaltfreiheit, hielten im größten Saal des Österreichischen Gewerkschaftsbundes in Wien eine NGO-Konferenz ab. Schließlich lud das Außenministerium zur vierten »Vienna Conference on the Humanitarian Impact of Nuclear Weapons« ein. Den Höhepunkt der Woche bildete die erste von den Vereinten Nationen einberufene Staatenkonferenz 1MSP, an der 65 TPNW-Vertragsstaaten und weitere Staaten als Beobachter:innen, unter ihnen erstmals NATO-Staaten wie Deutschland oder die Niederlande, teilnahmen. Die Vertragsstaaten verdeutlichten mit ihrem Engagement eindrucksvoll, dass sie die Renaissance eines nuklearen Wettrüstens strikt ablehnen.

NGOs für den Frieden

Das noch junge österreichische Aktionsbündnis AbFaNG knüpft an die Friedensbewegung in Österreich an, um die es in den letzten Jahrzehnten relativ still geworden ist. Das war im vergangenen Jahrhundert anders: 1955 bis 1975 richteten sich die Proteste gegen den Vietnamkrieg, später gegen die atomare Aufrüstung der Großmächte. 1982 kommt es unter dem Motto »Den Atomkrieg verhindern! Abrüsten!« mit rund 70.000 Teilnehmer: innen zur bis dahin größten Friedenskundgebung der Zweiten Republik. Zum Jahrestag der Atombombenabwürfe über Hiroshima und Nagasaki gibt es bis heute Friedenskundgebungen unter Teilnahme von partei- und kirchennahen Organisationen und Jugendverbänden. In der Tradition der Ostermärsche hat AbFaNG am Ostermontag zu einer Kundgebung für ein sofor tiges Ende des Krieges in der Ukraine eingeladen, der von der russisch-orthodoxen über die ukrainisch-orthodoxe Kirche bis zum Stephansdom führte.

Aus Anlass der Staatenkonferenz 1MSP verfolgten mehr als 160 Teilnehmer:innen live und online die von AbFaNG, dem IPB (International Peace Bureau) und WILPF (Women’s International League for Peace and Freedom) organisierte internationale Konferenz »Give Peace a Chance! – Gemeinsam für Frieden, Umwelt- & Klimaschutz! – Atomwaffen abschaffen!« in Wien. Namhafte internationale Vortragende und ein breit besetztes Podium aus österreichischen und internationalen Wissenschaftler:innen und Aktivist:innen informierten über die Zusammenhänge von Friedens-, Umwelt- und Klimakrise, die Gefahren der Atomwaffen und über ihren Einsatz für den Frieden. In einer Begleitausstellung gaben 16 zivilgesellschaftliche Organisationen – die meisten von ihnen AbFaNG-Bündnispartner:innen – Einblick in ihr Wirken für Frieden und Menschrechte sowie für den Schutz von Umwelt und Klima. Hier sollen nur zwei Meinungen aus dem vielstimmigen Chor der Redner:innen zitiert werden. Philip Jennings, früherer Generalsekretär der globalen Gewerkschaft UNI Global Union, die 20 Millionen Beschäftigte in den Dienstleistungssektoren von 150 Ländern vertritt, rief die globalen Gewerkschaften, die Friedensbewegung und die Klimaaktivist:innen auf, eine neue starke Koalition für den Wandel zu bilden. Die Welt sei derzeit durch Atomkrieg, Klimawandel und Pandemien bedroht, und durch einen giftigen Cocktail aus Ungleichheit, Extremismus, Nationalismus, geschlechtsspezifischer Gewalt und einen schrumpfenden demokratischen Raum. Die österreichische Umweltmeteorologin und Klimaaktivistin Helga Kromp-Kolb stimmte der Notwendigkeit der Zusammenarbeit zu, um eine gemeinsame Nachhaltigkeit von Ökologie und Sozialem zu ermöglichen: »Das derzeitige Wirtschaftssystem ist nicht grundlegend für das Zusammenleben der Menschen. Friede hingegen schon.«

Auf der Website von AbFaNG kann ein detaillierter Bericht über die Konferenz mit allen Videos der Reden und Statements nachgesehen werden (http://abfang.org/).

Es ist wirklich ärgerlich, dass Meldungen über die erste Staatenkonferenz zum Atomwaffenverbotsvertrag in Wien in den österreichischen Medien kaum zu finden waren, obwohl sie unserer Meinung nach ein wegweisendes Ereignis im besten Sinne darstellt. Jede Art von Unterstützung, die Bemühungen der Zivilgesellschaft für den Frieden zu stärken, hilft.

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Gerhard Kofler ist Elektroniker, absolvierte den waffenlosen Wehrdienst, war 6 Jahre in der Entwicklungszusammenarbeit und als B2B-Agenturleiter tätig. Jetzt ist er in der Freiwilligenarbeit und Aktivist bei Volkshilfe, FriedensAttac und AbFaNG.

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Gelesen 1616 mal Letzte Änderung am Freitag, 02 September 2022 12:33
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