www.perinetkeller.at www.perinetkeller.at Eva Brenner

AKTIONISMUS: Kunst ohne Angst

von

Der Perinetkeller, Zentrum aktionistischer Wiederbelebung, feierte Geburtstag – ein Gespräch mit Robert Sommer über drei Jahre Kulturort mit Geschichte von EVA BRENNER.

Das unabhängige Kulturzentrum Peri­netkeller ist junge drei Jahre alt! Als ehemaliges Aktionisten-Atelier (1962–1970) wurde das winzige, aber attraktive Keller­gewölbe ohne Wasser und WC in der Wie­ner Perinetgasse 1 im 20. Bezirk 2016 von dem Journalisten, Augustin-Mitgründer und Autor Robert Sommer privat angemie­tet und seitdem gemeinsam mit einem 15-köpfigen Kollektiv von KünstlerInnen, Akti­vistInnen wiederbelebt. »Institut ohne direkte Eigenschaften« (INODE) lautet der Titel, den sich das Kollektiv mit Verweis auf den ursprünglichen Namen (»Institut für direkte Kunst«) gegeben hat. An die 300 gratis Events mit 500 Künstlerinnen gab es bisher, darunter Lesungen, Performances, Ausstellungen, Interventionen und Feste. Das Kollektiv arbeitet antihierarchisch, ohne öffentliche Förderungen (Spenden finanzieren die Miete) und basisdemokra­tisch per Konsensus. Auch das interessierte Publikum kann eigene Projekte, die in einer durch Kürzungen krank geschrumpften »Freien Szene« kaum Platz finden würden, vorstellen.

Dem INODE-Kollektiv geht es um die nichtkommerzielle Neubestimmung avant­gardistischer Kunst mit dem Ziel, der sub- wie gegenkulturellen Kunst unserer Tage zu (neuer) Sichtbarkeit zu verhelfen. Dem neoliberalen Triumphzug der totalen Ver­marktung alles Revolutionären, der sich in Musealisierung und Kommerzialisierung, internationalen Großevents in hochdotier­ten Kunstpalästen niederschlägt, wird – im Geist des »Kultort[s] der radikalsten künst­lerischen Avantgarde Europas nach dem zweiten Weltkrieg« (Sommer) rund um Otto Muehl, Hermann Nitsch, Günther Brus – der Kampf angesagt.

Avantgarde und Kommerz

Der Aktionismus ist heute Teil des kunst­historischen Kanons, seine ProtagonistIn­nen – fast ausschließlich Männer – werden weltweit in Retrospektiven hofiert, hierzu­lande wurden ihnen stattliche Museen gewidmet (Nitsch Mistelbach, Bruseum Graz, Mumok als Haupthaus des Aktionis­mus in Wien). Während man sich damals gegen existierende Kunstformen und ein ungenügend entnazifiziertes System der Nachkriegsgesellschaft wendete, stellt das INODE-Kollektiv sich gegen die Tendenz neoliberaler Kunstbetriebsamkeit, sich durch »tolerante« Aufbewahrung auch die revolutionärsten Strömungen einzuverlei­ben und zu entpolitisieren.

Die aktionistische Geschichte wird im Keller nicht versteckt, sondern kritisch reflektiert: »Ohne die Mythen, die sich um Muehl, Nitsch und Co. ranken, bliebe der Keller ein Ort wie jeder andere – unbekannt und bald voller Gerümpel«, attestiert Som­mer. Und es ist diese Ambivalenz um die skandalgeschüttelte Historie, mit der die kultur/politische Spannung aufrechterhal­ten und das Wesen der »Avantgarde/n« neu diskutiert wird. Der Keller stellt unter Beweis, dass es möglich ist, bürokratische Fördersysteme und (hoch)kulturelle Aus­schlussmechanismen auszuhebeln und trotzdem oder vielleicht gerade deshalb erfolgreich zu sein. Kein leichtes Kunst-Stück!

Während des Dreijahresfestes präsen­tierte das Perinet-Kollektiv einen Quer­schnitt bisheriger Aktivitäten: So initiierte etwa die Künstlerin freiinsilvia eine Ausei­nandersetzung mit dem Werk des 2015 ver­storbenen Fritz Walter Jetzinger, erzählte Heinz Cibulka »die ganze Wahrheit über den Wiener Aktionismus«, performte Didi Som­mer, trug Maren Rahmann mit ihrer Elek­tro-Punk Band »Laut Fragen« neue Verto­nungen als »Facetten des Widerstands« vor und boten die inszenierten Geburtstagsfest­tage u. a. eine Ilse Aichinger-Reise mit der Schauspielerin Anne Bennent und dem Akkordeonisten Otto Lechner.

R.SommerINTERVIEW MIT ROBERT SOMMER

Du bist Initiator des Perinetkellers und wohl auch spiritus rector des Jubiläums. Was und wen wollt ihr damit erreichen?

ROBERT SOMMER: Zur Korrektur: Vieles wird kollektiv geplant, jede/r aus dem Team hat aber zusätzlich das Recht, zu program­mieren. Jede/r ist also selbst VeranstalterIn. Ohne unsere regelmäßigen geselligen Arbeitstreffen wäre der Perinetkeller wahr­scheinlich schon kollabiert. Mit dem Jubi­läum wollen wir die breite Palette und das vielfältige Spektrum avantgardistischen Kunstverständnisses, das hier vorherrscht, abbilden.

Was ist euer künstlerisches Selbstver­ständnis?

ROBERT SOMMER: Im Perinetkeller ist prinzipiell alles möglich – es gibt kein Genre, das hier nicht vertreten ist. Aber angesichts der Beengtheit des Raumes liegt ein Schwerpunkt auf Literatur. Dazu ist zu sagen, dass ohne die Architektur des Kellers und seiner speziellen Geschichte der Raum völlig uninteressant wäre; die Architektur des Perinetkellers ist wesentliche Inspirati­onsquelle für die Kunst, die hier entsteht.

Das ist selbst der Kulturabteilung der Stadt Wien klar, die uns gewähren lässt, obwohl wir nicht mal eine Veranstal­tungsgenehmigung haben. Alle Events fin­den unangemeldet, ehrenamtlich und auf Basis von Spenden statt.

Wie hast du das Kollektiv zusammenge­stellt und was sind die Kriterien der Mitarbeit?

ROBERT SOMMER: Ich habe befreundete KünstlerInnen, AktivistInnen und Men­schen aus dem Publikum (ich bin ja auch Teil des ProgrammmacherInnenteams im Aktionsradius Wien) gefragt, die etwas Eigenes zeigen wollen. Unsere Maxime ist, dass alle Vorschläge nicht von Kunstver­mittlern – d. h. sog. »Experten« – sondern von denen kommen, die die Kunst machen. Wir suchen die Verbindung zur literarischen und bildenden Avantgarde nach 1945 und hinterfragen, was heute (noch/wieder) möglich ist.

Wie stehst du zur Geschichte des Kel­lers und zu Otto Muehl? Das wird ja öfter gefragt …

ROBERT SOMMER: Wir setzen uns kri­tisch mit der Geschichte und Muehls Bei­trag auseinander – und wir betrachten, was an der Historie wertvoller Beitrag war. Viele Einflüsse kamen aus den USA, von John Cage oder der Happening- und Fluxus Bewegungen, die bei uns noch völ­lig unbekannt waren. Man veranstaltete berühmt gewordene Happenings in Ablehnung bürgerlicher Lebensformen und dem Nachwirken eines nationalsozia­listischen Kunstbegriffs. Die Polizei hat damals versucht, Aktionen zu verhindern und ist damit – eine bewusste Strategie der Künstler – ungewollter Teil der Kunst geworden. »Verhinderung« war ein wich­tiger Aspekt des aktionistischen Kunst­verständnisses.

Was ist heute politische Kunst – und was »Avantgarde«?

ROBERT SOMMER: Wir stehen eindeutig in der Tradition der historischen Avant­garden, auch des Wiener Aktionismus. Es geht um die Verschränkung politischer und künstlerischer Aktionen, um künstle­rische Provokationen und Anstöße zum Nachdenken. So nahe das INODE-Kollektiv sei­nen Lieblings-Ismen steht (Aktionismus, Sur­realismus, Dadaismus, Situationismus, Kosmo­politismus, Anarchismus): sie sind keine Ein­trittskarten in den Perinetkeller.

Kannst du ein Beispiel nennen?

ROBERT SOMMER: Wir beschäftigen uns mit nationalsozialistischen Symbolen des Alltags­lebens, u. a. in der Protest Aktion »Blauer Montag«. Was die Wenigsten wissen ist, dass Fritz Zweigelt, der den Wein »Blauer Zweigelt« populär machte, Nazi war – und er wird noch immer als Österreichischer Wein-Papst gefei­ert! Unsere Aktion hat das publik gemacht und wollte dem Wein einen neuen Namen geben.

Wie waren die öffentlichen Reaktionen?

ROBERT SOMMER: Es gab enormes heimi­sches und internationales Presseecho. Die FPÖ hetzte natürlich, viele Weinbauern zeigten sich empört. Erschreckend ist, dass der Name noch immer eine Bedeutung als Code hat!

Manche Kritiker werfen dem Perinetkeller Musealisierung vor …

ROBERT SOMMER: Ich bin vom Gegenteil überzeugt! Mit der privaten Anmietung haben wir einer potentiellen Kommerzialisierung vorgebeugt. Der Staat hat ja inzwischen fast alle ehemaligen Aktionisten mit Museen ver­sorgt. Nur ist in meinen Augen ein Aktionis­mus-Museum eine contradictio in adjecto!

Museen domestizieren den Avantgarde-Begriff und machen sie kommensurable?

ROBERT SOMMER: Ja, genau! Kunst soll alles dürfen! Provokation ist nötig! – Sonst hätte sich die Avantgarde nicht durchgesetzt. Ver­gessen wir nicht, dass in Wien bis weit in die 50er, 60er Jahre hinein kulturelle Eiszeit herrschte. Da kam der Brus‘sche Stadtspazier­gang im weißen Anzug gerade richtig! Ich glaube, die Avantgarde hat zur Lockerung der Alltagssitten beigetragen.

Was bleibt noch zu tun?

ROBERT SOMMER: Ich frage mich natürlich, ob Provokation heute überhaupt noch möglich ist. Wie gefährlich ist die Avantgarde?

Anteil kommerzieller Aneignung und Ver­marktung avantgardistischer Kunst sind die Wirtschaft und verwaltete Fördersys­teme. Warum verweigert das Kollek­tiv Subventionen?

ROBERT SOMMER: Wir machen daraus kein »politisches Programm«! Die Wahrheit ist, es ist uns einfach passiert. Niemand von uns hat Lust, für die Behörden unsere Arbeit zu dokumen­tieren oder Subventionsansuchen in Amtsdeutsch zu formulieren.

Warum wird das Kollektiv von den Autoritäten geduldet?

ROBERT SOMMER: Wir sind eben ungefährlich (lacht)! ... Wir würden gern gefährlich sein! Politisch Kunst­machen heißt für mich, man muss poe­tisch leben! Es gibt zwei Optionen: ent­weder du machst Kunst oder du machst Politik.

Nur wollte die Avantgarde Kunst und Leben zusammenbringen.

ROBERT SOMMER: Das ist nicht vielen gelungen, am besten hat das der Künst­ler Joseph Beuys vorgeführt mit seinem Spruch: »Jeder Mensch ein Künstler!« Mich faszinieren seltsame, schräge, unerwartete Akte, wie sie die Aktionis­ten veranstaltet haben. In der konkre­ten Poesie oder im Free Jazz existiert die Theorie vom Schreiben als poetisch-politischer Akt.

Wie verändert »poetisch leben« die Welt? Wie siehst du die Zukunft des Kellers?

ROBERT SOMMER: Wir haben gezeigt, dass es relativ einfach ist, künstlerische Freiräume zu schaffen, das halte ich für zentral! Einen Raum abseits der Kultur­industrie erfolgreich zu bespielen, drei Jahre ohne Förderungen kontinuierlich Programm mit ca. 100 Events pro Jahr zu machen, weiterzuwachsen und ande­ren Mut zu machen. Hier können alle performen, die wollen. Man kann sich vernetzen, bekannte und unbekannte Künstler arbeiten zusammen, bisher an die 500 aus verschiedenen Disziplinen. Und sie schielen hier weder auf die Masse noch aufs Geld. Unsere Message ist: Man muss sich mehr trauen!

Danke für das Gespräch.

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Gelesen 6141 mal Letzte Änderung am Donnerstag, 29 August 2019 16:57
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