Am 25. September wählten die Italiener*innen ein neues Parlament. Die nächste Regierung wird voraussichtlich von einem extrem rechten Block um die postfaschistische Giorgia Meloni gebildet werden. Eine Analyse von Julian Rossmann
Montag Morgen: Im Sitz der Grünen Partei in Bozen treffen allmählich die Kandidat*innen und Wahlkämpfer*innen ein. In der Regel wird die Auszählung bis spät abends live im Büro verfolgt, doch bei der Wahl zum italienischen Parlament ist alles ein wenig anders: Da die Wahllokale lang offen sind und die Auszählung komplizierter als normal ist, trudeln die ersten Ergebnisse meist erst am folgenden Morgen ein. Die Stimmung ist gemischt: Zum einen herrscht über das gute Abschneiden in der eigenen Region mit dem neuen Bündnis zwischen Grünen und Linken Freude (um die 8 % in Südtirol, landesweit 3,6 %), zum anderen macht sich Trübsal breit über die kommende Mitte-Rechts-Regierung, die deutlich mehr rechts als in der Mitte angesiedelt sein wird. Die Wahl von Abgeordnetenkammer und Senat bescherte der rechten Koalition aus Fratelli d’Italia, Forza Italia und Lega eine solide Mehrheit. Die drei Parteien werden wohl eine Regierung unter Führung der postfaschistischen Fratelli mit Giorgia Meloni an der Spitze eingehen. Doch wie kam es soweit?
Die politische Ausgangslage
Nach der Parlamentswahl im Jahr 2018 wurden die Karten neu gemischt: Der neue Player im politischen Feld, die Movimento 5 Stelle (M5S), war gekommen, um zu bleiben; so schien es jedenfalls. Die M5S, eine Bewegung um den Komiker Beppe Grillo, wurde 2013 in ihrer ersten Wahl mit über 25 Prozent knapp zur stärksten Kraft im Parlament. 2018 konnte die Bewegung ihren Vorsprung auf über 32 Prozent ausbauen, die Mitte-Links-Koalition um den Partito Democratico (PD) wurde nach über sechs Jahren an der Regierung auf die Oppositionsbank verdrängt. Für die junge Bewegung, die sich nur ungern Partei nennt, war es nun an der Zeit sich zu beweisen. In zwei verschiedenen Regierungskoalitionen versuchte die M5S das politische Schiff zu manövrieren. Auf kurze Koalitionsverhandlungen mit dem Erzfeind PD folgte eine Regierung mit der rechts populistischen Lega von Salvini unter Regierungspräsident Giuseppe Conte.
Die größten Würfe der Regierung aus Links- und Rechtspopulist*innen war die Einführung eines Bürger*innengelds (reddito di cittadinanza), das vor allem Menschen im Süden unterstützen sollte. Im Gegenzug dafür durfte Matteo Salvini, Chef der Lega, als Innenminister sogenannte Sicherheitsdekrete erlassen, die zivile Seenotrettung unter absurd hohe Strafen stellte. Als Salvini aufgrund guter Umfragewerte die Zusammenarbeit auflöste, raufte sich die M5S mit dem PD zusammen, um Neuwahlen zu verhindern. Im Laufe der Regierung kam es innerhalb des PD’s zu einer Abspaltung von Matteo Renzi und seinen Gefolgsleuten, was wenig später zum Scheitern einer Regierungszusammenarbeit führte.
Nachdem zwei Regierungen innerhalb dreier Jahre scheiterten, wurde der ehemalige Chef der Europäischen Zentralbank Mario Draghi vom Staatspräsidenten beauftragt, eine »Regierung der nationalen Einheit« zu schaffen und das Schiff in ruhiges Gewässer zu lenken. Draghis Job bestand dabei vor allem darin, die Gelder der europäischen »Aufbau- und Resilienzfazilität« (ARF) zu managen und zu verteilen. Die Einheitsregierung Draghis umfasste eine Beteiligung aller großen Parteien von links bis rechts, einzige Oppositionspartei bildete nun Fratelli d’Italia. Dadurch, dass die postfaschistische Partei als einzige nicht in der Regierung vertreten war, konnte sie sich als Anti-Establishment profilieren und enttäuschte Wähler*innen auffangen.
Wahlsystem und Wahlergebnis
Nach 1945 überstand nur eine Regierung die volle Legislaturperiode. Das Land war geprägt von instabilen politischen Verhältnissen und wechselnden Mehrheiten. Um diese Instabilität zu überwinden, wurde 2017 unter Führung des PD ein neues Wahlgesetz verabschiedet, welches klarere Verhältnisse im Parlament schaffen sollte: Das neue Wahlrecht, das so genannte Rosatellum bis, umfasst dabei eine Mischung aus Verhältnis- und Mehrheitswahlrecht. Zwei Drittel der Sitze werden im Verhältniswahlrecht verteilt, während ein Drittel der Sitze über Mehrheitswahlkreise zu gewinnen sind. Die Mehrheitswahlkreise bringen die Parteien dazu, sich vor der Wahl zu Koalitionen zusammen zuschließen.
Vor der Wahl im September schlossen sich die Parteien zu Bündnissen zusammen, vor allem, um die Mehrheitswahlkreise zu gewinnen. Während sich die Parteien der Mitte-Rechts-Koalition mit Lega, Forza Italia und Fratelli d’Italia relativ schnell einigen konnten, war die Bildung einer Mitte-Links-Koalition durchaus komplizierter. Angeführt vom PD versuchte man eine möglichst breite Koalition aufzustellen, mit dem Ziel, einen Sieg der Rechten zu verhindern. Der Versuch der Bildung einer breiten Front scheiterte eindrucksvoll aufgrund von Partikularinteressen. Zurück blieb ein geschwächter PD in einer Koalition mit der liberalen Partei +Europa und der neuen Allianz von Grünen und Linken (AVS). Daneben formierte sich der »dritte Pol«, ein liberales Bündnis von Carlo Calenda und Matteo Renzi, welches sich in der Mitte verortete und versuchte, sowohl der Linken als auch der Rechten Stimmen abzuknöpfen.
Die Wahl vom 25. September zeichnete sich durch eine große Leere aus: Die Wahlbeteiligung sank auf das niedrigste Niveau seit der Gründung der Republik. Während 2018 27 Prozent der Wähler*innen zu Hause blieben, enthielten sich dieses Mal über 16 Millionen Italiener*innen (36 %) der Stimme. Klare Wahlsiegerin wurde Giorgia Meloni, die mit ihrer Partei Fratelli d’Italia über 26 Prozent auf sich vereinen konnte. Ihre Partner Salvini und Berlusconi erreichten acht bzw. neun Prozent. Damit konnte das Rechtsbündnis 44 Prozent der Stimmen gewinnen und 80 Prozent der Mehrheitswahlkreise. In Kammer und Senat kommt es auf über 50 Prozent der Sitze. Besonders feiern kann dabei Meloni, die es schaffte, ihre Stimmen von 2018 um 400 Prozentpunkte zu steigern und knapp 7,3 Millionen Wähler*innen hinter sich zu vereinen.
Auch wenn die Hoffnung, die Wahl links der Mitte zu gewinnen, von Beginn an gering war, liegt die Linke nun am Boden. Der PD hat mit 18 Prozent eines seiner schlechtesten Ergebnisse eingefahren, zusammen kam die Mitte-Links-Koalition auf knapp 26 Prozent der Stimmen. Die Allianz von Grünen und Linken erreichte rund 3,6 Prozent. Die M5S kam auf gut 15 Prozent und Calenda und Renzi mit
Azione/Italia Viva auf 7,7 Prozent. Ganz links positionierte sich das Bündnis Unione Populare (Volksunion) mit dem Ex-Bürgermeister von Napoli, Luigi de Magistris, welches mit 1,5 Prozent klar den Einzug ins Parlament verfehlte. Das Vorbild dieses Bündnisses, das sich aus Rifondazione Comunista, Potere al Popolo und der Gruppe ManifestA sowie ehemaligen Parlamentarier*innen der 5-Sterne Bewegung bildete, war Jean-Luc Mèlenchons Neue ökologische und soziale Volksunion (NUPES), die die nun stärkste Oppositionskraft im französischen Parlament ist. Leider konnte Unione Populare nicht an den Erfolg von NUPES anknüpfen, vielleicht wegen der deutlich schmäleren Aufstellung, vielleicht weil das Bündnis Alleanza Verdi e Sinistra Ähnliches versuchte. Das neue Wahlrecht straft konkurrierende Allianzen des gleichen Lagers ab.
Was folgt nun?
Wer arm ist, wird mit großer Wahrscheinlichkeit noch ärmer werden. Die Reichen werden mit großer Wahrscheinlichkeit noch reicher. Das Wahlprogramm wartet sowohl mit liberalen als auch staatswirtschaftlichen Positionen auf; eine Kombination, die geeignet scheint, Korruptionsindizes nach oben zu treiben.
Italien ist die zweitgrößte Industrie nation der EU, lieferte in den letzten Jahren beständig Haushaltsüberschüsse und betrieb mehr Haushaltskonsolidierung als Deutschland. Seit 2012 wurden ständig mehr Güter exportiert als importiert: Italiener*innen konsumieren weniger als sie produzieren. Trotz positiver Wirtschaftskennzahlen profitierte die italienische Bevölkerung nicht davon: Italien ist das einzige Land der EU, in dem die Median-Reallöhne in den letzten 20 Jahren gesunken sind. Die staatlichen Pro-Kopf-Ausgaben für Sozialschutz und Gesundheit sind deutlich unter dem Niveau von Deutschland und Frankreich, und Italien ist eines der Länder, welche am wenigsten für Bildung ausgeben. Die Haushaltskonsolidierung ging mehrheitlich zu Lasten der arbeitenden Bevölkerung. Die neue Regierung wird aller Voraussicht nach von Giorgia Meloni und ihren Fratelli d’Italia geführt. Das Symbol ihrer Partei ist eine brennende Flamme in den Farben der italienischen Flagge, das Bezüge zum faschistischen Movimento Sociale Italiano und der Fiamma di Salò aufzeigt. Ihr Slogan ist eine Parole vieler Reaktionäre und Mussolinis: dio, patria e famiglia (Gott, Familie, Vaterland). Das werden wohl auch die Eckpfeiler der zukünftigen italienischen Gesellschaftspolitik sein.
Und was macht die Linke?
Diejenigen, die das Trümmerfeld im linken Lager wieder aufbauen wollen, sollten sich die Klassenzusammensetzung der Wähler* innen und der 16 Millionen Menschen, die nicht zur Wahl gegangen sind, vor Augen halten: Besonders bei Gering-und Normalverdiener*innen wird nur noch wenig links gewählt, wenn überhaupt gewählt wird. Die erste schwierige, aber dringliche Aufgabe besteht darin, eine mit den sozialen Bewegungen und Klasseninteressen verbundene Linke aufzubauen, die die pluralistische und vielgestaltige Arbeiter*innenklasse einfängt und ein glaubwürdiges, politisches Bild einer radikalen Transformation schafft.
Die schwierigste Herausforderung aber besteht, insbesondere angesichts einer Regierung, die von einer Postfaschistin angeführt wird, darin, den unterschiedlichen Formen von Hierarchisierung, Entfremdung und Spaltung entgegenzuwirken. Erreicht werden könnte das durch ein soziales Bündnis zwischen den Ausgebeuteten, zwischen den working poor, aber auch den vermeintlich Bessergestellten, das der diversifizierten Arbeiter*innenklasse Rechnung trägt. Jeder Tag einer rechten Regierung vertieft die Gräben innerhalb der Gesellschaft und verunmöglicht es, eine handlungsfähige Arbeiter*innenschaft herauszubilden, die gemeinsam für ein gutes Leben für alle* kämpft anstatt gegen sich selbst.