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Ein neues Almosensystem

von

Warum die Regierung ein Sozialhilfegesetz vorlegt, statt Mindestsicherung und BürgerInnenrechte zu garantieren.

HEIDE HAMMER sprach mit MICHAELA MOSER (Armutskonferenz) und ANNA SCHIFF (Sichtbar Werden Wien).

In der Plattform »Sichtbar Werden« der Armutskonferenz sind seit 2006 verschie­dene Selbstorganisationen und Initiativen von Menschen mit Armuts- und Ausgren­zungserfahrungen vernetzt. Sie treten als Menschen mit wenig Einkommen für Parti­zipation in politischen Entscheidungspro­zessen, die sie direkt betreffen, ein. Es geht um Einbindung, Mitsprache und Mitgestal­tung in allen Bereichen: auf dem AMS oder im Sozialamt und Gesundheitssystem, aber auch im Kulturbereich, in der Bildung, in Mobilitätsfragen und ganz generell bei politischen Entscheidungen.

Die Armutskonferenz ist seit 1995 mit dem Motto »Es ist genug für alle da« als Netzwerk von mittlerweile über 40 sozialen Organisationen sowie Bildungs- und For­schungseinrichtungen aktiv. Sie themati­siert Hintergründe und Ursachen, Daten und Fakten, Strategien und Maßnahmen gegen Armut und soziale Ausgrenzung in Österreich. Gemeinsam mit Armutsbetrof­fenen engagiert sie sich für eine Verbesse­rung von deren Lebenssituation.

Seit Bekanntwerden des Entwurfs der Bundesregierung zum »Sozialhilfe Grundsatzgesetz« gibt es zahlreiche Ein­wände gegen diese Almosengesetzge­bung. Allein von Mitgliedsorganisationen und ExpertInnen der Armutskonfe­renz liegen 32 qualifizierte Stellungnah­men gegen den Entwurf vor. Was ist euch dabei besonders wichtig?

MICHAELA MOSER: Als Armutskonfe­renz sehen wir einerseits Existenzsiche­rung, aber auch die Wahrung von Chancen zur wirklichen Teilhabe am gesellschaftli­chen Leben als zentrale Anforderungen an Sozialleistungen. Wenn Mindestsicherungs-BezieherInnen das Mindeste genommen wird, hat das nichts mit einem sogenannten Anreizsystem zu tun, sondern es geht um Verunsicherung und die bewusste Herbei­führung von Not und Armut. Ganz speziell geht es auch um Spaltung, also darum, Betroffene gegeneinander aufzubringen und auszuspielen. Verpackt wird das alles in einem Sicherheitsdiskurs, der aber natürlich die zentralen Aspekte ökonomi­scher Sicherheit weitgehend ausblendet. Zugleich ist die neue Sozialhilfe als »Almo­sensystem« angelegt und von einem Ver­ständnis sozialer Rechte mit den entspre­chenden Möglichkeiten, diese auch einzu­klagen, weiter entfernt denn je. Von den Kürzungen betroffen sind letztlich nicht nur geflüchtete Menschen und MigrantIn­nen, wie oft suggeriert wird, sondern auch viele andere. Treffen tut es alle sehr schwer, weil ohnehin schon die bisherigen Beträge für ein würdiges Leben nicht aus­reichten.

ANNA SCHIFF: Von den knapp 308.000 MindestsicherungsbezieherInnen sind 35,2% Kinder. 70,5% sind AufstockerInnen, darunter auch ich. Trotz meiner langjähri­gen Tätigkeit als Restauratorin verdiene ich in Teilzeitbeschäftigung so wenig, dass mir weitere Transferleistungen zustehen. Als AlleinerzieherIn steht man immer wieder vor denselben Problemen, es geht um feh­lende Ressourcen. Es ist fast unmöglich, alles unter einen Hut zu bringen, konkret: Nehme ich mir Zeit für dieses Interview oder ist es wichtiger, mit meinem Sohn für die Englischschularbeit zu lernen? Wieviel Zeit kann ich mir für politisches Engage­ment nehmen?

Für viele gibt es ständig diese Entweder-oder-Entscheidungen, es wäre zwar genug für alle da, aber offenbar nicht für uns und unsere Kinder. Eine ausreichend große Wohnung und gutes Essen, beides geht sich für viele nicht aus. Oft dringend notwendige Therapien für Kinder, die von der Kranken­kasse nicht bezahlt werden, sind privat nicht leistbar. Armut macht krank. Als Erwachsene kann man auf vieles verzichten, für meine Kinder ist es mir besonders wichtig, dass sie ihren Neigungen uneingeschränkt nachkom­men können. Mein jüngster Sohn ist ein begeisterter und talentierter Fußballspieler, das darf und soll er auch im Verein tun, aber die Ausstattung dafür ist auf Willhaben nicht zu haben, und 13-jährige wachsen schnell. Die Talente der Kinder sind ebenso wie ein beson­derer Förderbedarf schwer finanzierbar, das ist zermürbend.

Was wurde durch die Mindestsicherung verbessert und wird durch den vorliegen­den Gesetzesentwurf zunichte gemacht?

ANNA SCHIFF: Grundsätzlich war es für mich eine deutliche Verbesserung, Amtswege online zu erledigen. Die e-card für alle war ebenso wichtig, damit etwa arbeitslose Perso­nen nicht länger bei jedem Arztbesuch allein mit ihrem Krankenschein stigmatisiert wer­den. Dennoch ist es auch im Modell Mindestsi­cherung so, dass der Kontrollwahn der Ämter und der halbjährliche bürokratische Aufwand zum Weinen sind. Für Wohnbeihilfe, Aus­gleichszulage, Kinderbeihilfe, Rezeptgebüh­renbefreiung bedarf es immer wieder dersel­ben Offenbarungen und Offenlegung der »Ver­mögensverhältnisse«. Das macht hilflos, wütend und überfordert – ständig muss ich auch daran denken, bloß nichts zu übersehen, keine Frist zu versäumen.

Nun plant die Regierung also bei den Ärms­ten der Gesellschaft zu sparen. Wer Deutsch nicht auf B1-Niveau kann (oder Englisch auf C1), bekommt 300 Euro weniger, die 863 Euro, die jetzt als Mindestsicherung gelten, liegen aber schon unter der Armutsgrenze. Und man ist fast versucht zu sagen, natürlich werden auch die Kinderzuschläge gekürzt. Für das erste Kind gibt es noch 216 Euro, für das zweite 130 und ab dem dritten Kind werden nur noch 43 Euro im Monat ausbezahlt. Dage­gen werden aber jene, die mindestens 1.700 Euro brutto monatlich verdienen, mit einem jährlichen Bonus von 1.500,– pro Kind belohnt. Die Umverteilung von Arm zu Reich ist offen­sichtlich.

MICHAELA MOSER: Für uns als Armuts­konferenz geht es immer auch um einen poli­tischen Kampf: Es geht um Grundrechte statt Almosen. Das bedeutet auch, die struk­turellen Gründe von Armut, allen voran die dramatische Ungleichverteilung von Res­sourcen, sichtbar zu machen und den Dis­kurs vom individuellen Versagen zu den Versäumnissen staatlicher Pflichten zu ver­schieben: Der Staat hat für alle seine Bür­ger*nnen zu sorgen, das gilt für vulnerable Personengruppen, etwa Menschen mit Behinderungen oder Kinder, ganz beson­ders.

Die Regierung plant, die alte Sozialhilfe wiedereinzuführen, und zwar schlimmer als zuvor. Besonders problematisch ist der Wegfall der Vorgabe, dass Entscheidungen am Amt maximal drei Monate dauern dür­fen. So wird Soforthilfe unmöglich und Ämterwillkür Tür und Tor geöffnet. Auch die Verpflichtung, schriftliche Bescheide auszustellen, ist gestrichen. Es gibt keine Mindeststandards mehr, sondern nach unten ungesicherte Kann-Leistungen. Die Leistungshöhen, das Wohnen, Hilfen für alleinerziehende Eltern und Menschen mit Beeinträchtigungen – all das sind »Kann«-Bestimmungen. Mit den bislang bekannten geplanten Beschneidung der Leistungen der Arbeitslosenversicherung (Arbeitslosengeld und Notstandshilfe) bedeutet das, dass stär­ker sozialstaatliche, statussichernde Leis­tungen in mehr »almosenhafte«, paternalis­tische Fürsorge überführt werden sollen.

Zuletzt hat die Aussage von Kanzler Sebastian Kurz über immer mehr Fami­lien in Wien, in denen in der Früh nur noch die Kinder aufstehen, um zur Schule zu gehen, für viele Reaktionen gesorgt. Die Wiener Stadtregierung will den Regierungsentwurf zur Sozialhilfe nicht umsetzen. Zum rassistischen Grundtenor kommt nun eine Haltung roher »Bürgerlichkeit« (Wilhelm Heit­meyer), die durchaus »im Dienste gesell­schaftlicher Eliten« steht. Was möchtet ihr denn den Regierenden, Nutznießer_innen und Mitläufer_innen ausrichten?

ANNA SCHIFF: Würde unser Bundes­kanzler jedem Menschen mit Respekt und Wertschätzung begegnen, wäre eine solche Aussage nicht möglich. Besonders Frauen gegenüber, die den Hauptteil der Sorgear­beit zuhause mit Kindern leisten, ist das ungeheuerlich.

MICHAELA MOSER: Dieses Bild ist zynisch, niederträchtig und falsch und so bewusst eingesetzt, um Menschen gegenei­nander und vor allem gegen die Schwächsten aufzubringen, dass jeder Versuch, die Regie­rung hier mit Fakten und Argumenten zu erreichen, derzeit eher sinnlos scheint.

Allen Menschen, die in diesem Leben arbei­ten, würde ich gern ausrichten: Lasst euch nicht blenden, lasst euch nicht spalten von solchen Bildern. Fallt nicht rein auf dieses billige Schema von den angeblich Faulen und den angeblich Fleißigen. Es stimmt nicht, dass Leistung belohnt wird – das zeigen die vielen unbezahlten Sorgetätigkeiten von vor allem Frauen, aber auch die hochlukrativen Spekulationen, wo nichts geleistet und viel verdient wird. Und es stimmt noch viel weni­ger, dass unser Wert als Menschen von so einem verzerrten Leistungsbegriff abhängig gemacht wird. Wichtig wäre zu erkennen, dass wir alle immer wieder auf Unterstüt­zung angewiesen sind und dass ein solidari­sches System, in dem wir die vorhandenen Reichtümer teilen, für alle besser ist.

Wäre ein bedingungsloses Grundeinkom­men eine schöne Alternative zu all dem bürokratischen und oft auch demütigen­den Antragswesen?

MICHAELA MOSER: In Kombination mit anderen Maßnahmen halte ich ein Grundein­kommen für eine wirkliche Alternative. Weil damit genau zum Ausdruck gebracht wird, dass jeder Mensch gleich viel wert ist, unab­hängig von Herkunft, sogenannter Leistung oder gar Besitzstand. Wichtig ist dabei, dass das Grundeinkommen mit der Sicherung guter sozialer Infrastruktur verbunden ist, sonst kann es auch zu einer »Abspeisung« von Menschen mit schlechtem Zugang zu Ressourcen und Chancen werden.

Und dass rund um die Frage »Wer bekommt’s?« nicht neue Ausgrenzungs- und Spaltungsmechanismen geschaffen werden.

ANNA SCHIFF: Ich stimme Michaela zu und möchte noch ergänzen, dass es auch eine Grundsicherung für Kinder geben muss. Die oben erwähnten Kürzungen für Kinder­zuschläge, also 43 Euro ab dem dritten Kind, sind wirklich nur zynisch und menschenver­achtend.

Gelesen 6226 mal Letzte Änderung am Mittwoch, 27 März 2019 12:37

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