»Leistbares Wohnen« – eine unendlich verlogene Geschichte!

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»Leistbares Wohnen« – eine unendlich verlogene Geschichte! Von JOSEF IRASCHKO

Die Stadt Wien verwaltet rund 220.000 Gemeindewohnungen, die demokra­tisch gewählten Bürgermeister stellt seit 100 Jahren die SPÖ, ihre Mietervereinigung hat 70.000 Mitglieder. Sämtliche gesetzlichen Regelungen auf Bundes- wie auf Lan­desebene wurden in den letzten Jahrzehn­ten zu Lasten der MieterInnen getroffen. Die Stadtverwaltung setzt selbst auf offen diskriminierende Politik (»Wien-Bonus«).

Das Regierungsprogramm der neuen wie alten Bundesregierung spart zum Thema »Leistbares Wohnen« nicht an Allgemein­plätzen. Sollen doch die Interessen und Ängste eines Großteils der Bevölkerung an leistbarem, zeitgemäßem, sicherem und ökologisch nachhaltigem Wohnen zumin­dest rhetorisch aufgegriffen werden. Andererseits sollen die Interessen einer gehätschelten kleinen Minderheit, die sich am Grundbedürfnis Wohnen eine goldene Nase verdienen will, nicht allzu sehr ver­grämt werden.

Das Problem der überhöhten Mieten hat sich in den letzten zwanzig Jahren derart verschärft, dass Regierungs-Ignoranz allein nicht ausreicht. Zwar werden weder die Ursachen (Bodenspekulation, private Investorengruppen, befristete Mietver­träge, das preistreibende Richtwertsystem etc.) untersucht, benannt oder gar geän­dert. Trotzdem wird im Wahlkampf Lösbarkeit vorgespielt.

SPÖ und ihre Mietervereinigung (MV) von Reform zur Kapitulation

Dass die SPÖ in ihrer Oppositionsrolle über reine parteipolitisch motivierte Wadlbeiße­rei nicht hinauskommt, hat in erster Linie damit zu tun, dass sie keine glaubwürdige, geschweige denn radikalere Alternativen anzubieten hat, ist sie doch Teil des neo­liberalen Systems.

Die Mietervereinigung (MV), Teil der sozialdemokratischen Bewegung, damals eine rebellische, sozialkritische und mobili­sierende Kraft, wurde 1911 gegründet mit dem Ziel, politischen Druck auszuüben, um das damals für heutige Verhältnisse unvor­stellbare Wohnungselend zu beenden und die Wohnsituation der Menschen zu ver­bessern. Bis zu 100.000 Menschen wurden in den 1920er Jahren mobilisiert, so dass es schließlich 1922 zu einem richtungsweisen­denMietengesetz (MG – vor allem Kündigungs- und Preisschutz) kam. 1919 errang die Sozialdemokratie in Wien bei den Wahlen eine absolute Mehrheit, 1922 wurde Wien ein eigenes Bundesland mit Steuerhoheit. Anfang 1923 wurde eine zweckgebundene Wohnbausteuer beschlossen, die vor allem über Luxusabgaben die nötigen Finanzen für den nun beginnenden gemeindeeigenen Wohnungsbau lukrierte. Viele Hausbesitzer verschleuderten ihre Immobilien, weil sie keine Profite mit dem Wohnungselend mehr machen konnten. Der private Wohnungsbau kam gänzlich – auch als Druckmittel gegen die Wohnungspolitik des „Roten Wien“ – zum Erliegen. In der Konsequenz musste die Gemeinde Wien den kommunalen Wohnungsbau beginnen. Bis 1933 entstanden dadurch 64.000 neue Gemeindewohnungen.

Das Mietengesetz wurde 1982 durch ein neues Mietrechtsgesetz (das heutige MRG) abgelöst, das noch immer starke Schutzfunktionen für die MieterInnen garantierte (Alleinregierung SPÖ unter Kreisky). Es folgten verschiedene „Reformen“, die allesamt Angebote an die private Bau- bzw. Immobilienwirtschaft zu Ungunsten der MieterInnen waren. Das private Kapital wurde vermehrt über für die Immobilienwirtschaft günstige „Reformen“ im MRG eingeladen, sich um die Wohnungsproduktion und Vermietung zu kümmern. Das ging so weit, dass ab 2004 die Gemeinde Wien den kommunalen Wohnungsbau insgesamt einstellte.

1994: Ende des Mieterschutzes mit Zustimmung der SPÖ

Der eigentliche Sündenfall war aber das im Jahr 1994 unter SPÖ-Führung mit der ÖVP ausgehandelte 3. Wohnrechtsänderungsgesetz (3.WAG), mit dem faktisch der noch in Grundzügen vorhandene Preis- und Kündigungsschutz aufgehoben wurde. Wichtig dabei zu erwähnen, dass die Interessensvertretung auf Seiten der MieterInnen, die entpolitisierte Mietervereinigung, unter Leitung der damaligen Obfrau Ruth Becher (derzeit SPÖ-Wohnbausprecherin im Bauausschuss des Parlaments) diesen gravierenden Rückfall in die Zeit vor 1920 mitver­handelte und zustimmte. Die Befristungen von Mietverträgen und das sogenannte Richtwertsystem, das schon damals eine Verdoppelung der bestehenden Kategorie­mieten bedeutete, wurden gesetzlich zwi­schen den Koalitionsparteien akkordiert. Heute stehen wir vor dem Scherbenhaufen der damals eingeleiteten Liberalisierung des Mietrechts.

SPÖ-Wohnungs- und Mietenpolitik: quo vadis?

Die kolportierte beeindruckende Zahl von rund 70.000 Mitgliedern in der MV und die rund 220.000 gemeindeeigene Wohnungen lassen die Frage angebracht erscheinen, warum mit einer derart geballten politi­schen und ökonomischen Kraft nicht auch wohnpolitische Erfolge erzielt werden kön­nen. So wichtig Servicearbeit in Sachen MieterInnen-Schutz auch ist, so wurden doch alle Verschlechterungen im Mietrecht seit 1983 mit Zustimmung der SPÖ akkordiert. So gab es bis März 2006 neun weitere Gesetzesänderungen. Der Schwerpunkt der vier größeren Novellen der vergangenen Jahre (WRN 1997, WRN 1999, WRN 2000, MRN 2001) lag auf der Regelung bezüglich Befristung von Mietverträgen. Die bisher letzte Novelle 2006 brachte eine weitere Liberalisierung.

Alle diese Verschlechterungen auf dem Mie­tensektor wurden von SPÖ und MV ohne Mobilisierung der Mitglieder hingenommen. Und immer dann, wenn die SPÖ regierte, gab es nicht einmal verbalen Widerstand. Diese andauernde Gängelband- und Beschwichti­gungspolitik in Sachen Wohnungsbau und Mieten hat der Mobilisierungsfähigkeit gegen­über den Mitgliedern sehr geschadet. Hier wäre eine Besinnung zur eigenen Entste­hungsgeschichte sehr hilfreich. Es musste erst die ÖVP/FPÖ-Regierung Schüssel I im Jahr 2000 kommen, damit sich die SPÖ und ihre MV nach langer Zeit wieder zu einer zumindest verbal-radikalen Oppositionsrolle bekannten.

Gerade die SPÖ in Wien, mehr oder minder in Alleinregierung seit fast 100 Jahren, könnte in der Frage »leistbares Wohnen« mit dem hohen ökonomischen und politischen Potenzial eine wesentlich andere Woh­nungspolitik durchsetzen. So lehnte bei­spielsweise die SPÖ-Wien unter dem dama­ligen Wohnbaustadtrat Michael Ludwig bereits zweimal die Forderungen von Mie­terInnen-Organisationen ab, die jeweils anstehenden Indexanpassungen in den gemeindeeigenen Wohnungen nicht durch­zuführen. Die Ablehnung wurde vehement mit der notwendigen wirtschaftlichen Ver­antwortung begründet. Seit 2013 hat übri­gens auch die Gemeinde Wien das Richt­wertsystem bei Neuvermietungen von Gemeindewohnungen eingeführt, was eine beinahe Verdoppelung der bis dahin gel­tenden Kategoriemieten brachte. Die Betriebskosten in den Gemeindebauten sind um einiges höher als im privaten Woh­nungsbau.

Die (objektive?) Bürokratisierung (Ver­waltung) eines derart hohen Wohnungsbe­standes bringt es zusammen mit der Preis­politik mit sich, dass der Verwaltungsappa­rat völlig abgehoben und willkürlich auf MieterInnen-Probleme reagiert. Gerade die Gemeindebauten sind zu Quotenbringern für die FPÖ geworden. Hier versucht zwar die Gemeinde mit verschiedenen Aktionen gegenzusteuern, aber da sie sich nun ein­mal in erster Linie als Hausherr in einer neoliberalen Wirtschaftsumgebung ver­steht, sind das vielleicht bemühte, aber unglaubwürdige Aktivitäten.

SPÖ-Stadtregierung in Wien betreibt Diskriminierung

Selbst Diskriminierung bis hin zu offenem Rassismus sind heute Bestandteil der Woh­nungsvergabe-Politik der Gemeinde. Wäh­rend es beispielsweise in der Regierungs-Novelle zum WGG (2019 – Wohnungsgemeinnützigkeitsgesetz) im § 8, Abs. 4 offen rassistisch heißt: »(4) Sämtliche Tätigkeiten einer gemeinnützigen Bauvereinigung sind vorrangig zugunsten einer Wohnversorgung von österreichischen Staatsbürgern auszu­richten, gemäß Abs. 5 gleichgestellten Per­sonen sowie Ausländern, die sich seit mehr als fünf Jahren ununterbrochen und legal in Österreich aufhalten sowie ein Prüfungs­zeugnis des Österreichischen Integrations­fonds (ÖIF) oder einer vom ÖIF zertifizierten Prüfungseinrichtung über die erfolgreiche Absolvierung einer Integrationsprüfung vor­legen.«, geht die Gemeinde Wien nicht so offen-diskriminierende Wege.

Im Jahr 2015 hat der jetzige Bürgermeis­ter Michael Ludwig als Wohnbaustadtrat den Zugang zum Gemeindebau einge­schränkt – der »Wien-Bonus« wurde einge­führt: Länger in Wien Ansässige werden gegenüber später Zugezogenen bei der Wohnungsvergabe vorgereiht. »Personen, die bereits länger in Wien wohnhaft sind, können einen Bonus von bis zu 9 Monaten in der Reihung der Angebotslegung erhal­ten. Für jeweils volle 5 Jahre, für die eine Person ihren Lebensmittelpunkt in Wien nachweist, werden 3 Monate gutgeschrie­ben. Es werden maximal 15 Jahre angerech­net.« (wien.gv.at)

Aber nicht nur Geflüchtete und bereits länger in Wien Wohnende Nicht-Staatsbür­gerInnen, sondern auch für viele junge WienerInnen wurde es mit der Reform 2015 unmöglich, Zugang zu einer Gemeindewohnung zu erhalten: »Geklärte Familien­verhältnisse«: EhepartnerInnen und Personen, die in einer aufrechten einge­tragenen Partnerschaft leben, können nur gemeinsam ein Wiener Wohn-Ticket beantragen. Damit werden Zugewan­derte sowie junge Menschen in schwieri­gen Familiensituationen oder in Wohn­formen wie WGs lebend massiv benach­teiligt.

In den Stellungnahmen zur obigen WGG-Novelle haben weder die Stadt Wien noch die Mietervereinigung zum offenen Rassismus etwas zu sagen. Wohltuend hingegen die Stellungnah­men der Bundes AK, die sehr wohl von einer unsachlichen Diskriminierung spricht und klarstellt: »Entsprechend der geplanten Neuregelung müssten gemeinnützige Bauvereinigungen bestimmte Personengruppen, die sich rechtmäßig in Österreich aufhalten und hier Steuern, Abgaben und Wohnbauför­derungsbeitrag zahlen, bei der Woh­nungsvergabe ausschließen.«

Ausweg?

Wenn wir Linken uns die Frage nach leistbarem Wohnen stellen, dann stehen unter anderem folgende zentrale Forde­rungen auf dem Programm:

•Weg mit den befristeten Mietverträ­gen

•Keine Spekulation mit Grund und Boden (Warum nicht enteignen?)

•Die Mieten senken auf höchstens 5,00 €/m2 (Kat. A) für alle Gebäude, die älter als 20 Jahre sind.

•Abschaffung von Indexanpassungen auf die Mieten = Mietenstopp

•Alle Wohnungen in ein reformiertes, demokratisches Mietrecht

— und schließlich:

•Privatkapital raus aus dem Woh­nungssektor!

— Statt dessen:

•Kommunaler Wohnungsbau unter demokratischer Kontrolle

Josef Iraschko ist Bezirksrat für Wien Anders, KPÖ und PolDi in der Wiener Leopoldstadt, Mie­terInnenberater und Mietrechtsexperte beim Mieterselbsthilfezentrum der KPÖ.

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Gelesen 5362 mal Letzte Änderung am Donnerstag, 29 August 2019 16:51
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