»Politiker sind sehr langweilige Menschen« Volksstimme Redaktion Foto: Bildausschnitt (c) G. Scarfe
25 Februar

»Politiker sind sehr langweilige Menschen«

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Im deutschsprachigen Raum zuvorderst wegen seiner Arbeiten für Pink Floyd bekannt, kennt man den Künstler Gerald Scarfe im englischen Sprachraum vor allem wegen seiner beißenden Karikaturen. Seine unverkennbaren Zeichnungen haben einen hohen Wiedererkennungswert und regen zunächst zum Lachen, hernach sofort zum Denken an. Zu seinen Motiven zählen Musiker und Künstler ebenso wie Politiker. Insbesondere letztere legt Scarfe schonungslos offen. Volksstimme-Redakteur Christian Kaserer hat mit ihm über seine Kunst, Pink Floyd, die Beatles und die Welt der Politik gesprochen.
Erweiterte Fassung des Interviews aus der Volksstimme No.1-2 Feber 2017

 

Volksstimme: Sie sind seit über 50 Jahren ein weltweit bekannter und geschätzter politischer Karikaturist. Wie kamen Sie dazu?
Gerald Scarfe: Mit 16, nachdem ich die Schule abgebrochen hatte, ging ich zu einem Studio für kommerzielle Kunst. Dabei ging es im Normalfall um ziemlich schlechte Produkte, die ich gut aussehen lassen sollte, damit sie in Kataloge passten. Recht schnell war ich von dieser Arbeit frustriert. Als Künstler wollte ich die Wahrheit über die Welt zeigen, hier allerdings musste ich die ganze Zeit Lügen verbreiten. Als dann das Satire-Magazin »Private Eye« startete, fing ich an zum Gegenteil zu wechseln: Anstatt Lügen, zeigte ich nun eine »Ultra-Wahrheit« über die Welt, wie ich sie sah. Seitdem bin ich also politischer Karikaturist. Für die Sunday Times zeichne ich ja seit über 50 Jahren. Aber natürlich gibt es da auch andere Dinge: Rock’n’Roll, Oper, Ballett, Animationen, Disney und so weiter. Dass ich diese anderen Sachen versucht habe umzusetzen, hat natürlich auch einen Grund. Politiker zu zeichnen ist sehr, sehr, sehr langweilig. Das sind wirklich langweilige Leute. Die »Bösen« zu zeichnen macht aber natürlich großen Spaß. Wobei mir ad hoc, gerade in Zeiten des Rechtsrucks, keine »guten« Politiker einfallen würden.

Wo wir gerade über den Rechtsruck sprechen: Woher kommt Ihrer Meinung nach dieser Rechtsruck und wie kann man dagegen halten?
Mein kleiner Anteil ist, dass ich meine Zeichnungen mache. Wobei mich Leute oft fragen ob ich denke, sie würden etwas ändern. Da muss ich klar Nein sagen. Tausende Menschen waren hier in London damals zum Beispiel auf den Straßen um gegen den Irak-Krieg zu protestieren: Gebracht hat es nichts. Ich denke also auch nicht, dass so ein kleiner Zeichner wie ich etwas ändern kann. Ich selbst kann nichts tun, aber ich denke, dass größere Bewegungen vielleicht etwas ändern können. Das sieht man ja leider auch in die falsche Richtung: Die ganzen Leute, die zurecht frustriert sind von der Politik, wenden sich von der EU ab und verursachen so etwas idiotisches wie den Brexit. Dass dahinter eine Abneigung gegen Migranten steht, ist vollkommen verrückt. Hier in Großbritannien besteht ein Großteil des Personals im Gesundheitssektor eben aus jenen Menschen, gegen die man wettert.


(c) Gerald Scarfe

Was halten Sie vom Brexit?
Ich habe mich unheimlich aufgeregt. Immerhin bin ich sehr dafür, dass die Welt immer weiter zusammenwächst. Ich war einer der »Remainer«, wie man die Leute hier nannte, die für den Verbleib in der EU waren. Den Brexit hielt ich für sehr unwahrscheinlich. Aber ich lebe ja auch in London. Über den Brexit war ich dann sehr beschämt. Das macht mich traurig, denn ich kann nicht mehr einfach so in Europa ohne Probleme reisen und mein Gefühl, dass wir Teil einer größeren Community wurden, ist nun auch weg.

Reagieren Politiker jemals auf Ihre Karikaturen?
Zumindest nicht öffentlich; dafür sind sie zu professionell. Die Leute, die sie unterstützen, schreiben mir jedoch ab und an. Wobei das auch an mir liegen kann: Ich versuche nicht ein Mal im selben Raum mit Politikern zu sein.

Sie haben auch Stars wie die Beatles gezeichnet. Wie haben die reagiert?
Ich habe die Beatles 1965 kennengelernt, als sie ihren Film Help! drehten. Das Time-Magazin sandte mich zu ihnen und ich verbrachte einige Zeit bei ihnen daheim in ihren Häusern. Ringo habe ich auf eine seiner Wände gemalt. Das hat er vermutlich schon überstreichen lassen, denn er wohnt ja inzwischen woanders. Die Beatles waren damals relativ neu und dass sie durch mich auf dem Time-Cover waren, dürfte sie sehr beeindruckt haben. Gerade damals hatte die Zeitschrift deutlich höheres Prestige als heute. John Lennon sagte einmal zu mir: »Du bist ein Zyniker wie ich, Gerald.« Wir haben uns alle sehr gut verstanden und sie haben meine Zeichnungen von ihnen auch signiert. Diese habe ich natürlich heute noch. Signierte Beatles-Zeichnungen – einfach toll!


(c) Gerald Scarfe

Sie sind bekannt für Ihre Zusammenarbeit mit Pink Floyd für ihr Album »The Wall« (1979). In Ihrem Buch zum Making-Of schreiben Sie, dass Sie die Band eines Tages trafen und Pink Floyd Ihnen eine Hand voll Alben überreichte. Wie kam es dazu?
Ich kannte Pink Floyd ja schon, war aber nie wirklich ein Fan. In einigen Clubs hatte ich sie halt gehört, aber es war nicht so meine Sache. Das war jedenfalls zu ihrer Anfangszeit, als sie noch in dieser Psychedelic-Bewegung waren. Als die dann einen Film von mir über Mickey Mouse auf einem Drogen-Trip im Programm der BBC sahen, waren sie fasziniert, kontaktieren mich und baten mich, zu einem ihrer Konzerte zu kommen, was mich dann total umwarf. Die Show zu »Dark Side Of The Moon« (1973) hatte sich mit den Flugzeugen, die über das Publikum flogen und explodierten, deutlich weiterentwickelt, wenn man es mit den bunten Flüssigkeiten vergleicht, die sie in den 1960er-Jahren an die Wand projiziert hatten. So kam es zur Zusammenarbeit zwischen mir und Pink Floyd. Wobei ich heute, wenn ich zurückblicke, eventuell anders arbeiten hätte sollen. Damals wollte ich surreale Dinge machen: Ein Mann, der sich in ein Blatt verwandelt oder ein Mann, der sich in einem Sandsturm auflöst. Philosophischer Müll. Heute denke ich, dass ich zu den politischen Texten von Pink Floyd auch politische Zeichnungen hätte machen sollen. Mit The Wall konnte ich das dann vielleicht auch ein bisschen, aber mit meinen Arbeiten zuvor eher nicht.

Gerade die Arbeiten zu The Wall sind ja bekannt und auf diversen DVD-Veröffentlichungen zu finden. Was passierte mit dem Material, das sie zuvor entwickelt hatten?
Die ganzen Zeichnungen, Animationen und Storyboards für die »In The Flesh«-Tour (1977) zum Beispiel habe ich immer noch. Prinzipiell werfe ich nie etwas von meinen Arbeiten weg und die Originale verkaufe ich im Regelfall auch nicht, wobei gerade einige Leute aus den USA mit mir darüber verhandeln wollen. Aber im Normalfall bewahre ich alles auf. So auch eine große Menge an Erinnerungsstücken wie zum Beispiel Flaggen von Pink Floyd oder Dinge aus dem »The Wall«-Film.


(c) Gerald Scarfe

Nach Ihrer Arbeit mit Pink Floyd haben Sie mit dem Bassisten und vormaligen Pink Floyd Mastermind Roger Waters auch Solo zusammengearbeitet. War diese Arbeit anders als mit der ganzen Band?
Mit Roger war ich schon sehr gut befreundet. Wir spielten Snooker zusammen, tranken Bier und verbrachten einen gemeinsamen Ski-Urlaub in den Alpen. Wir sahen uns also sowieso schon oft neben der Arbeit. Nachdem The Wall ein großer Erfolg wurde, bat er mich an seinem Solokonzept »Pros and Cons Of Hitchhiking« zu arbeiten. Hier war ich mir wirklich nicht sicher. Die Arbeit an The Wall war ausgesprochen energieraubend und ich wusste nicht, ob ich mir das noch ein Mal antun wollte. Natürlich habe ich es trotzdem getan und Grafiken und Animationen für die Tour entwickelt. Dabei haben wir den Hund »Reg« kreiert, der dauernd auf Drogen war. Aus dem Charakter hätten wir mehr machen können, aber das haben wir nicht, obwohl mich viele Leute darum baten, ein Buch aus ihm zu machen. »Reg« war die erste Hälfte meines Vornamens rückwärts, sowie die zweite Hälfte von Rogers Vornamen ebenfalls rückwärts. So kam der Name zustande.

Wurde die Tour wie bei The Wall aufgezeichnet?
Wir hatten den damals bekannten Regisseur Nick Roeg engagiert, damit er einige Parts für die Show filmt. Aber ich bin mir nicht mehr sicher, ob er damals auch Teile der Show oder vielleicht auch ein ganzes Konzert filmte.


(c) Gerald Scarfe

1973 haben Sie „Long Drawn Out Trip” gemacht – ein Film,, der Mickey Mouse auf einem Drogen-Trip zeigt. In den 1990er Jahren arbeiteten Sie dann mit Disney an „Herkules“. Wie kam das zustande?
Als ich mit Disney arbeitete, hatte ich mehrere Diskussionen mit den Zeichnern in einem Auditorium. Irgendwann zeigte ich ihnen meine Animation von Mickey Mouse und diese Leute waren vollkommen schockiert. Ihre heilige, saubere Figur hatte ich zu einem schmuddeligen Junkie gemacht. Oh mein Gott! Natürlich war es da schon zu spät, mich aus Herkules zu entfernen, wobei ich denke, dass sie das sowieso nicht gemacht hätten. Außerdem sind viele ihrer Zeichner selbst ausgesprochen anarchische Typen. Zu Disney gekommen bin ich durch meine Arbeit in den 1960er-Jahren in den USA. Damals musste ich viel mit Richard Nixon, Lyndon B. Johnson, Barry Goldwater und dem ausgesprochen netten Bobby Kennedy, mit dem ich kurz vor seiner Ermordung noch unterwegs war, reisen und lernte zwei Studenten in Chicago kennen, die später bei Disney arbeiten sollten. Nachdem sie einen großen Erfolg mit der »Meerjungfrau« erzielt hatten, konnten sie durchsetzen, dass ich als einziger Externer mit Disney arbeiten durfte. Sie waren große Fans von mir als sie noch studierten und brachten mich somit zu einem ihrer Projekte.

Was denken Sie über Donald Trump?
Oh Gott! [lacht] Wieder so eine Sache, wo ich dachte, dass das nie passieren könnte. Einer meiner ersten Cartoons von ihm sah so aus, dass ich ihn an die Stelle der Freiheitsstatue stellte, wo er »Fuck Off!« zu den Leuten schrie, anstatt sie wie die Freiheitsstatue zu begrüßen. Ich mochte George Bush schon nicht und hasste ihn eigentlich, aber Trump ist nun ein noch weiterer Schritt zurück. Aber damit müssen wir wohl nun zurechtkommen. Ich erinnere mich noch, als Ronald Reagan Präsident wurde. Das war ein rechter Waffennarr und Schauspieler, den ich »Ray Gun« nannte, der mich aber dahingehend überraschte, dass er zumindest Kontakt zu Russland herstellen konnte. Vielleicht schafft Trump ja doch etwas – auch wenn ich es nicht glaube.


Gerald Scarfe

Der Komiker John Cleese meinte in einem Interview, er wolle wegen einer extremen Stimmung von political correctness künftig nicht mehr an Universitäten auftreten, da man ihn als Rassisten und Sexisten bezeichnen würde, was er jedoch nicht sei. Komiker verwenden, wie auch Karikaturisten, oft deutlich überzeichnete Darstellungen, um etwas zu verdeutlichen, bzw. ins Lächerliche zu verkehren. Haben Sie ähnliche Erfahrungen gemacht? Könnte eine extrem interpretierte political correctness eventuell schädlich für die Meinungsfreiheit sein?
Ja, definitiv. Es hängt immer davon ab, wie weit man etwas treibt. In meinem Beruf muss ich übertreiben und beleidigen und Dinge sagen, die man normalerweise nicht sagt. Im Allgemeinen bin ich kein Freund davon, Leute zu beleidigen. Gerade Sexualität oder Religion, auch wenn ich nicht religiös bin und an diese Zaubergeschichten glaube, greife ich nicht an. Aber ich selbst habe schon schlimme Erfahrungen in diese Richtung gemacht. Vor einigen Jahren veröffentlichte ich eine Zeichnung von Angela Merkel in der Sunday Times, wo sie Griechenland und Spanien an ihrer Brust säugt und Italien als nächster wartet. Sechs Frauen im Parlament schrieben mir daraufhin einen Brief, in dem sie mich beleidigten und mich fragten, wie ich derartiges nur tun könne. Für sie war ich ein Sexist, der so etwas nie bei Männern machen würde. Was aber nicht stimmt. Ich mache bei Männern viel schlimmere Dinge mit ihrem Penis oder ihrem Skrotum. Spannend ist, dass ich so etwas meist aus universitären Kreisen höre. Hier in London habe ich eine Bar, wo ich gerade neulich eben jenes Bild zeigte. Niemand fühlte sich beleidigt.

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