Heide Hammer im Gespräch mit Barbara Staudinger, Direktorin des Jüdischen Museums Augsburg Schwaben und ab Juli 2022 Direktorin des Jüdischen Museums in Wien, über feministische Ausstellungen und den Kampf gegen Antisemitismus
In einem Interview mit dem jüdischen Stadtmagazin Wina sagst du im Jänner diesen Jahres: »Noch vor zehn Jahren haben viele Jüdische Museen gesagt, Antisemitismus ist eine Geschichte der Antisemiten und nicht eine Geschichte der Jüdinnen und Juden. Heutzutage, in einer Zeit, in der Antisemitismus ein ohnehin schon großes und noch zusätzlich wachsendes gesellschaftliches Problem ist, können sich Jüdische Museen nicht mehr auf diese Position zurückziehen.« Antisemitismus und Verschwörungstheorien gehen gerade auch bei den Corona-Demonstrationen Hand in Hand. Was müssen wir jetzt tun? Was kann ein jüdisches Museum zum Kampf gegen Antisemitismus beitragen?
BARBARA STAUDINGER: Es gibt einen großen historischen Fundus an antisemitischen Verschwörungstheorien, der aktuell, vermischt mit anderen, auf die Straße und ins Netz gebracht wird. Was kann ein Museum dagegen tun? Zunächst: Es gibt keine »Impfung gegen Antisemitismus«. Der Besuch eines jüdischen Museums führt zu keiner Läuterung, die Besucher:innen kommen auch nicht als bessere Menschen wieder raus. Zugleich ist der Kampf gegen Antisemitismus eine allgemeine Aufgabe, weil Juden und Jüdinnen jetzt massiv bedroht sind. Der antisemitische Anschlag in Halle am 9. Oktober 2019 war da nur ein Höhepunkt im zunehmenden Alltagsantisemitismus. Daher können sich Jüdische Museen nicht aus der Verantwortung nehmen, gegen Antisemitismus zu arbeiten.
Unsere Form der Bildungsarbeit muss sehr breit aufgestellt sein und auch im öffentlichen Raum stattfinden, um im Alltag präsent zu sein. Es geht darum, Angebote nicht nur in einem Haus, hier im 1. Bezirk zu setzen, sondern dezentral zu arbeiten und in den Bezirken sichtbar zu sein.
Die Ausstellung »Schalom Sisters*!«, die im letzten Jahr in Augsburg zu sehen war, hatte die Vielfalt jüdisch-feministischer Positionen in Vergangenheit und Gegenwart zum Thema.
BARBARA STAUDINGER: Bei »Schalom Sisters*!« haben wir auch im öffentlichen Raum gearbeitet. Auf einer von einer Künstlerin mit einer Frauendemonstration gestalteten Straßenbahn haben wir mit Slogans darauf hingewiesen, dass es historisch viele Forderungen der Frauenbewegung gab, aber auch, wofür man heute auf die Straße gehen muss. Das erregte Aufmerksamkeit: Am 8. März ist die Straßenbahn plötzlich an der Demo vorbeigefahren, die Demonstrant:innen haben applaudiert.
Ein anderer Teil der Ausstellung im öffentlichen Raum war eine frei zugängliche Auslagenausstellung. Und auch in den anderen Ausstellungsteilen haben wir versucht, dem stereotypen, sehr männlich geprägten Bild des Judentums historische und moderne, politische und künstlerische feministische Positionen entgegenzusetzen.
Im Ausstellungstext heißt es auch: »Denn Feminismus ist kein ›Frauenthema‹, sondern ein Beitrag zu einer gerechteren Welt.« Von welchem feministischen Selbstverständnis gehst Du aus?
BARBARA STAUDINGER: Stephanie Shirley zeigt in einem wunderbaren Videozitat, dass ihr Kopf schon ganz platt ist, vom vielen Tätscheln. Wir müssen diese gläserne Decke abbauen, das ist die Aufgabe von Frauen in Führungspositionen. Wir müssen uns nicht nur behaupten, im 21. Jh. müssen wir (kultur-)politisch etwas bewirken. Was das mit einer gerechteren Welt zu tun hat? Von mehr Gleichheit profitieren alle, denn mit dem Phänomen des Machterhalts sehen sich nicht nur Frauen konfrontiert, es betrifft auch andere Diskriminierungsachsen.
Bist du gerne Chefin?
BARBARA STAUDINGER: Ja, ich übernehme gerne Verantwortung und ich entscheide gerne. Auch wenn ich flache Hierarchien schätze, fängt der Fisch immer beim Kopf zu stinken an. Ich werde dafür bezahlt, Verantwortung zu übernehmen, das ist mein Job. Mir war klar, dass mit der Übernahme einer Direktion meine kuratorische Arbeit auf einer anderen Ebene liegt. Ein Haus zu kuratieren, es in eine bestimmte Richtung zu bewegen, ist eine überaus reizvolle Aufgabe. Fragen des Budgets, das die Basis von allem ist, sind sehr wichtig und hier kann man, etwa wenn an Künstler:innen faire Honorare bezahlt werden, auch tatsächlich viel verändern.
Ausgehend von der Restaurierung des Films Die Stadt ohne Juden vom Filmarchiv Austria hast Du die Ausstellung »Die Stadt ohne – Juden Ausländer Muslime Flüchtlinge« gemacht. Mich interessiert die Methode der Intervention, einerseits die Zeitachse, die Verbindung zwischen Vergangenheit und Gegenwart und andererseits die Verschiebung – die Intervention von außen und die Leitung einer Institution.
BARBARA STAUDINGER: Jüdische Museen haben meist eine historische Sammlung, eine Intervention in der Institution beschäftigt sich kritisch mit der eigenen Sammlung. Interventionen sind so reizvoll, weil sie andere Perspektiven aufmachen und andere Fragen stellen und daher die Möglichkeit der Reflexion der eigenen Arbeit bieten. Der Unterschied, wenn man ein Haus leitet, ist, dass man dann sagen kann, ich lade euch ein, eine Intervention in unserem Museum zu machen. Ein Museum soll ein kritischer Ort sein, ein hinterfragender Ort – und ein Ort, der an aktuelle gesellschaftspolitische Fragen anknüpft. Meines Erachtens müssen wir uns bei jeder Ausstellung fragen, was dies mit unserer Gegenwart zu tun hat. Wie bei der Ausstellung »Die Stadt ohne«, bei der es um einen strukturellen Vergleich von Ausschlussmechanismen gegen die jüdische Bevölkerung vor 1938, aber auch heute gegen Jüdinnen und Juden und andere Minderheiten ging.
Am 27. Jänner war der Internationale Tag des Gedenkens an die Opfer des Holocaust (Holocaust Remembrance Day). Was tun mit solchen Gedenktagen in Österreich? Zum Feiertag machen und ein vielfältiges Public Program bieten?
BARBARA STAUDINGER: Gedenktage fungieren oft als Bühne für Politiker:innen. Zugleich ist dieser Tag für die Überlebenden und ihre Nachkommen sehr wichtig. Dennoch würde ich mir wünschen, dass das Interesse an den letzten Zeug:innen das ganze Jahr über da ist, auch das empathische Interesse. In Augsburg gab es ein virtuelles Gedenken mit drei Zeitzeug:innen, die als Kinder aus Augsburg vertrieben wurden. Sie möchten, dass ihre Geschichte und die Geschichte ihrer Eltern nicht vergessen wird. Der Staat und seine Institutionen haben die Verantwortung, Erinnerungskultur zu leben.
Wäre der 8. März ein Feiertag, würde sich dann an der öffentlichen Wahrnehmung etwas ändern?
BARBARA STAUDINGER: Jede:r mag Feiertage, sie sind eine angenehme Unterbrechung der Woche. Ökonomisch gedacht kann man einen Feiertag aber auch beziffern. Wenn man die Hälfte von dem, was am 8. März erwirtschaftet wird, in feministische Projekte steckt, würde das vielleicht mehr bringen als ein Feiertag?
Du nutzt Social Media Kanäle auf sehr witzige Weise, das ist ziemlich ungewöhnlich.
BARBARA STAUDINGER: Am Beginn der Pandemie dachte ich, wenn wir jetzt nicht lachen, dann ist alles vorbei und ich wollte mich auch erinnern, wie es an einzelnen Tagen gewesen ist. In meinem häuslichen Mikrokosmos spiegelt sich der Makrokosmos, in der plötzlich so klein werdenden Wohnung also die ganze Welt. Der Moment des Lachens ist eine Bewältigungsstrategie. Mir ist es wichtig, zu lachen.