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Trotz der 2.000 Seiten – eine einseitige Geschichte

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175 Jahre Österreichische Akademie der Wissenschaften, Peter Fleissner bespricht die drei Jubiläumsbände

Die Österreichische Akademie der Wissenschaften (ÖAW) ist eine traditionsreiche Gelehrtengesellschaft. Im internationalen Vergleich eher als ein Spätling im Vormärz 1947 von Kaiser Ferdinand I. mit 40 (männlichen) Mitgliedern gegründet, wurde sie heuer 175 Jahre alt. Die Akademie sollte als Ventil für die liberalen und weltlichen Strömungen in den Kronländern der Monarchie dienen, da an den Universitäten der konservative Geist des Katholizismu herrschte. Ihre Mitglieder gehören zwei Klassen an, der mathematisch-naturwissenschaftlichen und der philosophisch-historischen Klasse. Die Theologie war und blieb aus dem Fächerkanon ausgeschlossen. Unter den ersten Mitgliedern der Akademie waren revolutionäre Gesellen, die u. a. im ersten Gebäude der Akademie, im Polytech-nischen Institut (heute die Technische Universität am Karlsplatz), in den Keller räumen Schießbaumwolle für die 1848-Revolution erzeugten. Sie wurden bald wieder aus der Akademie ausgeschlossen, angeblich weniger wegen ihrer revolutionären Gesinnung als vielmehr, weil ihr Sprengstoff nicht zündete.

Heute hat die ÖAW die Größe eines Mittelbetriebes mit beinahe 200 wirklichen Mitgliedern und rund 1.000 wissenschaftlichen und nicht-wissenschaftlichen Mitarbeiter*innen. Sie ist die größte Forschungseinrichtung Österreichs außerhalb der Universitäten und besitzt in wissenschaftlichen Streitfragen eine Schiedsrichterrolle. Zu ihrem Jubiläum legt sie der Öffentlichkeit auf 2.000 Seiten in drei opulenten Bänden, herausgegeben vom hauseigenen Verlag, ihre Geschichte vor, in der sie von Glanzzeiten und Zeiten der Krise berichtet und auch die dunklen Jahre der NS-Zeit im Kontext der Akademien des Dritten Reiches nicht ausklammert. Positiv schlägt zu Buche: 69 Mitglieder haben den Nobelpreis erhalten.

Seit ihrer Gründung werden neue Mitglieder auf Vorschlag der bisherigen zugewählt. Diese institutionelle Verfassung und die frauenfeindliche Grundhaltung in der Wissenschaft erklärt, dass es mehr als hundert Jahre dauerte, bis das erste weibliche Mitglied 1963 in die Akademie aufgenommen wurde. Mittlerweile gibt es rund 30 Frauen.

Aber auch nach der Jahrtausendwende gibt es ein Echo aus längst vergangen geglaubten Zeiten: Die international renommierte Molekularbiologin Renée Schroeder und der Ökonom Gunther Tichy traten 2012 unter Protest aus der ÖAW aus. Renée Schröder, die selbst erst 2003 als zweite Frau Mitglied der ÖAW geworden war, begründete ihren Schritt wie folgt: »Aus Solidarität mit jenen exzellenten Wis-senschaftlerInnen, denen es wegen ihres kulturellen Hintergrundes oder ihrer politischen Einstellung nicht möglich ist, Mitglied dieser Gesellschaft zu werden, lege ich meine Mitgliedschaft zurück.« Der Hintergrund war, dass die Sprachforscherin Ruth Wodak, die bereits korrespondierendes Mitglied war (korrespondierende Mitglieder können – nach einem Scherz, der in der ÖAW kursiert – zum Unterschied zu den wirklichen Mitgliedern Lesen und Schreiben), nicht zum wirklichen Mitglied gewählt wurde und danach die Akademie verließ.

Verjüngungskuren

Das Durchschnittsalter der Mitglieder ist permanent angestiegen, derzeit liegt es bei 75 Jahren. Ein statistischer Trick ermöglichte ab 1971 eine formale Verjüngungskur. Mitglieder über 70 werden nicht mehr mitgezählt.

Seit 2007 wurde eine institutionelle Neuerung eingeführt, die früher ganz undenkbar war: Die Junge Akademie (damals: Junge Kurie) wurde gegründet. Aus dem Kreis von Nachwuchs-Wissen-schaftler*innen wurden 70 Personen in die Junge Akademie gewählt, allerdings habe sie laut Betriebsrat »keinen Sitz im Präsidium (der ihr bei der Gründung versprochen worden war) und […] kein Wahlrecht bei den wirklichen Mitgliedern, was die wesentlichen Mitspracherechte der ÖAW sind.«

Betriebsrat verschwiegen

Auch wenn ein unvoreingenommenes Team von Forscher*innen die Texte zur jüngsten Akademiegeschichte verfasst hat, spiegeln sich doch in der Auswahl und Betonung der Inhalte die herrschenden Tendenzen in den Leitungsorganen der Akademie wider. Ich selbst hatte ab 1970 zwanzig Jahre lang Gelegenheit, die Entwicklung der Akademie von innen mitzuerleben. Ich setzte mich gemeinsam mit einer parteiunabhängigen Liste erfolgreich für die Gründung eines Betriebsrates ein, war später selbst Betriebsrat und eine Zeit lang Betriebsratsvorsitzender. Damals herrschten nicht nur paternalistische und ziemlich konservative Leitungspersonen, auch der Ungeist des Nationalsozialismus war noch nicht ganz verschwunden. Dennoch konnten wir eine Betriebsvereinbarung abschließen und mehrere Arbeitsgerichtsprozesse gewinnen, die der Akademie einiges Geld kosteten. Aber die Revanche ließ nicht lange auf sich warten. Ich denke, ich war einer der wenigen unter den Angestellten der Akademie, der in 15 Jahren keine außertourliche Gehaltserhöhung erhalten hatte. Darüber hinaus wurde meine Ernennung für die Position eines Institutsdirektors durch General sekretär Werner Welzig verhindert, der mir unter vier Augen sagte: »Ein Marxist wird bei mir in der Akademie nix!«

Es ist schon seltsam, dass in der neuen historischen Selbstdarstellung der Betriebsrat der Akademie keine Erwähnung findet, obwohl die ÖAW laut eigener Homepage »als Österreichs führende außeruni-versitäre Institution für Wissenschaft und Forschung für gesellschaftlichen Diskurs« steht. Der Betriebsrat äußerte sich aus Anlass der Feierlichkeiten um das 175-Jahr Jubiläum, das mit umfangreichen und eindrucksvollen Renovierungsarbeiten im Zentrum Wiens verbunden war: »Die Arbeitsplatzsituation zahlreicher Mitarbeiter*innen hat sich … durch die Übersiedlungen und Umbauten verschlechtert: Die Büroräume sind so dicht belegt, dass konzentriertes Arbeiten erschwert wird. Auch gibt es zu wenig Platz für Bücher und anderes Arbeitsmaterial. Labore und Werkstätten verfügen über kein natürliches Licht. Bibliothek und Tiefspeicher sind nicht über einen durchgehenden Lift verbunden, Bücher und Archivalien können daher nur über Umwege in den Lesesaal gebracht werden. Für – auch in Zeiten der Digitalisierung – notwendige Zuwächse in Bibliothek und Archiv ist platzmäßig nicht vorgesorgt. […] Es ist unklar, wie sich die ÖAW in diesen Räumlichkeiten weiter entwickeln kann, die bereits jetzt kaum ausreichend Platz für das derzeit beschäftigte Personal bieten. Dies erschwert die unbedingt notwendige und immer wieder geforderte Einwerbung von Drittmitteln und macht die Akademie für exzellente Forscher*innen weniger attraktiv.«

Man kann nur hoffen, dass mit dem designierten Präsidenten, dem ehemaligen Bildungs-, Wissenschafts- und Forschungsminister Heinz Fassmann, in die ÖAW ein für gesellschaftliche Fragen offeneres Klima einzieht. Er sollte wissen, was er tut. Schließlich war er im Lauf seiner Karriere viele Jahre an der Akademie angestellt.

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Gelesen 2058 mal Letzte Änderung am Mittwoch, 13 Juli 2022 14:30

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